Im Herbst dieses Jahres lädt der Generalsekretär der Vereinten Nationen António Guterres zu einem Welternährungsgipfel nach New York– dem UN Food Systems Summit (UNFSS). Der soll Weichen stellen, um die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) doch noch zu erreichen. Antworten auf die dringendsten Probleme des globalen Ernährungssystems sollen gefunden werden: zunehmender Hunger, Mangel- und Fehlernährung, Biodiversitätsverlust und die fortschreitende Klimakrise. Doch bei genauerem Hinsehen entpuppen sich die hehren Ziele und der Gipfel selbst als Rückschritt für Inklusivität und Partizipation. Er bietet Lobbyisten eine Spielwiese und untergräbt bestehende UN-Prozesse und Institutionen.
Grund für uns, einen genaueren Blick auf den Gipfel, seine Agenda sowie die dringendsten Herausforderungen des globalen Ernährungssystems zu werfen. Die Speicher sind voll, doch die Teller bleiben leer. Diesem Paradox kommt Roman Herre im Leitartikel auf die Spur. Er schildert eindrücklich, wie das industrielle Ernährungssystem und seine festgefahrenen, industriefreundlichen Strukturen Menschrechte untergraben, und fühlt strukturellen Ursachen auf den Zahn. Dass auch der UNFSS keine Abhilfe verspricht, darüber schreibt Martin Wolpold-Bosien. Besorgniserregend zeichnen sich problematische Verflechtungen u. a. zur „Allianz für eine grüne Revolution in Afrika“ (AGRA) ab.
In den vergangenen Jahrzehnten nahm der Einfluss von Finanzmarktakteuren und Märkten auf alle ökonomischen und gesellschaftlichen Bereiche zu. Flora Sonkin und Magdalena Ackermann betrachten die gefährlichen Prozesse der Marktliberalisierung und „Finanzialisierung“ hinsichtlich Ernährung und Landwirtschaft. Maude Barlow schildert die Entwicklung der Kommerzialisierung der Ressource Wasser und warum das kein Beitrag zur Lösung der globalen Wasserkrise ist.
Die Zeit ist reif für eine ambitionierte und umfassende agrarökologische, menschenrechtsbasierte Transformation der Ernährungssysteme.
In der Rubrik Aktuelles finden Sie diesmal finanzpolitische Artikel und die chemiepolitischen Referenten des Forums übernehmen in dieser Ausgabe die dritte Rubrik.
Ich denke, es ist wieder für jede und jeden etwas dabei. Ich wünsche Ihnen eine bereichernde und ermutigende Lektüre.
Ramona Bruck
SCHWERPUNKT
So viel Hunger – so viel Nahrung
Warum es uns nicht gelingt, das Recht auf Nahrung für alle Menschen durchzusetzen
Roman Herre
Wer steuert die Transformation der Ernährungssysteme, und wohin?
Bei der aktuellen Kontroverse um den UN-Food Systems Summit geht es um Richtungs- und Machtfragen der zukünftigen Welternährungspolitik
Martin Wolpold-Bosien
11 Schritte für eine Zukunft ohne Hunger
Welternährung 2030
Lutz Depenbusch
Ernährungssysteme als Anlageobjekt
Die Finanzialisierung von Ernährung und Landwirtschaft und ihre Folgen
Flora Sonkin und Magdalena Ackermann
Water Futures – die Zukunft des Wassers?
Eine gefährliche Form der Kommerzialisierung von Wasser
Maude Barlow
AGRA – Unheilvolle Allianz für eine grüne Revolution in Afrika
Bilanz zu einer als Anti-Armutsprogramm getarnten Lobbyorganisation für Agrarkonzerne
Josephine Koch
Fehlernährung ist Symptom einer globalen Syndemie
… und eine Folge des Zusammenwirkens von Klimawandel, Hunger und Ãœbergewicht
Dinah Stratenwerth
SaisonarbeiterInnen stärken!
Gewerkschaften und Beratungsstellen gehen neue Wege
Benjamin Luig
Krank durch Pestizide
Über das Ausmaß der globalen unbeabsichtigten Pestizidvergiftungen
Susan Haffmans
Manchmal ist weniger mehr
Wie der Abschied von Weltmärkten durch global-solidarische Regionalisierung gelingen kann
Nelly Grotefendt
Die Tierwohlabgabe als Instrument für bessere Haltungsbedingungen
Sie kann aber nur ein erster Schritt sein
Ann-Cathrin Beermann
Der Wald als Nahrungsquelle
Wie Agroforstwirtschaft zur Ernährungssicherung weltweit beitragen kann
Ulrike Bickel
AKTUELLES
Neue Spielräume für nachhaltige Entwicklung?
Die Schöpfung von Sonderziehungsrechten als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie
Manuel F. Montes
Internationale Verhandlungen um Geld und Artenvielfalt
Finanzierung und Finanzen im neuen globalen Rahmen für die Biodiversität
Florian Titze
Handel über Demokratie
Wie internationale Freihandelsabkommen der chilenischen Bevölkerung ihr Selbstbestimmungsrecht absprechen
Veronica Rossa
AUS DEM FORUM
Schluss mit Hormongiften!
NGOs fordern von der Bundesregierung, endlich die Belastung mit Hormongiften zu stoppen
Wolfgang Obenland
Aus Alt mach Öl
Doch Kreislaufwirtschaft sieht anders aus
Tom Kurz