Vorwort
Wasser steht spätestens seit der Ausrufung der ersten Wasserdekade in Mar del Plata im Jahre 1980 auf der internationalen Agenda. Seitdem sind in vielen Regionen die nutzbaren Süßwasserressourcen knapper geworden. Ihre Qualität verschlechterte sich weltweit. Immer mehr Menschen leiden unter akutem Trinkwassermangel und erkranken durch den Konsum von verschmutztem Wasser.
Die Übernutzung und Verschmutzung von Oberflächen- und Grundwässern gefährden nicht nur weitere Menschenleben und die Chancen auf menschenwürdige Lebensverhältnisse, sie schränken auch die Vielfalt und die Produktivität der Ökosysteme immer weiter ein. Angesichts des zumeist durch landwirtschaftliche Übernutzung, aber auch durch steigende Bevölkerungszahlen stark anwachsenden Wasserverbrauchs zeichnen sich über die bereits vorhandenen Mangelregionen hinaus dauerhafte Konflikte um die Nutzung von Wasser ab.
Die Kompetenz und der Wille zur Bewältigung des strukturellen Dilemmas konnten mit der Entfaltung der Probleme nicht Schritt halten. Immer häufiger wird der Zugang zu Wasser durch Gewalt und Drohung mit militärischer Macht bestimmt. Die Lösung der Wasserfrage lässt sich nicht auf die Frage reduzieren, wie Finanzmittel beschafft und an welche Klientelgruppen sie verteilt werden. Ebenso wenig können vereinheitlichte Technikkonzepte und wirtschaftspolitische Modelle differenzierte und nachhaltige Entwicklungsprozesse gewährleisten. Vielmehr bedarf es einer integrierten Betrachtung der Ökosysteme, eines nachhaltigen Umgangs mit der Ressource Wasser und daraus hervorgehend neuer partnerschaftlicher Allianzen, um die Funktionsfähigkeit des aquatischen Naturhaushalts zu erhalten und somit menschliche Bedürfnisse dauerhaft befriedigen zu können.
Nationale Strukturpolitik und globale Entwicklungspolitik sind, wenn sie auf Dauer erfolgreich sein wollen, nicht von der Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen zu trennen. Wasser ist dabei – wie auch die Agenda 21 unterstreicht – ein Schlüsselfaktor mit Querschnittsfunktionen. Deutsche Nichtregierungsorganisationen haben sich im “Forum Umwelt und Entwicklung” zusammengeschlossen, um im eigenen Land und in ihren internationalen Aktivitäten die Bedingungen für eine nachhaltige Wasser- und Umweltpolitik im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit zu fördern. Das vorliegende, für die Internationale Süßwasserkonferenz in Bonn im Dezember 2001 ausgearbeitete Positionspapier ist Ausdruck dieser Absicht.
Wasser – eine unentbehrliche und gefährdete Lebensgrundlage
1. Wasser im Naturhaushalt
Wasser ist neben Sonnenlicht der entscheidende Prozessor von Stoff- und Energietransporten von interkontinentalen bis zu interzellulären Dimensionen. Ihre Aufrechterhaltung bewahrt Leben in seiner natürlichen Umgebung, sichert die Vielfalt der Ökosysteme und der Arten und die Bedingungen weiterer Evolution. Wasser ist darüber hinaus ein naturgestaltendes Element, das jenseits des unmittelbaren Nutzens von den Menschen als Symbol des Lebendigen verstanden wird.
Wasser und die von ihm geprägten und erhaltenen Lebensräume sollten um ihrer selbst willen geschützt und bewahrt werden, wie auch die Bio-diversitätskonvention von Rio fordert. Im ständigen natürlichen Kreislauf des Wassers erfüllen unterschiedliche Ökosysteme unersetzliche Funktionen, sichern einen stabilen Landschaftswasserhaushalt und ermöglichen damit erst die Nutzung des Wassers durch den Menschen. Nur in den Grenzen dieses natürlichen Kreislaufs kann Wasser als “erneuerbare Ressource” angesehen werden. Und nur eine darauf abgestimmte nachhaltige Nutzung kann das produktive Zusammenspiel von Wasser und Natur auf Dauer erhalten.
Zu den wichtigsten natürlichen Funktionen des Wasserhaushalts und der von ihm abhängigen Ökosysteme gehören der Wasserrückhalt in Wäldern, natürlichen Überschwemmungsgebieten und speicherfähigen Bodenschichten und die Erneuerung und Selbstreinigung von Flüssen, Seen und des Grundwassers.
2. Wasser in Wirtschaft und Gesellschaft
Wasser ist Überlebensmittel und ein entscheidender Faktor für die wirtschaftliche Entwicklung. Die organisierte und sichere Verfügung über Wasser ist für dauerhafte menschliche Siedlungsgemeinschaften unerlässlich. Wasserwirtschaft bedarf deshalb seit den frühen Hochkulturen einer intelligenten gesellschaftlichen Organisation. Ihre Effizienz bemisst sich nicht an Produktionsziffern, sondern an dem dauerhaften Nutzen für alle Mitglieder der Gesellschaft und an der Sicherung eines reproduktionsfähigen Naturhaushalts.
Statt als ägide hochspezialisierter Techniker und Ingenieure sollte Wasserwirtschaft entsprechend den Vernetzungen des Wasserhaushalts als integrative Gesamtaufgabe verstanden werden. Basis für ihr Gelingen sind offene Information, Teilhabe der Bürger an Entscheidungsprozessen und gemeinsame gesellschaftliche Wertsetzung. Der optimale Umgang mit Wasser ist daher weit mehr als eine Frage wirtschaftspolitischer Konzepte.
Historische Erfahrungen und die Stabilitäts-, Gesundheits- und Entwicklungserfordernisse größerer Gemeinschaften haben fast überall auf der Welt zur Organisation der Wasserver- und Abwasserentsorgung in der Verantwortung von Städten und Gemeinden geführt. Damit sind Ansprüche an Wasser als gemeinsames Gut verbunden, die in europäischen Nationen als Teil der Daseinsvorsorge verstanden werden. Die gemeinwohlorientierte Verfügung über Wasser ist ein gemeinsames Erbe.
Die Begegnung mit dem Lebenselement Wasser in seinen vielfältigen Funktionen und seinem ästhetischen Wert hat sich in den Kulturen der Völker vielfältig niedergeschlagen. Je lebendiger diese Traditionen sind, desto stärker ist die Wertschätzung des Wassers ausgeprägt. Es gilt, den gesellschaftlichen Wert des Wassers gegen eine rein technische und zweckrationale Sichtweise abzugrenzen, zu bewahren und in ein lebendiges Verständnis von Nachhaltigkeit hineinzuführen.
3. Gefährdungen der Gewässer, des Wasserhaushalts und der Wassernutzung
Süßwasser ist auf der Welt von Natur aus sehr ungleichmäßig verteilt, doch haben sich die Menschen erfindungsreich auf die lokalen Bedingungen einzustellen gewusst. Industrialisierungsprozesse, Bevölkerungswachstum, Migrationsbewegungen und die Ausdehnung von Welthandel und Kapitalverkehr überlagern jedoch den angepassten lokalen Umgang mit Wasser immer mehr. Verschärfend kommen die weltweit voranschreitende Übernutzung und Schädigung der aquatischen Ökosysteme hinzu, die weitreichende, zum Teil irreversible Beeinträchtigungen der Süßwasserressourcen verursachen.
In den Ländern des Südens folgt die Wasser-nutzung oftmals einem von außen auferlegten Wachstumsmodell, das die bereits vorhandene Verknappung und Endlichkeit der Ressourcen weitgehend ignoriert. Die daraus entstehenden Probleme werden verschärft, weil in Ländern des Südens aufgrund wirtschaftlicher, politischer, kultureller und technologischer Abhängigkeiten von Ländern des Nordens, wegen sogenannter ungleicher Entwicklung, wegen fehlender Teilhabe der Bevölkerungsmehrheit an Entscheidungs prozessen sowie Mangel an sozialer Gerechtigkeit keine nachhaltige, d.h. am Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und den Interessen der Bevölkerung orientierte Politik entwickelt wird. Weitere Aspekte wie Bevölkerungswachstum, Urbanisierungsprozesse, wasserintensive wirtschaftliche Tätigkeit und mangelnder Technologietransfer verschärfen das Problem.
In den Staaten der ehemaligen Sowjetunion und den meisten osteuropäischen Staaten hat der Zusammenbruch der Zentralverwaltungswirtschaft überwiegend bestehende Mängel verstärkt und durch den Wegfall staatlicher Fürsorgefunktionen neue geschaffen. Den Kommunen fehlen Geld und das Fachwissen, um die übernommenen Ver- und Entsorgungsaufgaben befriedigend lösen zu können. Die zum Teil begonnene Privatisierung konzentriert sich auf großtechnische Lösungen und vernachlässigt nicht rentable Bereiche vor allem auf dem Land. Der Schutz der Umwelt und der Wasserressourcen ist ebenso schwach ausgeprägt wie die demokratische Teilhabe der Bevölkerung an wasserwirtschaftlichen Entscheidungen.
Systematische Vergleiche und Übersichten über die unterschiedlichen Bedingungen weltweit sowie daraus zu ziehende Schlussfolgerungen sind sehr schwierig. Natürlich gibt es für die krisenhaften Wassersituationen verschiedener Regionen und Staaten keinen einheitlichen Erklärungs- und Lösungsansatz. Dennoch zeichnen sich gemeinsame Grundmuster ab, wie im Folgenden gezeigt werden soll.
Konkrete Gefährdungen
Problemkreis I: Wasserbau mit massiven Eingriffen
Auf der ganzen Welt wurden und werden die natürlichen Flussläufe durch Eindeichung, Verbauung der Ufer, Errichtung von Talsperren, Staudämmen und Wehren sowie durch Be- und Entwässerungsmaßnahmen stark verändert und in ihrer ökologischen Vielfalt weitgehend eingeschränkt. Das betrifft nicht nur die Flussläufe selbst, sondern auch deren ursprüngliche, vom Wechsel zwischen Hoch-, Mittel- und Niedrigwasser geprägten Überschwemmungsgebiete, die Flußauen. Die damit verfolgten Ziele waren und sind neue Flächen für die Landwirtschaft, Siedlungen, Schifffahrt, Wasserkraftnutzung und der Schutz menschlicher Nutzungsansprüche vor Hochwasser.
Weltweit zerschneiden bereits 45.000 große (über 15 m Stauhöhe und/oder über drei Millionen Kubikmeter Stauvolumen) und 800.000 mittlere und kleinere Staudämme den freien Lauf der Flüsse. Jeder Staudamm greift in die Kontinuität des Flussökosystems ein, zerstört Auen, überflutet Flächen und trägt zum Aussterben von Tieren und Pflanzen bei.
Großflächige Versiegelung im Bereich von Siedlungen und die Abholzung der Wälder sowie die Kanalisierung und Begradigung von Flüssen führen zu erhöhtem Hochwasser-Risiko und zur Verringerung der lokalen Grundwasserneubildung. Den umfassenden Nutzungsansprüchen mussten und müssen viele Feuchtgebiete außerhalb der Flussauen weichen: Sümpfe, Moore, Quellen. Mit ihnen gehen ihre Funktionen als Nährstoffsenke, Biotope eigener Art und Wasserspeicher verloren. Viele Seen leiden unter Verschmutzung, Überdüngung oder übermäßiger Wasserentnahme.
Die industrialisierten Länder des Nordens verdanken es vor allem ihrer Finanzkraft und Technik, dass trotz massiver Eingriffe in den natürlichen Wasserhaushalt eine qualitativ und quantitativ hinreichende Trinkwasserversorgung im wesentlichen gesichert ist. Denn auch verschmutztes Wasser kann mit entsprechendem technischen Aufwand zu Trinkwasser aufbereitet werden. Mit solch nachsorgender Technologie ist jedoch weder Vorsorge für die Gesundheit der Verbraucher noch für die Stabilisierung der Ökosysteme m&ou ml;glich. Im Interesse einer nachhaltigen Bewirtschaftung der Gewässer dürfen auch weiterhin die Qualitätsziele für das Trinkwasser und für die Gewässer nicht voneinander getrennt werden.
In den Ländern des Südens, wo die Möglichkeit zur technischen Reparatur an fehlenden Finanz-mitteln scheitert, schlagen die Folgen von Verschmutzung und aggressiver Verbauung direkt auf die Versorgung der Bevölkerung mit einwandfreiem Trinkwasser durch. Die für die Trink-wasserversorgung ohne größeren Kapitalauf-wand nutzbaren Gewässer werden immer knapper. Ein besonderes Problem bildet die Nutzung und absehbare Erschöpfung nicht erneuerbarer, fossiler Grundwässer in ariden und semiariden Gebieten.
Problemkreis II: Verschmutzung
Ohne eine drastische Verringerung der weltweit zu verzeichnenden Gewässerverschmutzung ist eine nachhaltige Wasserwirtschaft nicht zu erreichen.
Angefangen von der ökologisch bedenklichen Verfrachtung von Nährstoffen in Siedlungs- und Industrieabwässern und den massiven Düngemittel- und Pestizidabschwemmungen aus der Landwirtschaft bis hin zu den Millionen Tonnen synthetisch hergestellter Chemikalien, die direkt oder auf Umwegen in die Gewässer gelangen: Die Binnengewässer und Uferzonen der Meere sind hochgradig gefährdet und in ihrer ökologischen Funktion gestört.
Selbst die EU-Länder sind trotz einiger Erfolge bei der Verringerung der Gewässerbelastungen aus Siedlungsabwässern und der industriellen Produktion noch weit entfernt von dem Ziel, die Belastungen der Gewässer mit gefährlichen Schadstoffen auf ein Maß nahe Null bzw. nahe den natürlichen Hintergrundwerten zu vermindern, obwohl dieses Ziel in internationalen Mee-resschutzabkommen wie HELCOM (Ostsee) und HOSPAR (Nordostatlantik) bereits von den An-rainerstaaten vereinbart wurde.
Die Disparitäten in den Ländern und Regionen des Südens werden durch Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum, unangepasste Wassernutzung, außerordentlich hohe Wasserverluste durch undichte Leitungssysteme und Verdunstung aufgrund ineffizienter Bewässerungssysteme verschärft. Hinzu kommen die Zerstörungen natürlicher Wasserkreisläufe durch Abholzungen, Bodenerosion, Bodendegradation, Bergbau und Klimaveränderungen. Letztere werden je nach Region zu weniger oder kurzzeitig überhöhten Niederschlägen führen, jeweils mit Störungen der Wasserhaushalte und der Nutzungsmöglichkeiten verbunden.
Problemkreis III: Falsche Entwicklungsansätze
Einige der vom Norden geförderten Entwicklungsprojekte mit ihrem hohen Einsatz von Tech-nik und Kapital – etwa Großstaudämme oder Bewässerungslandwirtschaft – haben die Wasserkrise noch verschärft. Zudem gingen sie vielfach mit gravierenden Menschenrechtsverletzungen einher. Auf die schwerwiegenden sozialen und ökologischen Auswirkungen weist u.a. der Bericht der World Commission on Dams hin, der im November 2000 vorgestellt wurde: Danach wurden zwischen 40 und 80 Millionen Menschen wegen Staudammbauten umgesiedelt – oft gegen ihren Willen – oder vertrieben. Aus dieser Vergangenheit gilt es, Konsequenzen für zukunftsfähige Projekte zu ziehen.
Großflächige Kanalisation und Bewässerungs-landwirtschaft, nach dem Muster der Industrie-länder, sind zudem keine übertragbaren Lösungen, da sie unter anderem ausreichend Wasser voraussetzen. Die industrielle Bewässerungslandwirtschaft, die weltweit 70 Prozent des Wassers beansprucht, trägt mit hohem Verbrauch, Verschwendung und Ineffizienz wesentlich zu Wassermangel und ungleicher Verteilung bei. Gerade in der Exportlandwirtschaft, die durch die multi-und bilaterale Entwicklungszusammenarbeit und die Verlagerung von (Nahrungs-)Produktion in Entwicklungsländern (Soja) gefördert wird, ist der Wasserverbrauch sehr hoch und führt zu einem indirekten “Wasserexport”.
Problemkreis IV: Privatisierung der Trinkwasserversorgung
Mit der Verknappung der Ressourcen, den ungleichen Zugangsmöglichkeiten und mangelnder Partizipation wächst die Verteilungskonkurrenz zwischen verschiedenen Nutzungsformen und Nutzergruppen. Sowohl innerstaatliche als auch zwischenstaatliche Konflikte um Wasser drohen zuzunehmen. Zahlreiche aktuelle und potentielle Konfliktregionen liegen in Ländern des Südens.
In manchen Ländern hat der Staat seine Aufgabe, Wasser für alle zu akzeptablen Bedingungen bereitzustellen, nicht erfüllt. Das kann an Missmanagement, Korruption und Fehlinvestitionen liegen, aber auch an öffentlicher Armut durch falsche oder übereilte Strukturanpassungs-politik, Überschuldung, rückläufige Entwick-lungsgelder und sinkende Exporteinnahmen.
Manche Regierungen, aber auch Entwicklungsorganisationen setzen seit einigen Jahren vorrangig darauf, die Wasserprobleme durch eine Beteiligung global tätiger privater Versorgungsunternehmen lösen zu können.
Erwartet werden von diesen Firmen Mittelzuflüsse für neue oder die Ertüchtigung alter Anlagen, das erforderliche technische und betriebliche Know-how, Effizienzsteigerungen und längerfristiges Engagement. Diese Ausrichtung unterstützen die Weltbank, der Internationale Währungsfonds und die bilaterale Entwicklungspolitik einschließlich der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Gefordert wird, dass sich der Staat darauf beschränkt, die Rahmenbedingungen für die Tätigkeit privater Investoren zu verbessern.
Von den internationalen Kreditgebern sind damit zum Teil Forderungen für die Umgestaltung der Volkswirtschaften verbunden, die der Sicherheit der Investoren dienen und zumindest kurzfristig von den ärmeren Teilen der Bevölkerung die meisten Opfer verlangen. International wird auch über die Welthandelsorganisation WTO versucht, den Welthandel im Dienstleistungssektor von Wettbewerbsschranken zu befreien (GATS-Verhandlungen) und die Wasserwirtschaft in die globale Kapitalvermarktung einzugliedern.
Die Ökonomisierung und Kommerzialisierung der Wasserwirtschaft hat eine Reihe von Nachteilen. Die Vermarktungsstrategien machen Wasser zur Ware, deren Marktfähigkeit nicht den Bedürfnissen der Menschen und den natürlichen Ressourcenbedingungen angepasst wird, sondern den Gewinninteressen von Aktionären und den Machtinteressen von Großfirmen. Sie verbinden sich in der Praxis mit den Interessen zahlungskräftiger Kunden insbesondere in den Metropolregionen, in der Industrie und der Intensiv-landwirtschaft, während die armen Bevölkerungsgruppen, die städtischen Slums und die ländlichen Gebiete zu kurz kommen. Auch an der dringend erforderlichen Verbesserung der Abwassersituation in den Entwicklungsländern zeigen private Konzerne wenig Interesse, ebenso wenig an Unterhaltungsmaßnahmen bei älteren Anlagen.
Die starke Kapitalisierung der Wasserwirtschaft in der Hand der Privatwirtschaft begünstigt fast immer die Bevorzugung teurer Projekte mit aufwendiger Technik. Sie verstärken die wirtschaftliche Abhängigkeit ärmerer Länder und vernachlässigen gerade jene Projekte und Entwicklungsformen, die Aussicht auf Nachhaltigkeit bieten. Das sind vor allem kostengünstige, dezentrale, basisnahe und historisch erprobte und bewährte Lösungen, zum Beispiel die Regenwassernutzung. Nur solche sind an die Bedürfnisse und Erfordernisse ärmerer Bevölkerungsgruppen und Gebiete angepasst.
Kapital- und Technikkonzentration in privater Hand schwächen die lokalen Alternativen, nämlich die Fortentwicklung der kommunalen Wirtschaft, die Bildung genossenschaftlicher Organisationen, den kontinuierlichen Aufbau von Erfahrungswissen, Solidarität unter den Verbrauchern und die demokratische Teilhabe an Entscheidungsprozessen.
Den immer wieder formulierten Anspruch, das Wasserdilemma der Armen zu lösen und die Weltwasserkrise zu bewältigen, werden private Wasserkonzerne nicht erfüllen, denn:
Liberalisierung und Privatisierung
- führen weltweit zu einem Verlust der ge-meindlichen, demokratisch legitimierten Kontrolle über die Wasserversorgung,
- begünstigen eine erweiterte Monopolbildung durch Firmenkäufe und Zusammenschlüsse,
- verstärken die Abhängigkeit von ausländischen Kapitalgebern, die dennoch versuchen, ihr wirtschaftliches Risiko abzuwälzen
- befördern die einseitige Ausrichtung von strategischen Optionen der Wasserbeschaffung und Wasseraufbereitung an ökonomischen Kriterien und Interessen,
- gefährden lokale Wasserkreisläufe durch hohe Entnahmen für Fernwasserversorgungen,
- gefährden die in einigen Ländern erreichten sehr hohen Qualitätsstandards durch ausschließlich monetär ausgerichtete Profitmaximierung,
- tragen zum Verlust von fachlichen Know-How bzw. tradiertem Wissen bei,
- gefährden lokales Interesse an vorsorgendem Ressourcenschutz und nachhaltiger Ressourcenbewirtschaftung.
In der Bundesrepublik Deutschland hat die Wasserversorgung, die noch zu über 85 Prozent in öffentlicher Hand liegt, ein im internationalen Vergleich sehr hohes Qualitätsniveau erreicht. Das betrifft die Qualität des Trinkwassers einschließlich der Beachtung des Minimierungsgebots für Schadstoffe, die Qualitätsüberwachung des Roh- und Reinwassers, die Sicherheit und Qualität der Anlagen, die technische und organisatorische Kompetenz und die Bemühungen um einen flächendeckenden Gewässer-, insbesondere Grundwasserschutz. Die Wasserversorgung versteht sich als Teil einer integralen kommunalen Umweltpolitik.
Dieses auch im kommunalen Verwaltungsrecht stark verankerte System ist durch Aufkäufe und Beteiligungen seitens privater Großfirmen und durch politische Bestrebungen zur Einführung von Wettbewerb und vorgeblicher Kostensenkungen unter Druck geraten. Von vielen Seiten werden durch Liberalisierungen und Privatisierungen und die damit verbundene Kommerzialisierung der Wasserversorgung Einbußen vor allem an der Wasserqualität, am Gewässerschutz, an der bewährten strukturellen Vielfalt und einer nachhaltigen Betrachtung der Wasserwirtschaft befürchtet. Dagegen hat sich ein breiter Widerstand gebildet.
Forderungen und Vorschläge
Die natürlichen Belastungsgrenzen von Ökosystemen lassen sich nicht erweitern. Sie müssen beachtet und die Ökosysteme in ihren Naturfunktionen auch im Interesse menschlicher Bedürfnisse erhalten werden.
Nachhaltiger Umgang mit Wasser soll
- über die unmittelbar genutzten Wasserres-sourcen hinaus die klein- und großräumige Vernetzung der aquatischen Ökosysteme beachten und ihre vielfältigen Funktionen erhalten,
- Verschmutzung, Verbauung, Übernutzung und andere nachteilige Veränderungen von Gewässern und Feuchtgebieten vermeiden oder nach den Umständen so gering wie möglich halten,
- nationale und internationale Standards für die Erhaltung und Wiederherstellung der Gewässergüte und Gewässerökosysteme setzen, wo diese fehlen oder nicht ausreichen,
- die Gewässer im Sinne der europäischen Was-serrahmenrichtlinie in ihren natürlichen groß-räumigen Zusammenhängen (Einzugsgebieten) als Schutzziel definieren,
- Wasserverschwendung vermeiden, effiziente Wassernutzung im jeweiligen Anwendungsbereich fördern und Ressourcen nachhaltig bewirtschaften.
Ebenso notwendig für die Bewahrung der Süßwasser-Ökosysteme ist es, strukturelle Eingriffe, die oft irreversibel und meist nicht ausgleichbar sind, in Zukunft mehr als bisher zu prüfen, zu unterlassen oder zu minimieren. Das betrifft Staudämme, Kanalisierung von Flüssen, Abtren-nung von Auensystemen, Trockenlegung von Feuchtgebieten und große Bewässerungsprojekte in Gebieten mit Wassermangel.
Generell sollte die Beanspruchung der Ressourcen vermindert werden. Das kann die Einstellung wasserintensiver Produktionsweisen insbesondere in der Landwirtschaft in dafür nicht geeigneten Gebieten bedeuten, wobei die kurz-und langfristigen volkswirtschaftlichen Kosten beachtet werden müssen.
- Wasserwirtschaftliche Projekte dürfen nicht isoliert betrachtet werden. Sie sind kein Instrument zur Exportförderung der einschlägigen Industrien und Dienstleister und sollen nicht den Rück- oder Abfluss von Kapital aus den Empfängerländern generieren. Eine zielgerichtete fachliche und politische Organisation der Wasserwirtschaft in den jeweiligen Ländern ist für die nachhaltige Entwicklung des Wasser- und Abwassersektors unverzichtbar. Sie sollte durch Kooperationen auf nichtkommerziellen Ebenen mit dem Ziel gestärkt werden, die Teilhabe der Bevölkerung und einzelner Gruppen an Planungs- und Entscheidungsprozessen zu schaffen und auszubauen, lokales Know-how zu fördern und dauerhaft zu sichern. Dies ist auch die Aufgabe einer breit angelegten interdisziplinären Bildungsarbeit, bei der sich umwelt- und entwicklungspolitische Aktivitäten verbinden sollten.
Insgesamt müssen Prozesse des staatlichen Handels auf allen Ebenen transparenter und offener für die Aufnahme partizipativer Elemente werden.
Die Forderungen an die Entwicklungszusammenarbeit ergeben sich aus den bisherigen Erfahrungen.
- Da die Beteiligung des ausländischen privaten Sektors entwicklungspolitisch mehr Gefahren und Nachteile als Chancen birgt, sollte die öf-fentliche Entwicklungszusammenarbeit ihre Unterstützung von Großkonzernen mit Mitteln der Entwicklungszusammenarbeit überprüfen und gegebenenfalls einstellen.
- Statt dessen sollte sie die Realisierung von Alternativen fördern. Dazu gehören u.a. eine Stärkung der Fähigkeiten des Staates und der Kommunen, ihre Pflicht zur Daseinsvorsorge für alle Bürger zu erfüllen, die verstärkte Förderung öffentlicher, kommunaler Wasserversorger und die Entwicklung und Umsetzung basisnaher Lösungen unter Beteiligung der Bevölkerung.
- Wasserverbrauch und Wasserversorgungssys-teme der wasserreichen Regionen dürfen nicht als Modell auf die ganze Welt übertragen werden.
- Die Prinzipien der World Commission on Dams müssen als Mindeststandard für die Planung und Realisierung von Wasserbauprojekten anerkannt und umgesetzt werden, wobei von den gesamtökologischen Nachteilen von Stau-dämmen und Flußverbauungen nicht abgese-hen werden darf. Wir sehen dabei folgende Prioritäten:
- Information und Transparenz, insbesondere bei Projekten mit deutscher Beteiligung,
- Verminderung der sozialen und ökologischen Probleme durch bereits gebaute Staudämme,
- Überprüfung aller in Planung oder Umsetzung befindlichen Großstaudämme und ein Stopp weiterer Förderung bis zum Nachweis einer Umsetzung der WCD-Empfehlungen,
- Stärkere Förderung von Alternativen im Be-reich der nachhaltigen Energie- und Wasserversorgun g durch dezentrale und Kleinpro-jekte, verbunden mit der Förderung alternativer, auch ökonomisch und sozial nachhaltiger Produktionsweisen und Produkte.
Es gilt, das Menschenrecht auf Wasser weltweit anzuerkennen!
Sauberes Trinkwasser ist eine Grundbedingung für menschliches Überleben. Seine sichere und bezahlbare Bereitstellung ist deshalb eine humane und soziale Grundforderung und ein vorrangiges Ziel staatlicher Entwicklung. Voraussetzungen dafür sind u.a. die Anerkennung des Rechts auf Wasser und eine lokale Kontrolle über den Schutz und die gerechte Verteilung der Ressourcen.
Die Garantie des Grundrechts auf Wasser bedarf über mögliche Kodifizierungen hinaus eines wirksamen Regelwerks, das nationale und inter-nationale Institutionen und private und öffentliche Wirtschaft bindet.
Alle gesellschaftlichen Gruppen sind aufgerufen, dazu beizutragen, dass in Ländern des Nordens wie des Südens Wasserfragen und ihre nachhaltige Lösung hohe Priorität erlangen und die öffentliche Diskussion darüber gefördert wird.