Können wir eine Zukunft verantworten, wo Nahrung zur Kapitalanlage wird und Roboter und Drohnen unsere Kleinbäuer*innen ersetzen? Der dominante Einfluss von Konzernen und der Finanzwelt im diesjährigen UN-Welternährungsgipfel (UN-Food Systems Summit, UNFSS) am 23. September in New York gibt diesem Zukunftsbild erste Konturen. Trotz scharfer Kritik von Seiten der internationalen und nationalen Zivilgesellschaft hat die UN erstmalig die Diskussionstische für unterschiedliche Akteure – von Konzernen über Banken und philanthropischen Organisationen – mittels eines Multi-Stakeholder-Ansatzes zugänglich gemacht. Die Devise lautet: wir brauchen Finanzierungen für die kostspielige Transformation hin zu nachhaltigen Ernährungssystemen. Doch mit seinem Fokus auf Finanzierung, konzerngeprägten digitalen Technologien und Innovationen als Lösungsansätze wird der Gipfel womöglich strukturelle Probleme wie geistige Eigentumsrechte an Saatgut und Wissen, Daten- und Landraub, insbesondere im globalen Süden, noch mehr verschärfen. Letztlich handelt es sich beim Gipfel – aufgrund des fehlenden UN-Mandats und im Gegensatz zu den Ernährungsgipfeln 1996 und 2009 – um kein zwischenstaatliches Treffen, sondern lediglich um einen „Ernährungsgipfel des UN-Generalsekretärs“. Dennoch scheinen seine Anstrengungen in einem problematischen Folgeprozess zu fruchten.
Bestehende UN-Gremien wie das Welternährungskomitee (CFS), welches durch seinen Wissenschaftsbeirat (HLPE) sowie seinen zivilgesellschaftlichen Mechanismus (CSM) eines der inklusivsten, partizipativsten und demokratischsten UN-Gremien ist, wurden in den Gipfelvorbereitungen komplett außen vorgelassen. Der CFS Vorsitzende wurde nach anhaltender Kritik, und als Ausrichtung und innere Strukturen bereits feststanden, kurz vor knapp noch aufgenommen – mehr Feigenblatt als alles andere. Das Weiterbestehen des CFS und somit das einer inklusiven UN-Steuerung der Nahrungsmittelpolitik ist zudem in Gefahr. Denn geplant ist auf Basis des UNFSS Büros die Einrichtung einer neuen Koordinationsstelle für die Umsetzung der Konferenzergebnisse bei den in Rom ansässigen UN-Organisationen (FAO, IFAD, WFP). Geschieht dies, wird der CFS in seiner Rolle als explizit für Ernährungsfragen zuständiges UN-Gremium geschwächt und schrittweise in die Bedeutungslosigkeit gedrängt.
Das Weiterleben des Multi-Stakeholder-Ansatzes auch nach dem Gipfel wird äußerst kritisch betrachtet.  Die Bedenken sind groß, dass dadurch private Akteure vermehrt in UN-Entscheidungsprozesse miteinbezogen werden und der Demokratie-Abbau im UN-System weiter vorangetrieben wird. Denn die UN-Mitgliedstaaten – die ihre Legitimität vom Volk ableiten – sind die eigentlichen Entscheidungsträger in der UN. Dadurch würden private Interessen zunehmend mit öffentlichen Interessen, Menschenrechten und Staatenpflichten gleichstellt werden.
Eine echte und radikale Agrar- und Ernährungswende – basierend auf einem menschenrechts- und agrarökologisch Ansatz, könnte gerade jetzt dem sich immer mehr zuspitzenden Klimawandel und auch der drastisch steigenden Zahl an Hungernden in der Welt entgegenwirken. Die von Konzernen propagierten Ansätze im Gipfel, wie die Etablierung eines Emissionsmarktes oder eines „Soil-Investment-Hub“, scheinen jedoch eher darauf abzuzielen, mehr Anreize für Investitionen und Gewinn zu kreieren als Hunger zu bekämpfen oder den globalen Treibhausgasausstoß ernsthaft einzudämmen. Diese Methoden haben sich bereits in der Vergangenheit als fehlgeschlagen erwiesen, dennoch werden sie als „bahnbrechende“ Lösungen im Gipfel angepriesen. Dass es vorrangig die Praktiken der industriellen Intensivlandwirtschaft sind, die für die 35 Prozent des weltweiten Treibhausgasausstoßes der Ernährungssysteme verantwortlich sind, wird ebenso im Gipfel nicht thematisiert. Diesen Mangel hat auch der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Michael Fakhri, in seinem letzten Bericht thematisiert und auf die Gefahren der dadurch stets wachsende Konzernmacht hingewiesen.
Die Delegation der deutschen Bundesregierung verblieb im Vorgipfel Ende Juli aber eher schweigsam. Obwohl sie die Entstehung neuer oder paralleler Strukturen zum CFS ablehnt, gedenkt sie dennoch sogenannte Aktionsbündnisse („Coalitions of Actions“), die aus dem Gipfel heraus entstanden sind, zu unterstützen. Diese Bündnisse sind in ihrer Entstehung, Zusammensetzung und Legitimität äußerst undurchsichtig. Sie heißen gemäß dem Multi-Stakeholder-Ansatz alle interessierten Akteure im Gipfel willkommen und sollen je nach Themenschwerpunkt Regierungen zu ihren Zielen für nachhaltige Ernährungssysteme beraten dürfen.
Eine parallele Gegenveranstaltung zum offiziellen Vorgipfel, organisiert unter der Federführung des CSM, hatte die widersprüchlichen Prozesse im UNFSS öffentlich aufgezeigt und zum Boykott des Gipfels ausgerufen. Denn dieser fördert nicht nur die Institutionalisierung des Multi-Stakeholder-Ansatzes in der UN und somit dessen Enddemokratisierung, sondern legitimiert auch eine konzerngesteuerte Ernährungspolitik, welche den globalen Hunger und Klimawandel wohl noch mehr verstärken als bekämpfen wird.
Auch wenn auf dem Gipfel am 23. September keine legitimen Beschlüsse gefasst werden und der UN-Generalsekretär lediglich eine Abschlusserklärung geben wird, so hat der Gipfel bereits Prozesse angestoßen, die neue Strukturen entstehen lassen, welche unsere Ernährungspolitik womöglich noch weiter in die falsche Richtung lenken wird. Die UN-Mitgliedsstaaten müssen hier endlich ein „Halt“ ausrufen. Es braucht auch einen starken politischen Willen von der Bundesregierung, die bestehenden, inklusiven und gut funktionierenden UN-Gremien wie den CFS zu schützen und sich gegen das Entstehen eines Politikforums auszusprechen, das demokratische Prinzipien über Bord wirft und die Verantwortung von Staaten als Pflichtenträger*innen in Frage stellt.