Nachhaltige Entwicklung ist ein Begriff, der seit seiner Erfindung im Brundtland-Report und seiner Popularisierung in der Agenda 21 von Rio ungefähr so nichtssagend geworden ist wie Freiheit oder Demokratie. Vor allem aber hat sich in der öffentlichen Diskussion seit Rio die Vorstellung festgesetzt, mit »nachhaltiger Entwicklung« könne man Macht- und Interessenkonflikte quasi in Luft auflösen. Wenn alle für Nachhaltige Entwicklung eintreten – dann sind wir uns doch alle einig? Mitnichten. Ãœber das Phänomen, dass vielerlei nicht-nachhaltige Wirtschaftsformen einfach weiterlaufen und sich kurzerhand selbst für »nachhaltig« erklären, haben NGOs schon viel geschrieben und geklagt. Selbst der deutsche Steinkohlebergbau oder so umstrittene Konzerne wie Monsanto haben sich ja schon zur nachhaltigen Entwicklung bekannt, ohne an ihrer Geschäftspolitik auch nur ein Jota zu ändern. Der heutige Rundbrief des Forums widmet sich jedoch einer anderen Form von Konflikten um »Nachhaltige Entwicklung«, nämlich Zielkonflikten zwischen verschiedenen Komponenten nachhaltiger Entwicklung. Am massivsten dürfte dies derzeit wohl bei der rasanten Entwicklung der Bioenergie zu beobachten sein. Erneuerbare Energien, zu denen Biomasse und Bioenergie ja zweifellos gehören, erfahren inzwischen einen derartigen Aufschwung, dass die schiere Menge an Biomasse, die heute nachgefragt wird, mit dem Nischenprodukt Biomasse von vor einigen Jahren kaum noch vergleichbar ist. Dementsprechend tauchen nun massive Konflikte auf. Aus Klimaschutzgründen ist der schnellstmögliche Abschied von den fossilen Brennstoffen, allen voran Kohle, dringend erforderlich. Aber die heutigen Energieverbrauchsstrukturen einfach 1:1 durch erneuerbare Energien zu ersetzen, insbesondere das Erdöl im heutigen Verkehrssystem 1:1 durch Biokraftstoffe zu ersetzen, ist kaum möglich, erst recht nicht, wenn auch noch Flächen für den Naturschutz oder die Nahrungsmittelproduktion übrig bleiben sollen. Ausreichend Biomasse für die Energieversorgung zu produzieren, die Biodiversität der Erde in genügend natürlichen Ökosystemen zu erhalten, ausreichend Nahrungsmittel für alle zu produzieren und dies auf möglichst ökologische Weise zu tun – das ist eine Herausforderung, deren historische Dimension wir erst zu erkennen beginnen. Auch innerhalb der NRO-Community gibt es darüber heftig widerstreitende Interessen und Positionen. Aber wir müssen versuchen, uns auf eine gangbare Synthese zu einigen und im politischen Prozess verbindliche Nachhaltigkeitskriterien für Bioenergie durchzusetzen. Die politischen Weichenstellungen, die heute ergriffen werden, werden sich noch auf Jahrzehnte auswirken. Das Forum Umwelt & Entwicklung hat bereits direkt nach der Renewables 2004-Konferenz begonnen, diesen Dialog innerhalb der deutschen NRO voranzubringen. Eine Aufgabe, die uns noch einige Jahre beschäftigen wird… Während dies gerade in Entwicklungsländern bei vielen Entscheidungsträgern dazu führt, bisherige Energiestrategien zu überdenken, ist jedoch auch klar, dass es ebenfalls Gewinner dieser Entwicklung gibt. Zum Beispiel Ölexporteure. Dieser Gegensatz zieht sich auch durch die beiden grossen energiepolitischen Ereignisse der internationalen Politik in diesem Jahr. Die UN-Kommission für nachhaltige Entwicklung verdeutlichte dies im April – dass wir globale eine neue Energiepolitik brauchen, stellte nur noch eine kleine Minderheit in Frage, auch wenn die Motivationslage natürlich sehr unterschiedlich ist. In dem Maße, in dem alternative und erneuerbare Energien ihr Nischendasein verlassen, stellen sich aber auch neue Fragen. Wie nachhaltig sind erneuerbare Energien, beispielsweise Biomasse? Die Diskussion darüber hat begonnen – auch in diesem Heft. Die Auswirkungen auf Biodiversität, Landwirtschaft, Wälder und Weltmärkte sind profund und werden uns noch sehr intensiv beschäftigen. Das NRO-Forum Umwelt & Entwicklung wird hier am Ball bleiben, um eine aktuelle Formulierung zu benutzen… Eine interessante Lektüre wünscht
Jürgen Maier
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