1  Können Sie uns einen Einblick darüber geben, wieso Sie sich seit so langer Zeit für Nachhaltigkeit engagieren?
Mein Studium absolvierte ich an der Bergakademie in Freiberg: Studiengang Tiefbohrtechnik und Erdölgewinnung, mit Abschlussdiplom. Bis Januar 1990 arbeitete ich  als Entwicklungsingenieur im VEB Hydrogeologie Nordhausen und VEB Baugrund Berlin. Ich nahm dann bis Oktober 1990 eine Tätigkeit im Umweltministerium der ehemaligen DDR ein, von Oktober 1990 bis 2005 arbeite ich dann im Bundesumweltministerium. Auf Ehrenamtsbasis setzte ich die Arbeit  im Agenda 21-Prozess und weiterhin im Ökumenischen Büro der Ökumenischen Initiativgruppe „Eine Welt Treptow-Köpenick“ bis zum heutigen Tag fort.
Parallel arbeite ich ab 1981 an dem Aufbau einer Reihe „Montagabend für alle“ mit der evangelische Stadtkirchengemeinde Köpenick. Inhaltlich kamen alle Themen zur Sprache, die sich den friedensökologischen Fragen, sowie den Fragen zum Thema Hunger in der Welt, immer im Zusammenhang, widmeten. 1982/83 entstand ein komplexes Modell zur Darstellung der Bedrohungen, Ängste, Wünsche und Hoffnungen auf der Basis des ‚Brundtland-Berichtes‘ der Nord-Süd-Kommission (2017 – 30 Jahre).
Mit diesen Voraussetzungen erfolgte ab 1986 der Einstieg in die Arbeit am ‚Konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung‘ mit den Ökumenischen Versammlungen in Dresden, Magdeburg und wiederum Dresden im April 1989. Für die 1989 erfolgten Veränderungen in der ehemaligen DDR hat besonders diese Dresdner Versammlung entscheidende Anstöße vermittelt – z.B. der Beschluss: „Mehr Gerechtigkeit in der DDR“. Die Bedeutung dieses Konziliaren Prozesses ist in der Allgemeinheit weitestgehend unbekannt, denn bereits 1983 hat die 6. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen einen Konziliaren Prozess beschlossen, das bedeutet: einen Lernweg der Christen und christlichen  Kirchen für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung!
Diese wegweisende Trias, in ihrer umfassenden Komplexität, ist in der Gesellschaft aber erst 2015 in den 17 Sustainable Development Goals der Agenda 2030 wirklich angekommen. Die Beschlüsse von Vancouver fußten auf der Feststellung aus dem Jahre 1974: Auf einer Tagung des Ökumenischen Rates der Kirchen wird erstmals die Formulierung ‘gerechte, partizipatorische und nachhaltige Gesellschaft’ gebraucht.
2 Sie arbeiten seit Jahrzehnten zu nachhaltiger Entwicklung? Schon zu DDR-Zeiten haben Sie sich für Umwelt- und Friedensfragen engagiert. Was hat Sie so lange motiviert?
Genaugenommen arbeite ich bereits seit 1981 an den Fragen einer nachhaltigen Entwicklung – ohne dass diese Begrifflichkeit dafür Verwendung fand.  Die Motivation, diesen Weg eben genauso zu beschreiten, kam aus der christlichen Botschaft der Bergpredigt von Jesus. In den Ökumenischen Versammlungen formulierten wir:
- eine vorrangige Option für die Armen,
- eine vorrangige Option für Gewaltfreiheit sowie
- eine vorrangige Option für den Schutz und die Förderung des Lebens.
Diese Botschaft ist damals – wie auch heute – revolutionär. Sie stellt damals wie heute die gesellschaftlichen Verhältnisse in Frage. Wir haben heute eine weitaus bedrohlichere Situation als 1989, die zwingend eine Veränderung erfahren muss, denn sie ist lebensbedrohend. In der ehemaligen DDR lebten 17 Millionen Menschen mit viel Unrecht, dies wurde aber im Ausland kaum sichtbar. Heute jedoch sind auch wir als reiche Nation mitverantwortlich für Armut, Hunger und Leid in dieser, unserer Welt.
Bundesminister Müller zitierte beim Kirchentag 2017 die gleiche Formulierung, wie Jean Ziegler, der da sagte: „Jedes Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet!“ Alle 5 Sekunden stirbt ein Kind unter 10 Jahren! Wenn die Dimension in ihrer grauenhaften Aussage in das Bewusstsein aufgenommen ist, gibt es zu einer nachhaltigen Entwicklung in all ihren Facetten keine Alternative.
3 Der Rio-Prozess hat mit der Agenda21 vor allem einen politischen Prozess für die lokale Ebene hervorgebracht. Was genau steckt dahinter und wie haben Sie an dessen Umsetzung mitgearbeitet?
Mit dem oben geschilderten Background sind wir, eine kleine Gruppe gleichgesinnter Christen aus dem Bezirk Köpenick (heute Treptow-Köpenick) von Berlin, 1993 auf die Bezirksverwaltung zugegangen und haben einen Vorschlag unterbreitet: „Umwelt und Entwicklung – Anstöße zum Handeln im Bezirk Köpenick“, in dem der Konziliare Prozess gleichgestellt dem Agenda 21-Prozess von Rio de Janeiro- , einfließen sollte.
Uns standen durch das BMU aktuelle Informationen zur Agenda 21 zur Verfügung.Es galt nun, die Agenda 21 als ein bezirkliches Dokument zu entwickeln und das Kapitel 28 – die Mitwirkung der Kommunen -, umzusetzen. Ab Oktober 1993 begann, gestützt auf diese zwei Prozesse, ein steiniger Weg mit dem Ziel der Verabschiedung einer „Lokalen Agenda 21“. Erst 2004 wurde durch das Bezirksamt Treptow-Köpenick und die BVV diese Lokale Agenda 21 tragfähig. Wir haben als eigenständige „Säule III“-Ökumene an verschiedenen Themen gearbeitet, u.a. entstand der erste „Interkulturelle Garten“ – der Wuhlegarten – in Berlin. Heute gibt es ca. 60 solche Gärten in Berlin.
4 Rückblickend auf die letzten 25 Jahre, ist die Welt nachhaltiger geworden? Und was treibt Sie an, weiter an den Themen der Nachhaltigkeit zu arbeiten?
Die Welt kann in einem kapitalistischen System, in dem es ausnahmslos um Gewinnmaximierung durch „grenzenloses“ Wachstum geht, nie und nimmer nachhaltiger werden. Nur – und das sei noch einmal betont – durch eine Systemänderung und eine konsequente Änderung der Wirtschaftsweise sowie aller Denk- und Konsumstrukturen, ist eine Änderung hin zu einem solidarischen und ökonomischen System überhaupt möglich. Dazu gibt es keine Alternative. Die Zahlen und Fakten zu Klima-, Rüstungs- und Wirtschaftsfragen in Bezug auf die Ausbeutung der Ressourcen, in jederlei Hinsicht, liegen uns vor – wie eine Anklage! Gut zusammengefasst von Bundesentwicklungsminister Müller 2015: „Wir, die 10% auf dem Globus an Bevölkerung, wir besitzen 90% des Vermögens und wir verbrauchen nahezu 80% der Ressourcen, also unser Wohlstand begründet sich auf den Ressourcen ganz besonders der Entwicklungsländer Afrikas. Öl, die Erze … kein Handy kann funktionieren ohne diese Länder. Und hier müssen wir zu einer neuen fairen Partnerschaft kommen. Wir müssen neu teilen lernen.“ Auf Grund dieser Fakten ist jeder aufgefordert, das Thema ‘Nachhaltigkeit’ ernst zu nehmen, seinen Lebensstil zu überdenken und sich zu engagieren.
Dr. Klaus Wazlawik arbeitete lange Jahre im Bundesumweltministerium. Er engagiert sich bis heute im Agenda 21-Prozess und weiterhin im Ökumenischen Büro der Ökumenischen Initiativgruppe „Eine Welt Treptow-Köpenick“.