Mit dem vorliegenden Text möchten die in der Arbeitsgruppe Handel des Forum & Entwicklung zusammenarbeitenden Nichtregierungsorganisationen (NRO) den gegenwärtigen Stand ihrer Diskussion zum Thema Sozialstandards vorstellen. Das Thema ist sicherlich eines der schwierigsten und umstrittensten in der Debatte um die Welthandelsorganisation (WTO). Das Anliegen, ein wirksames Instrumentarium gegen schwere Verletzungen grundlegender Arbeitsrecht zu schaffen, ist ebenso berechtigt, wie die Befürchtungen vieler Entwicklungsländer vor dem protektionistischen Missbrauch eines solchen Instruments in der WTO verständlich sind. Die deutschen NRO halten ein abgestimmtes Vorgehen der internationalen Organisationen unter Federführung deutlich gestärkter UN-Institutionen für den Erfolg versprechendsten Ansatz, um soziale Menschenrechte und grundlegende Arbeitsrechte in einer globalisierten Weltwirtschaft durchzusetzen.
1. Globalisierung und internationale Regulierung
Der Prozess der ökonomischen Globalisierung stößt in weiten Teilen der Bevölkerung in Industrie- und Entwicklungsländern auf zunehmende Skepsis, zum Teil sogar auf offene Ablehnung. Diese Haltung äußert sich unter anderem in den Massenprotesten anlässlich von Veranstaltungen wie der Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation in Seattle, dem Weltwirtschaftsforum in Davos, den Tagungen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank, und den Treffen der G-8. Hintergrund der Skepsis ist, dass auf internationaler Ebene Deregulierung und Liberalisierung und damit die Verflechtung von Finanz- und Gütermärkten immer schneller voran schreiten. International agierende Unternehmen gewinnen dadurch weiter an Macht und Einfluss, während die demokratisch legitimierten nationalen Regierungen ihre Regelungskompetenzen freiwillig oder gezwungenermaßen beschränken. Dies unterminiert bestehende Regelungen nicht nur in der Wirtschafts-, sondern auch der Umwelt-, Kultur- und vor allem Sozialpolitik. Gleichzeitig gibt es kaum spürbare Fortschritte bei der Etablierung eines internationalen Rahmenwerks in diesen Bereichen.
Von den potenziellen Vorteilen der ökonomischen Globalisierung sind sowohl breite Bevölkerungsschichten in Industrie- und Entwicklungsländern als auch ganze Kontinente wie Afrika weitgehend ausgeschlossen. Von den negativen Auswirkungen – wie wachsendem Konkurrenzdruck und instabilen Kapitalströmen – sind hingegen die wirtschaftlich schwächsten Bevölkerungsgruppen und Regionen besonders stark betroffen.
Vor diesem Hintergrund betont der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, “dass die Prinzipien und Standards der Menschenrechte als unerlässliche Rahmenordnung der Globalisierung akzeptiert werden sollten” (Bericht an die UN-Generalversammlung August 2000). Obwohl er mit dieser Auffassung nicht allein steht, und es mit der Schaffung des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte auch institutionelle Fortschritte gibt, bestehen bei der Umsetzung enorme Defizite. Dieser Mangel charakterisiert nicht allein die internationale Menschenrechtspolitik, sondern die meisten anderen internationalen Politikfelder. So wurden die Beschlüsse der UN-Gipfel der neunziger Jahre, beginnend mit der Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro, zunehmend unverbindlicher. Mechanismen zu ihrer Ãœberwachung und Durchsetzung sind kaum noch vorgesehen und der politische Wille zur freiwilligen Umsetzung ist unzureichend. Letzte Wegmarke dieser Entwicklung ist die diesjährige UN-Konferenz über die am wenigsten entwickelten Länder (LDC) im Mai 2001, die im Kern die Ziele der Vorgängerkonferenz von 1991 wiederholte, ohne die Umsetzung in irgendeiner Form zu verbessern.
In der Diskussion um die sozialen Auswirkungen der Globalisierung wurde in den vergangenen Jahren vor allem von Gewerkschaften die Bedeutung grundlegender Arbeitsrechte betont. Mit den Möglichkeiten, sie stärker international zu verankern und ihre Durchsetzung zu verbessern, befasst sich dieses Positionspapier.
Die Internationale Arbeitsorganisation
Zum Schutz der Arbeitsrechte besteht seit 1919 die Internationale Arbeitsorganisation (ILO – International Labour Organisation), in der – einmalig im UN-System – auch Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände als stimmberechtigte Mitglieder vertreten sind. Die ILO verfügt über ein gut ausgebautes Ãœberprüfungssystem für ihre Konventionen. Es fehlt aber auch hier ein wirksames Instrumentarium zur Durchsetzung. Die finanzielle Ausstattung der ILO reicht nicht aus, um interessierte Entwicklungsländer bei der Einrichtung geeigneter Institutionen wie Arbeitsverwaltung und -gerichtsbarkeit zu unterstützen. In der Vergangenheit mangelte es außerdem gerade bei Arbeitgeberverbänden und vielen Regierungen am politischen Willen, auf Staaten die systematisch elementare Arbeitnehmerrechte verletzen, effektiven Druck auszuüben.
2. Die Diskussion um eine Sozialklausel in der WTO
Vor dem Hintergrund der unbefriedigenden Durchsetzung der grundlegenden Arbeitnehmerrechte (Gewerkschaftsfreiheit, Nichtdiskriminierung, Verbot von Zwangs- und Kinderarbeit) forderten Gewerkschaften, voran der Internationale Bund freier Gewerkschaften (ICFTU – International Confederation of Free Trade Unions), ein gemeinsames Sanktionsinstrument von ILO und WTO zu etablieren. Gegen Länder, die diese Rechte systematisch verletzen, und diese Praxis auch nach Empfehlungen und Kooperationsangeboten der ILO nicht ändern, sollten im Rahmen der WTO Handelsbeschränkungen zulässig sein. Die Regierungen einiger Industrieländer voran der USA und Frankreichs griffen diese Forderung nach einer “Sozialklausel” auf und lösten damit eine heftige Kontroverse in der WTO aus. Die Regierungen vieler asiatischer Entwicklungsländer, die die internationale Wettbewerbsfähigkeit ihrer Volkswirtschaften vor allem in niedrigen Arbeitskosten begründet sehen, wehrten sich heftig gegen diesen “neuen Protektionismus”. Obwohl fast alle Studien zu der Problematik darin übereinstimmen, dass die grundlegenden Arbeitnehmerrechte, die mit der Sozialklausel durchgesetzt werden sollen, nicht die Wettbewerbsfähigkeit gefährden, sondern ganz im Gegenteil sogar fördern können, gibt es durchaus Grenzen und Gefahren beim Instrument einer Sozialklausel.
Besonders eklatante Verstöße gegen grundlegende Arbeitnehmerrechte finden in den meisten Ländern primär im informellen Sektor statt, in dem staatliche Regelungen kaum durchgesetzt werden. Außerdem sind die Arbeitsbedingungen oftmals gerade in Sektoren besonders verheerend, die für den einheimischen Markt produzieren (z. B. das Baugewerbe). Diese Sektoren können aber mit Sanktionen gegen die Exporte der betroffenen Länder nicht erreicht werden. Die bessere Durchsetzung der Arbeitsrechte in den formellen Exportsektoren ginge damit großteils an den besonders Bedürftigen vorbei und birgt die Gefahr einer weiteren Spaltung des Arbeitsmarkts in sich. Zudem sind die Motive für die Verletzung grundlegender Arbeitnehmerrechte häufig nicht primär ökonomisch motiviert; in repressiven Regimen wie der VR China würden freie Gewerkschaften zu einem Kristallisationspunkt der politischen Opposition, und die Diskriminierung von Frauen wie in Saudi-Arabien entspringt oft traditionellen kulturellen und religiösen Vorstellungen. Schließlich würde eine Sozialklausel kein WTO-Mitglied dazu verpflichten, Handelsbeschränkungen gegen Länder einzuführen, die grundlegende Arbeitnehmerrechte verletzen. Die WTO kann solche Maßnahmen nur zulassen, ob sie wirklich angewandt werden, entscheiden die nationalen Regierungen. Deren politischer Wille dazu ist durchaus zweifelhaft: Gegen die VR China hat bislang noch keines der wichtigsten Industrieländer Handelssanktionen verhängt, obgleich sie bislang kein Mitglied der WTO ist.
Andererseits könnte eine Sozialklausel in den Fällen sehr wirksam sein, in denen grundlegende Arbeitnehmerrechte aufgehoben oder nicht durchgesetzt werden, um ein “vorteilhaftes Wirtschaftsklima” besonders für ausländische Investoren zu schaffen, wie in vielen “Freien Exportzonen”.
Obwohl eine Sozialkausel in der WTO nicht verankert werden konnte, hat die Diskussion entscheidend zu wichtigen Entwicklungen in der internationalen Debatte um Sozialstandards beigetragen.
- Auf ILO-Ebene wurden erstmals die grundlegenden Arbeitsrechte identifiziert und eine spezielle Deklaration verabschiedet, um deren Einhaltung zu verbessern.
- Die Ratifikationen der einschlägigen ILO-Konventionen sind deutlich angestiegen
- Die erste WTO-Ministerkonferenz in Singapur verabschiedete eine Deklaration, in der die Bedeutung von grundlegenden Arbeitsrechten bekräftigt, und die WTO aufgefordert wird, die Zusammenarbeit mit der ILO “fortzusetzen”; allerdings fand diese Zusammenarbeit praktisch nicht statt,
- grundlegende Arbeitsrechte spielen eine wichtige Rolle in den Verhaltenskodizes für Unternehmen. (z.B. in der jüngsten Fassung der OECD-Guidelines for multinational Enterprises)
Die politischen Bekenntnisse zu Kernarbeitsnormen haben auf internationaler Ebene also stark zugenommen – allerdings hinkt die Durchsetzung in der nationalen Praxis noch deutlich hinterher.
Angesichts des unverminderten Widerstands der Entwicklungsländer erscheint die Einführung einer Sozialklausel in der WTO in absehbarer Zeit nicht realistisch. Die Herausforderung besteht darin, den politischen Druck und das Interesse, das zu den politischen Bekenntnissen zu den Kernarbeitsnormen geführt hat, aufrecht zu erhalten und so zu nutzen, dass sich die tatsächliche Einhaltung der Normen verbessert. Von Seiten vieler Regierungen wird derzeit vor allem vorgeschlagen, die Kooperation der WTO mit anderen internationalen Institutionen zu verbessern. Der im Juli 2001 veröffentlichte Entwurf einer Mitteilung der EU-Kommission an den Rat und das Parlament mit dem Titel: “Promoting core labour standards and improving social governance in the context of globalisation” argumentiert sehr stark in diese Richtung. Selbst die neue US-Administration bezeichnet die Stärkung der ILO als eines der Kernthemen ihrer handelspolitischen Agenda, ohne allerdings zu spezifizieren, wie diese erreicht werden soll.
Der ICFTU hat in seiner Erklärung zur WTO-Konferenz in Qatar die Forderung nach einer Sozialklausel modifiziert. Er fordert nun die Einrichtung einer formellen Struktur (Ausschuss, Arbeitsgruppe oder Forum) in der WTO, die sich mit Kernarbeitsnormen und sozialer Entwicklung befasst, und Berichte darüber an die Entscheidungsgremien liefert. Die ILO muss an dieser Struktur beteiligt werden. Der “trade-policy-review mechanism” der WTO soll auch soziale, ökologische und geschlechtsspezifische Anliegen berücksichtigen, und für Gewerkschaften und andere zivilgesellschaftliche Gruppen offen sein.
3. Für einen neuen Fokus der Debatte über Welthandel und soziale Entwicklung
Eine institutionelle Verankerung des Themas soziale Entwicklung und grundlegende Arbeitsrechte durch eine Arbeitsgruppe in der WTO ist sinnvoll, gerade wenn der Dialog mit anderen Institutionen geführt werden soll. Da das WTO-Sekretariat kein politisches Mandat hierfür hat, muss ein aus den Mitgliedern zusammengesetztes Gremium geschaffen werden, das diese Aufgabe wahrnehmen kann. Die WTO muss wie alle anderen internationalen Wirtschaftsorganisationen den Vorrang der Menschenrechte, einschließlich der grundlegenden Arbeitsrechte anerkennen. Hierzu sollte sie sich stärker an das UN-System binden.
Die Stärkung der relevanten UN-Organisationen, insbesondere der ILO erscheint daher von noch größerer Bedeutung. Die Überprüfung der sozialen Auswirkungen der WTO-Abkommen sollte eher von ILO und dem UN-Hochkommissariat für Menschenrechte durchgeführt werden, als von der WTO selbst. Deren neu einzurichtende Arbeitsgruppe muss sich aber mit den Prüfungsergebnissen der UN-Organisationen auseinandersetzen.
Folgende Schritte sind für eine stärkere Verankerung grundlegender Arbeitsrechte in der Weltwirtschaft notwendig.
3.1. Stärkung der sozialen Entwicklung und der grundlegenden Arbeitsrechte auf internationaler Ebene
a) Einrichtung eines ständigen multi-institutionellen Forums über Globalisierung und soziale Entwicklung.
Unter Federführung der ILO müssen WTO, IWF, Weltbank UNCTAD, UNDP und UNHCHR regelmäßig über ihre Aktivitäten zur Beförderung grundlegender Arbeitsrechte und die Schwierigkeiten bei ihrer Umsetzung berichten. Die ILO-Arbeitsgruppe über die soziale Dimension der Globalisierung kann hier einen guten Bezugspunkt darstellen. Auf Grundlage des Berichts über die sozialen Auswirkungen der Globalisierung, dessen Erstellung im Juni 2001 beschlossen wurde, soll die ILO konkrete Empfehlungen an die anderen Organisationen entwickeln, wie diese ihren Beitrag zur sozialen Entwicklung verbessern können. Damit dies nicht zur einmaligen Alibiveranstaltung verkommt, muß nicht nur die Diskussion zwischen den Organisationen regelmäßig stattfinden, sondern auch die ILO Beobachterstatus in all diesen Organisationen und vor allem im Allgemeinen Rat der WTO erhalten.
b) Stärkung der ILO und verbesserte Überwachung der grundlegenden Arbeitsrechte
Die Berichte über die Umsetzung der grundlegenden Arbeitsrechte im Rahmen der ILO-Deklaration über grundlegende Arbeitsrechte müssen sowohl ILO-intern als auch öffentlich sehr viel größere Aufmerksamkeit als bisher erfahren. Die Industrieländer müssen zusätzliche Mittel für Programme zur Umsetzung der Standards bereit stellen. Gleichzeitig müssen Länder, die keine oder nichtssagende Berichte abgeben, öffentlich kritisiert werden. Gleiches gilt für die Berichte über die Umsetzung der ratifizierten Konventionen und den speziellen Klagemechanismus bei der Koalitionsfreiheit. Darüber hinaus sollte in der ILO ein Diskussionsprozess darüber initiiert werden, welche weitergehenden Maßnahmen zur Durchsetzung von Empfehlungen der Beschwerdegremien ergriffen werden können. Zumindest müssen die schon bestehenden Möglichkeiten offensiver eingesetzt werden. Art. 33 der ILO-Verfassung ermöglicht es, ein international abgestimmtes Vorgehen bei besonders eklatanten Fällen der Rechtsverletzung zu initiieren.
c) Verhaltenskodizes und verbindliche internationale Regeln für multinationale Unternehmen
Ergänzend zu den beschriebenen multilateralen Maßnahmen sollte das Instrument der Verhaltenskodizes für multinationale Unternehmen ausgebaut und damit ein Schritt in Richtung einer verbindlichen sozial-ökologischen Regulierung gemacht werden. Kodizes sind insbesondere gegenüber Unternehmen Erfolg versprechend, die auf ihren Absatzmärkten auf einen ,guten Ruf’ und öffentliche Akzeptanz ihrer Geschäftspraxis angewiesen sind. Sie können jedoch langfristig eine rechtlich verbindliche und wirksame politische Regulierung nicht ersetzen. Insofern ist vor der ,Privatisierung der Weltpolitik’ und einer naiven Sicht der Reichweite von ,freiwilligen’ oder unter Privatakteuren ausgehandelten Instrumenten zu warnen. Einseitige Willenserklärungen von Unternehmen, aber auch der Global Compact der UN und die OECD-Guidelines für Multinationale Unternehmen, drohen zu ,Scheinalternative’ für wirksame und überprüfbare politische Regelungen benutzt zu werden. Auch wenn bei beiden letztgenannten Initiativen zu begrüßen ist, dass sie sich in ihren sozialpolitischen Teilen ausdrücklich auf die von der ILO definierten grundlegenden Arbeitnehmerrechte beziehen, leiden sie unter fehlenden bzw. unzureichend entwickelten Ãœberprüfungsmechanismen. Ein glaubwürdiges Monitoring der Kodizes kann nicht allein firmenintern erfolgen und muss folgende Bedingungen erfüllen, wie sie in ähnlicher Form auch im Grünbuch der EU-Kommission über verantwortliches Verhalten von Unternehmen formuliert wurden:
- Unabhängigkeit/”Objektivität” – gemäß klar definierter und operationalisierter Prüfkriterien und -verfahren
- Partizipation – unter Beteiligung der Beschäftigten, von Gewerkschaften und NRO
- Transparenz – gegenüber Beschäftigten, Konsumenten und der allgemeinen Öffentlichkeit
Die deutsche und internationale Wirtschaftspolitik sollte darüber hinaus folgende Schritte zu einer wirksamen internationalen Regelsetzung für Transnationale Konzerne unternehmen:
- das grenzüberschreitende unternehmerische Haftungsrecht stärken,
- Konventionen und Verträge im Hinblick auf Rechenschafts- und Monitoringpflichten sowie auf transnationale Geschäftspraktiken von Unternehmen ausbauen und stärken. Dabei müssen auch Einfluss-, Klage- und Sanktionsmöglichkeiten zivilgesellschaftlicher und staatlicher Akteure stark vergrößert werden. (Konkrete Beispiele wären die Kopplung staatlicher Beschaffungspolitik sowie Export- und Investitionsförderung an strenge Berichts- und Umsetzungspflichten für deutsche Exporteure und Auslandsinvestoren).
- die Arbeit von UN-Einrichtungen wie UNCTAD zum Thema “TNCs und Corporate Accountability” wiederbeleben und ausbauen. Anlässlich des Weltgipfels für Nachhaltige Entwicklung in Johannesburg im Herbst 2002 sollte Deutschland konkrete Initiativen zur Aufnahme von Verhandlungen über ein sozial-ökologisches internationales Investitionsregime unter dem Dach der UN ergreifen.
3.2. Handelspolitische Instrumente
Auch ohne formale Sozialklausel können einige handelspolitische Instrumente sinnvoll eingesetzt werden, um durch Anreize und in Extremfällen auch Sanktionen die Durchsetzung grundlegender Arbeitsrechte zu befördern.
a) Das Allgemeine Präferenzsystem der EU
Die Systeme für präferenziellen Marktzugang für Entwicklungsländer bieten einen gewissen Spielraum für handelspolitische Anreize. Im Vorschlag der EU-Kommission für eine vereinfachte Anwendung des Allgemeinen Präferenzsystems ist vorgesehen, all jenen Ländern zusätzliche Präferenzen einzuräumen, die grundlegende Arbeitnehmerrechte, wie in der ILO-Deklaration festgelegt, gesetzlich verankert haben und effektiv umsetzen. Die Präferenzen können dabei auch auf die Sektoren beschränkt werden, in denen die Bestimmungen tatsächlich umgesetzt werden. Dagegen können Ländern sämtliche Präferenzen entzogen werden, in denen diese Rechte systematisch und dauerhaft verletzt werden. Hiermit können die Industrieländer wichtige und ökonomisch spürbare, wenn auch nicht zwingende, Signale setzen.
Nach dem bisherigen Vorschlag könnte die Zolldifferenz zwischen einem systematisch rechtsverletzenden und einem vorbildlichen Staat maximal 7% betragen. Der in der WTO gebundene Zollsatz darf jedoch nicht überschritten werden. Für Produkte, die von der Kommission als “nicht sensibel” eingestuft werden wie die meisten Industriegüter, soll der normale Präferenzzollsatz null Prozent betragen. Dann sind keine weiteren Vorzugsbedingungen mehr möglich.
b) Art XXe GATT
Art. XXe des GATT erlaubt die Beschränkung des Imports von in Strafvollzugsanstalten hergestellten Waren. In Fällen, wo Gefangenenarbeit, Zwangsarbeit und Schuldknechtschaft systematisch in der Exportproduktion eingesetzt werden, sollten unter Berufung auf Art. XXe GATT Handelsrestriktionen gegen die entsprechenden Produkte verhängt werden. Es wäre durchaus Erfolg versprechend zu argumentieren, dass diese Formen der Freiheitsberaubung der Arbeitnehmer als Gefangenenarbeit zu betrachten sind. Eine fortschrittlichen Auslegung des Art. XX durch die Streitschlichtungsgremien der WTO wäre dafür Voraussetzung. Eine entsprechende Interpretation des Artikels durch die Mitgliedstaaten sollte angestrebt werden.
c) Internationale Regeln für Freie Exportzonen
Das spezielle Problem der Verletzung von Kernarbeitsnormen in freien Exportzonen sollte im Rahmen der zu gründenden WTO-Arbeitsgruppe über Soziale Entwicklung behandelt werden: Ziel sollte ein Abkommen sein, das die Vorzugsbehandlung der dort tätigen Firmen weitgehend einschränkt. Insbesondere sollte die Unterschreitung von sonst im Land geltenden Standards in den Bereichen Soziales und Umweltschutz ausgeschlossen werden. Die Verletzung dieser Grundsätze sollte handelsbeschränkende Maßnahmen gegen die Produkte aus den Exportzonen zur Folge haben. Auch in dieser Arbeitsgruppe muß die ILO ebenso wie UNCTAD und UNEP zumindest Beobachterstatus erhalten.
4. Fazit
Die Politik der “Globalisierung” mittels Liberalisierung und Deregulierung darf nicht mehr weitergehen wie bisher. Aus Sicht deutscher Nichtregierungsorganisationen können transnationale Netzwerke, Staaten und internationale Organisationen wichtige Beiträge zur Durchsetzung von Kernarbeitsnormen und zur Förderung der sozialen Entwicklung weltweit leisten. Die WTO darf dem nicht weiter entgegenstehen und sollte daher in ihrer Macht und der Reichweite ihrer Verträge zurückgestuft werden. Es ist notwendig,
a)die im UN-System verankerten Ziele von nachhaltiger Entwicklung, Menschenrechten (einschließlich. Kernarbeitsnormen) und Umweltschutz höher zu bewerten als Liberalisierung, Deregulierung und quantitatives Wirtschaftswachstum; und
b)dieser Grundhaltung auch in institutioneller Form (ILO, multi-institutionelles Forum zur sozialen Entwicklung) sowie mittels neuer Regeln für multinationale Unternehmen und handelspolitischer Instrumente auf nationaler, europäischer und multilateraler Ebene zum Durchbruch zu verhelfen.
Ohne eine neue, umverteilungsorientierte Politik der Industrieländer gegen Armut und Menschenrechtsverletzungen im je eigenen Land und in Entwicklungsländern werden grundlegende Arbeitsrechte auch zukünftig wenig Chancen zur Realisierung haben.