Stellungnahme von Jürgen Maier, Geschäftsführer des Forum Umwelt und Entwicklung, im Bundestagsausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Berlin, 10.10.2018
Nicht Handel als solcher ist ein Problem oder ein Risiko. Selbstverständlich brauchen Entwicklungsländer Handel und alle anderen Länder auch. Risiken und Nebenwirkungen treten aber wie überall im Leben auf, wenn er falsch ausgestaltet wird, nämlich an den Interessen weniger statt an den Interessen aller. Genau das haben ja die Handelsminister der G20 bei ihrem Treffen am 14.9. wieder betont: die Vorteile des internationalen Handels müssen bei allen ankommen, so heißt es im Schlusskommuniqué.
Unter diesem Gesichtspunkt möchte ich mich auf die etwa 20 Freihandelsabkommen konzentrieren, die die EU-Kommission und der EU-Rat in der Pipeline haben. Was haben die Entwicklungsländer davon, wenn diese geplanten Abkommen alle Realität würden, so wie sich die EU das vorstellt?
Wichtig ist dabei vorab zu betonen, dass die Initiative für fast alle dieser Abkommen von der EU ausgeht, weniger von den Entwicklungsländern. Eine wichtige Ausnahme gibt es dabei: ein Freihandelsabkommen der EU mit China strebt China seit langem an, aber die EU lehnt das ab, aus nachvollziehbaren Gründen: die Gewinner wären sicherlich die Chinesen. Die anderen geplanten Abkommen, d.h. die EPAs mit vielen afrikanischen Ländern, Abkommen mit u.a Mexiko, Vietnam, Thailand, Malaysia, Mercosur usw. will in erster Linie die EU, nicht die Partnerländer. Diese Abkommen leiten sich letztendlich aus der „Global Europe“-Strategie der EU von 2006 ab, die 2015 noch einmal bekräftigt wurde. Diese Strategie ist die Reaktion auf die langjährige Stagnation der WTO, die man aber besser beschreiben könnte als einen erfolgreichen Widerstand der G77, also der Entwicklungsländer, gegen die umfassende Marktöffnungs- und Liberalisierungsagenda der G7 also vor allem der EU und der USA.
Diese Agenda findet sich daher in allem dem wieder, was wir über die Verhandlungsziele der EU mit den ca. 20 geplanten Freihandelsabkommen wissen, jedenfalls soweit wir das angesichts der nach wie vor ziemlich ausgeprägten Geheimhaltung dieser Verhandlungen wissen.
Neben dem weiteren Abbau von Zöllen für Waren, was aber nicht mehr so eine große Rolle spielt, ist das vor allem die weitere Marktöffnung derjenigen Märkte, die im Gegensatz zum Warenhandel noch grössere Marktzugangsbarrieren haben, also den Agrarmärkten und den Dienstleistungsmärkten sowie die öffentliche Beschaffung.
Aus entwicklungspolitischer Sicht sind diese Ziele aber nicht sinnvoll, und es ist auch schwer erkennbar, warum es im öffentlichen Interessen der Bürger Europas sein soll. Ich besuche regelmässig die Informationsveranstaltungen des Landwirtschaftsministeriums für Verbändevertreter über den Stand der Handelsverhandlungen. Die dort vorgetragenen Forderungen der Agrar- und Ernährungsindustrie entsprechen weitgehend den Verhandlungszielen der EU: Öffnung der Schweinefleischmärkte der Philippinen oder Thailands, Öffnung der Milchmärkte Asiens, Öffnung des Süsswarenmarkts Mexikos und so weiter. Wenn Sie dann fragen, was eigentlich mit den philippinischen Schweinebauern passiert, wenn wir dorthin Schweinehälften exportieren, dann bekommen Sie die amtliche Antwort des BMEL: das ist nicht unser Problem, dafür sind die Philippinen zuständig. Ja, klar, das stimmt schon. Aber da sind wir wieder bei der Eingangsfrage: welchen Interessen dient so eine Marktöffnungspolitik? Müssen wir wirklich einer gesellschaftlich immer weniger akzeptierten Massentierhaltungsindustrie, deren Absätze im Inland seit Jahren sinken, neue Absatzmärkte eröffnen?
Was die Dienstleistungsmärkte angeht, ist die EU ist weltweit der grösste Exporteur von Dienstleistungen und versucht seit langem, hier weitere Marktöffnungen durchzusetzen. Dabei geht es nicht nur darum, dass Aldi und Lidl, Banken und Versicherungen ins Land kommen, vor allem hat die EU es auch darauf abgesehen, die öffentlichen Dienstleistungen und Daseinsvorsorge, von der Post und Telekommunikation über das Wasser und Abwasser, den Energiesektor, die Müllabfuhr und so weiter zu öffnen, und zu kommerzialisieren. Der universelle Zugang aller Menschen zu diesen Basisdienstleistungen ist aber eine der Kernvoraussetzungen für Armutsbekämpfung, und ist in Gefahr, wenn damit Renditeerwartungen internationaler Shareholder bedient werden müssen. Ein zentraler Punkt ist auch die öffentliche Beschaffung. Ob ihre Öffnung für europäische Konzerne in diesen Ländern Arbeitsplätze kostet, ob die erzwungene Kommerzialisierung und Deregulierung öffentlicher Dienstleistungen wirklich so eine gute Idee ist – das sind Fragen, die sich die EU-Kommission nicht stellt und die sich der Rest der Welt längst stellt.
Lassen Sie mich noch kurz auf eine der weniger bekannten, aber fatalen Aspekte europäischer Handelspolitik in Afrika und Asien eingehen: nämlich der Art und Weise, wie regionale Wirtschaftszusammenschlüsse untergraben werden. Die Interims-EPAs der Elfenbeinküste und Ghanas mit der EU verstossen gegen den Vertrag über die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS und gefährden deren Binnenmarkt. Aus der ostafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft EAC haben 2 Länder ein Interim-EPA mit der EU, die anderen 3 nicht. Die 15 Mitglieder der südafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft SADC finden sich in vier verschiedenen EPAs mit der EU wieder. Die Verhandlungen mit der südostasiatischen ASEAN brach die EU 2009 nach nur 7 Verhandlungsrunden ab und setzt seitdem auf Einzelabkommen. Ich glaube, es ist unbestrittener Konsens in der Entwicklungspolitik, den Süd-Süd-Handel auszubauen, und dafür sind regionale Wirtschaftszusammenschlüsse – wie es die EU ja auch einer ist – natürlich unentbehrlich. Da bieten sich noch viele Chancen. Die geplanten Abkommen der EU sind in dieser Hinsicht in Afrika und Südostasien für diese Wirtschaftsgemeinschaften absolut schädlich.
Als Fazit möchte ich festhalten: In den Zielsetzungen der FHAs, die die EU in der Pipeline hat, finden sich wenig Chancen, aber viele Risiken und Nebenwirkungen für die Entwicklungsländer, aber auch für uns selbst. Die Agrar- und Dienstleistungsmärkte müssen nicht noch weiter globalisiert werden. Daher sollte angesichts der breiten gesellschaftlichen Legitimationskrise der bisherigen Globalisierungspolitik die EU-Handelspolitik einer Generalrevision unterzogen werden. Sind die teilweise über 10 Jahre alten Verhandlungsmandate noch zeitgemäß? Sollten die Ziele europäischer Handelspolitik nicht in einem breiten demokratischen und öffentlichen Diskurs neu justiert werden? Ich meine ja. Wer wenn nicht das Land mit dem höchsten Exportüberschuss der Welt wäre besser positioniert, das anzustoßen? Vielen Dank.