1 Du arbeitest seit Beginn an, am Rio-Prozess und hast schon den ersten Gipfel 1992 mitverfolgt. Bist du frustriert oder motiviert, wenn du auf die letzten 25 Jahre blickst?
Wenn ich völlig frustriert wäre, würde ich mich mit den Themen von Rio vermutlich nicht mehr beschäftigen. Richtig ist allerdings auch, dass wir in vielen Bereichen, vom Klimaschutz bis zur Finanzmarktregulierung, nicht die Fortschritte sehen, die eigentlich nötig wären. Die Beharrungskräfte derer, die vom Status quo profitieren, sind nach wie vor enorm. Angesichts der globalen Probleme ist aber das Gejammere über die eigene Schwäche und die Übermacht der Wirtschaftslobby für mich keine Option. Es gilt weiterhin, die Prinzipien und Ideen, die auch der Agenda 21 zugrunde liegen, gesellschaftlich mehrheitsfähig zu machen.
2 Mit den SDG hat der Rio-Prozess neue Relevanz gewonnen. Im Hinblick auf die Agenda21 stellt sich dennoch die Frage, ob nicht einfach immer wieder neue Prozesse aufgelegt werden, die dann eh nicht umgesetzt werden. Was meinst du, haben die SDG eine Chance Realität zu werden? Und was bräuchte es dafür?
Im Vergleich zu den internationalen Entwicklungsagenden der Vergangenheit handelt es sich bei der Agenda 2030 und den SDGs um etwas substantiell Neues: Zum ersten Mal wurden nicht Ziele für die armen Länder des Südens formuliert, um diese zu “entwickeln”. Das Neuartige der SDGs besteht darin, dass sie auch die Notwendigkeit der fundamentalen Veränderungen in den reichen Ländern betonen, also auch bei uns in Deutschland. Aber gleichzeitig verlieren sie auch die internationale Verantwortung Deutschlands nicht aus den Augen. Damit sich der universelle Ansatz der SDGs aber in realer Politik niederschlägt, darf die Agenda 2030 nicht allein Sache der Umwelt- und Entwicklungspolitik bleiben. Die Entwürfe der Bundestagswahlprogramme praktisch aller Parteien zeigen jedoch, dass diese banale Einsicht in der Politik noch nicht angekommen ist. Die SDGs haben aber nur dann eine Chance auf Realisierung, wenn sie nicht länger ein politisches Nischenthema bleiben.
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3 Eines der Dinge, die sich seit Beginn der 1990er vor allem im Globalen Norden immer weiter herausgebildet haben, ist die Akzeptanz und Beteiligung von NGOs an politischen Prozessen. Wie bewertest du diese Entwicklung?
Ich sehe diese Entwicklung mit gemischten Gefühlen. Einerseits ist es natürlich gut und richtig, zivilgesellschaftliche Gruppen in politische Prozesse einzubeziehen – sowohl auf UN-Ebene als auch in Deutschland. Ich selbst habe mich dafür nach der Rio-Konferenz stark gemacht. Andererseits stellen wir nach 1992 einen regelrechten “participation overkill” statt: NGOs werden an unzähligen Dialogprozessen und Partnerschaftsinitiativen mit Regierungen und Wirtschaft beteiligt, erhöhen die Legitimation dieser Prozesse, haben aber de facto kaum Einfluss auf die Ergebnisse. Wir müssen uns immer wieder klar machen, dass soziale und ökologische Fortschritte meist Ergebnis harter gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und breiter sozialer Bewegungen waren. Auf Konsens ausgerichtete Dialogprozesse können allenfalls als komplementäres Instrument in einer Gesamtstrategie sinnvoll sein, die – wenn es nötig ist – auch die offene Konfrontation mit Wirtschaft und Regierung vorsieht.
Jens Marten ist ist seit 2014 Geschäftsführer des Global Policy Forums (New York) und zugleich seit 2004 Geschäftsführer von Global Policy Forum Europe (Bonn) (www.globalpolicy.org).