Standpunkte zum 17. Zivilgesellschaftliches Außenwirtschaftsforum
„Die Großen fressen die Kleinen:
Konzerne fusionieren – bleibt der Wettbewerb auf der Strecke?“
Die Veranstaltung fand am 27.11.2017 in Kooperation mit UnternehmensGrün in Berlin statt. Um den Austausch über die drängenden Fragen zu Konzernmacht, demokratischer Kontrolle und fairem Wettbewerb weiterzuführen haben wir im Anschluss an die Veranstaltung diese Standpunktserie der eingeladenen ExpertInnen aufgesetzt. Dem Thema ist darüber hinaus eine neue Initiative „Konzernmacht beschränken” gewidmet, die sich der Politisierung des Wettbewerbsrechts und der Verschärfung der Fusionskontrolle verschrieben hat.
Veranstaltungsrückblick
Weitere Informationen zum Thema Konzernmacht
Immer Größer? Immer weiter?
Das Außenwirtschaftsforum hat es sich zur Aufgabe gemacht mit dieser Veranstaltungsserie die Schnittstellen zwischen Handelspolitik und weiteren Politikfelder zu ergründen. Dabei kommen auch immer wieder Themen auf, die bisher noch wenig Aufmerksamkeit erfahren haben. Nicht zuletzt das Thema dieses Außenwirtschaftsforums, das uns in den letzten Jahren vermehrt begegnet und somit die Dringlichkeit eines zivilgesellschaftlichen Handels wiederholt klarmacht:
2017 war das Jahr der Mega-Fusionen. Immer mehr Riesen tun sich zusammen, um ihre Kräfte zu bündeln. Mit Bayer-Monsanto und ChemChina-Syngenta entstehen marktbeherrschende Giganten im Saatgut- und Pestizidsektor. Diese haben uns neben anderen Fusionen besonders beschäftigt.
Die Marktmacht, die diese 3 Konzerne beispielsweise im Saatgutbereich (von gut 60%) ausmachen könnten beeinflusst auch unser tägliches Leben, auch wenn wir selbst keine Bäuerinnen und Bauern sind. Es erhöht den Druck auf die Kleinbäuerliche Landwirtschaft, bedroht die Diversität und die Macht der Konzerne über so relevante Bereiche wie Essen ist nicht zuletzt auch ein Demokratiethema. Wir wollen also heute aus ganz verschiedenen Bereichen beleuchten, warum so extreme Konzentrationen eigentlich problematisch – und was hat das mit Handelspolitik zu tun? Welche Themen müssen besonders beleuchtet und politisiert werden?
Der Ablauf dieses Standpunktpapiers orientiert sich am Ablauf der Abendveranstaltung. Die Standpunkte können auch einzeln aufgerufen werden.
Keynote I: Axel Kaiser
Keynote II: Anna Biselli
Standpunkt I: Dr. Thorsten Käseberg
Standpunkt II: Klaus Stähle
Standpunkt III: Dr. Thomas Dürmeier
Keynote I
Axel Kaiser
Geschäftsführender Gesellschafter bei DENTTABS® innovative Zahnpflegegesellschaft mbH, zusammen mit seinem Bruder führt er diesen Konzern und ist Mitglied des Vorstandes bei UnternehmensGrün.
Mein Name ist Axel Kaiser. Ich bin u.a. Mitglied des Vorstandes bei ‚UnternehmensGrün – Bundesverband der grünen Wirtschaft‘.
Zusammen mit meinem Bruder führe ich einen Konzern. Einen sehr, sehr kleinen Konzern.
Und als ich in der Vorbereitung auf meine Keynote feststellen musste, dass auch unsere eher kleine Unternehmensstruktur (35 Mitarbeiter in 3 Firmen, Teilproduktion in der Türkei, ca. 4 Millionen € Jahresumsatz), tatsächlich formal einen Konzern darstellt, da war ich zunächst erschrocken.
Das war auch bei den verschiedenen Gesprächen, die ich im Vorwege zu dem Thema ‚Konzerne‘ führte, ein sehr verbreitetes Gefühl: Angst, Unsicherheit, Distanz, Feindbilder, böse Unternehmen und vieles mehr.
Kaum jemand fand ein positives Wort.
Dabei machen Konzerne grundsätzlich total Sinn. Werden doch Verantwortungen und Ressourcen wirtschaftlicher verteilt. Auch die Risiken, die in jeder Unternehmung stecken, schlagen in einer Konzernkonstruktion nicht automatisch und folgenschwer auf alle Teile des Konzerns durch. Das macht Investitionen als auch Arbeitsplätze sicherer.
Auch in unserem Minikonzern waren das Argumente. Wir wollten zudem potentiellen Investoren für unsere Zahnpflegerevolution (DENTTABS-Zahnputztabletten) nicht zumuten, sich indirekt auch an unserem 25 Jahre alten Dentallabor beteiliegen zu müssen. Und im Falle eines Scheiterns der neuen sollte die bestehende Unternehmung mit ihren Mitarbeitern dafür nicht geradestehen müssen. Dazu kam auch, und das ist vielleicht zunächst eher untypisch, dass wir für uns selbst eine grössere Transparenz wünschten.
Und damit ist auch das meines Erachtens wichtigste Wort in der ganzen Diskussion gefallen: -Transparenz-
In meinen Augen ist es geradezu kindisch, pauschal die Zerschlagung von Konzernen zu fordern. Gleichwohl sollten wir uns der bereits existierenden gesetzlichen Instrumente bewusst sein, die sowohl eine Auflösung bestehender Strukturen ermöglichen, als insbesondere auch die Verhinderung neu entsstehender Strukturen, die das Potential haben können(!), Märkte über alle Maße zu beherschen.
Um die Situation, ob eingeschritten werden soll oder nicht, aber überhaupt beurteilen zu können, braucht es zunächst: -Transparenz-
Und Regeln. Spielregeln, nach denen sich alle zu richten haben. Und ‚alle‘ heisst auch wirklich ‚alle‘. Wir diskutieren also bitte nicht darüber, ob Deutschland alles richtig macht. Noch nicht einmal die EU genügt hier. Obwohl es längst überfällig ist, dass wir zu EU-einheitlichen Finanzregeln kommen!
Und Profis brauchen wir. Profis die als solche akzeptieren. Und auch als solche bezahlen! Wenn wir sie nicht an die deutlich besser zahlenden Konzerne verlieren wollen.
So wie die großen Konzerne schon lange weltweit operieren, und sich ganz selbstverständlich zwischen den verschiedenen gesetzlichen Umfeldern die für sie jeweils günstigste Umgebung aussuchen, so müssen auch die großen Wirtschaftsräume gemeinsame Regeln aufstellen und durchsetzen, an die sich alle Beteiligten zu halten haben bzw. deren nicht-Einhaltung entsprechend konsequent sanktioniert wird.
Jüngst wurde ich aufgefordert, uns in das Transparenzregister einzutragen. Die Begründung für seine Erschaffung ist zwar Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Aber auch meine in der Konzernfrage aufgekommene Forderung nach Transparenz könnte hier ein Beispiel finden, wie man das Thema angehen kann.
Zusammengefasst:
Es nutzt kein Schimpfen oder Schmähen. Was nutzt ist die Schaffung von klaren, transparenten Verhältnissen. Was nutzt ist Konsequenz. Was nutzt ist eine klare Haltung, die sich an den Menschen orientiert, nicht an der Gewinnmaximierung.
Keynote II
Anna Biselli
Redakteurin bei netzpolitik.org, einem journalistischen Medium rund um digitale Freiheitsrechte.
Dieser Beitrag erschien in umfassenderer Form im Rundbrief 4/2017
Eine Welt ohne Amazon, Apple, Google, Facebook und Microsoft ist kaum vorstellbar. Sie beherrschen unsere Kommunikation, unsere Online-Einkäufe, unsere Smartphones und schlagen uns vor, was wir als nächstes tun oder kaufen könnten. Mit ihrer Marktmacht verhindern sie, dass sich andere Unternehmen auf dem Markt etablieren und für Innovation und Wettbewerb sorgen. Und schreiben nebenbei noch an Gesetzen mit.
Die 5 größten Tech-Konzerne – Amazon, Apple, Google, Facebook und Microsoft – führen nicht nur die Technologiebranche an. Sie gehören auch zu den 6 Unternehmen mit dem größten Börsenwert der Welt. Um zu verstehen, wie die 5 Firmen eine solche Markt-Übermacht erlangen konnten, muss man ihre Entwicklung betrachten.
Facebook entsprang aus einem kurzlebigen Vorgänger, den Mark Zuckerberg ins Leben gerufen hatte: Eine Website, auf der das Aussehen von Studentinnen der Universität Harvard bewertet werden konnte. In seiner heute bekannten Form existiert Facebook seit 2004 und entwickelte sich vom primär studentischen Netzwerk zu einer weltweiten Kommunikationsplattform, die 2012 an die Börse ging.
Kopieren und Verdrängen
Etwa zur gleichen Zeit kaufte das werbefinanzierte soziale Netzwerk Facebook die Foto-Plattform Instagram – für eine Milliarde US-Dollar.
Die NutzerInnenzahl des damals nicht-profitablen Dienstes stieg in den letzten 5 Jahren von 30 auf 600 Millionen. Ein gutes Beispiel dafür, wie Facebook durch seine große Menge an NutzerInnen andere vom Markt verdrängt, ist die Instagram-Funktion ‚Instagram Stories‘. Im Wesentlichen besteht sie daraus, dass gepostete Bilder nach 24 Stunden wieder automatisch verschwinden. Der Unterschied zu dem bereits länger existierenden ‚Snapchat Stories‘ ist marginal, doch innerhalb eines halben Jahres nutzten mehr Menschen ‚Instagram Stories‘ als Snapchat insgesamt. Facebook kann also populäre Dienste kopieren und diese vom Markt verdrängen, da seine NutzerInnenzahl und somit auch die potentielle zukünftige NutzerInnenzahl der neuen Dienste unangreifbar ist.
Seit dem Kauf des Sofortnachrichtendienstes WhatsApp im Jahr 2014 beherrscht Facebook auch den Markt für Sofortnachrichtendienste. Anfang 2016 verwendeten WhatsApp bereits doppelt so viele Menschen wie vor dem Kauf – über eine Milliarde.
Vom Online-Buchverkauf zum Bio-Supermarkt
Eine andere spannende Firmengeschichte hat der seit 1994 bestehende eCommerce-Riese Amazon hinter sich. Vom Online-Buchverkauf entwickelte sich der Konzern zum Anbieter für alles: Zuerst kamen CDs und Videos dazu, es folgten elektronische Geräte, Mode, dann alles Weitere. Heute liefert Amazon sogar Lebensmittel aus.
Die Erfolgsgeschichten von Apple, Microsoft und Google ähneln denen der beiden vorgestellten Unternehmen. Google entwickelte sich von der Suchmaschine zum Leuchtturm-Unternehmen für künstliche Intelligenz.
NutzerInnen sollen nicht mehr suchen müssen – sie sollen Vorschläge bekommen.
Lobbying gegen Werbeeinschränkungen und Datenschutz
Nicht nur kommerziell sind die Tech-Riesen erfolgreich, auch hinter den politischen Kulissen arbeiten sie mit Nachdruck. Im dritten Quartal 2017 gaben Google und Facebook 4,17 beziehungsweise 2,85 Millionen US-Dollar aus, um VertreterInnen des US-Kongresses und des Weißen Hauses zu lobbyieren. Grund für diese Investitionen waren Bestrebungen der US-amerikanischen GesetzgeberInnen, nach der Aufregung um von Russland gesponserter politischer Werbung zur Beeinflussung der US-Wahlen, Werbung stärker zu regulieren und mehr Transparenz zu verordnen.
In der Europäischen Union (EU) kämpfte Facebook zusammen mit den anderen Tech-Konzernen seit 2011 gegen strengere Datenschutzbestimmungen im Rahmen der EU-Datenschutzgrundverordnung an. Viele US-Konzerne fürchteten das Marktortprinzip, demzufolge die Unternehmen die Datenschutzgesetze desjenigen Landes befolgen müssen, in dem sie ihre Dienste anbieten. Da die Geschäftsmodelle vieler Tech-Riesen zu einem großen Teil auf dem Datenverkauf und zielgerichteter Werbung basieren und die US-amerikanischen Datenschutzregelungen laxer sind als europäische, schlugen sie Alarm. Die Plattform LobbyPlag.eu zeigte, dass zahlreiche Formulierungen aus ihren Lobbypapieren oder von ihnen übergeordneten Interessensverbänden von ParlamentarierInnen direkt in Änderungsanträge zu der Verordnung übernommen wurden.
Wie viel die Unternehmen in Lobbyarbeit hier in Deutschland investieren, ist unbekannt. Es fehlt bislang ein verbindliches Lobbyregister, doch es ist erkennbar, dass beispielsweise Facebook seine Lobbypräsenz in den letzten Monaten verstärkt hat. Es eröffnete im Februar 2016 eine neue Repräsentanz in Berlin – mit eindeutigem Ziel:
„Nur wenige Schritte vom Regierungsviertel entfernt gelegen, spielt der neue Standort eine wichtige Rolle für den regelmäßigen Austausch mit Politik und Wirtschaft“, heißt es von Seiten des Unternehmens.
Es braucht dringend Lobbytransparenz
Die Transparenz von Lobbyarbeit in Deutschland ist ein drängendes Thema, das vor dem Scheitern der Sondierungsgespräche auch die Jamaika-Parteien angehen wollten. Es wäre ein erster Schritt, um Transparenz in den Einfluss (nicht nur) der Tech-Unternehmen auf die Meinungsbildung der deutschen Regierung zu bringen.
Die nächste Bundesregierung sollte auch fortsetzen, was die letzte begonnen hat. Nach einer erfolgreichen Kampagne, bei der viele Freiwillige über das Mittel der Informationsfreiheitsanfragen Gesetzesentwürfe und Lobby-Stellungnahmen anforderten, teilte die Regierung mit, sie werde diese Papiere nun proaktiv veröffentlichen. Damit könnte überprüft werden, ob und inwieweit Stellungnahmen von LobbyistInnen in Gesetze eingeflossen sind.
Wenn es darum geht, die wirtschaftliche Macht der Tech-Konzerne zu bremsen und ihre Quasi-Monopole zu begrenzen, sieht es schwieriger aus. Konkrete Vorschläge aus der parteipolitischen Sphäre sind rar. Zu monopolartigen Plattformen schlug die CDU in ihrem letzten Wahlprogramm lediglich vor, die Unternehmen sollten in Zukunft aus Europa und noch besser Deutschland kommen. Die SozialdemokratInnen wollten das Bundeskartellamt stärken und „mit Kompetenzen für den wirtschaftlichen Verbraucherschutz ausstatten“. Plattformmonopole sollten verhindert werden, indem der Wert von NutzerInnenzahlen und personenbezogenen Daten in kartellrechtliche Prüfungen miteinbezogen werden.
Am deutlichsten benannten die Grünen die „Machtkonzentration einiger weniger Internetkonzerne“ und forderten, „Netzmonopole“ müssten „in extremen Fällen entflochten werden“. Wie das im Detail funktionieren soll, führte die Partei nicht aus. Bei den Wirtschaftsliberalen beschränkten sich die Forderungen darauf, Unternehmensfusionen im Technologiebereich besser zu kontrollieren.
Wie es mit der Regierung in Deutschland weitergeht und welche Maßnahmen sie gegen die monopolistische Macht der großen Tech-Unternehmen treffen wird, steht in den Sternen. Doch egal, was sie am Ende tut: Einem global agierenden Konzern lässt sich mit ausschließlich nationalen Regelungen nicht begegnen. Dafür braucht es im Mindesten gesamteuropäische Anstrengungen.
Standpunkte der Experten der Gesprächsrunde
Instrumente der Wettbewerbspolitik
Dr. Thorsten Käseberg
Leitet das Referat IB2 für Wettbewerbs-, Regulierungs- und Privatisierungspolitik im Bundesministerin für Wirtschaft und Energie
Seit den Anfängen des Kartellrechts mit dem US-amerikanischen Sherman Act steht die Kontrolle von Marktmacht im Zentrum moderner Wettbewerbspolitik. Auf transparenten Märkten mit homogenen Gütern wie etwa den Rohstoffmärkten hat sich hohe Konzentration als ein begünstigender Faktor für die Bildung von Kartellen erwiesen, die in allen modernen Wettbewerbsordnungen wie dem deutschen Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und dem europäischen Kartellrecht verboten sind. Allerdings hat sich die Position zur Frage, inwieweit Marktmacht wettbewerbsschädlich ist, entsprechend der jeweils bestimmenden wirtschaftspolitischen Philosophie geändert. Während Ordoliberale wie Eucken Marktmacht per se als schädlich ansahen, differenzieren heute das deutsche und europäische Kartellrecht: Konzentrationsprozesse und der Aufbau von Marktmacht über Fusionen als externes Wachstum werden über die Fusionskontrolle geprüft. Dagegen wird von den Verbrauchern über die Nachfrage getriebene Marktmacht als solche akzeptiert; allerdings verbieten sowohl das deutsche als auch das europäische Kartellrecht den Missbrauch jeglicher Marktmacht. Damit stehen bei der Kontrolle von Marktmacht heute dem Bundeskartellamt und der Europäischen Kommission mit der Fusionskontrolle und der Missbrauchsaufsicht grundsätzlich schlagkräftige Instrumente zur Verfügung, um den Aufbau von potenziell schädlicher Marktmacht und deren Ausnutzung zu verhindern. Institutionell wird der deutsche Gesetzgeber bei der Beobachtung von Märkten und Konzentrationsprozessen von der Monopolkommission unterstützt.
Digitalisierung als Herausforderung
Insbesondere die Digitalisierung hat zu einer intensiven Debatte darüber geführt, ob das Kartellrecht den neuen Herausforderungen gewachsen ist, vor allem mit Blick auf Geschäftsmodelle, die Plattformen und Daten nutzen. Auf Plattformmärkten können Netzwerkeffekte wie Skalenerträge auf Nachfrageseite wirken und damit zu einer „winner takes all“-Struktur führen. Die marktbeherrschende Stellung von Google in Europa ist ein Beispiel. Daten können zusätzlich als Marktzutrittsschranken zur Wettbewerber wirken.
In den letzten Jahren haben die Europäische Kommission, das Bundeskartellamt und andere Wettbewerbsbehörden einiges geleistet, um die digitale Wirtschaft und ihre Besonderheiten in den Griff zu bekommen. Im Google Shopping Verfahren hat die Europäische Kommission bereits gezeigt, dass das Missbrauchsverbot auch auf digitalen Märkten gilt. Von der noch ausstehenden Entscheidung zu möglichen Machtmissbräuchen von Google rund um das Betriebssystem Android könnte weitere Signalwirkung ausgehen. Auch das Bundeskartellamt hat mit seinen Fällen zu Hotel-Buchungsplattformen wie HRS und Booking gezeigt, dass es mit Marktmachtmissbräuchen von Plattform-Unternehmen umgehen kann. Auch das Verfahren gegen Facebook wegen der Datenschutzbestimmungen zeigt, dass Wettbewerbspolitik flexibel und innovativ auf neue Herausforderungen reagieren kann.
Mittlerweile sind die Besonderheiten von Plattformen und Netzwerken so selbstverständlich geworden, dass sie seit der 9. GWB-Novelle auch im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen verankert sind. Dort werden u. a. Netzwerkeffekte, der Zugang zu Daten oder z. B. das Nutzungsverhalten der Verbraucher als Kriterien für die Bestimmung der Marktstellung eines Unternehmens ausdrücklich genannt. Mit der 9. GWB-Novelle wurde auch die Fusionskontrolle reformiert. Eine Übernahme wie die von WhatsApp durch Facebook, bei der Umsätze auf der einen Seite noch fehlen, aber das zukünftige Marktpotenzial hoch ist, kann das Bundeskartellamt nun prüfen. Interessant zu beobachten sein wird, ob konglomerate Zusammenschlüsse wie von Facebook und WhatsApp, bei der Plattformunternehmen ihre Macht von einem Markt auf einen anderen hebeln wollen, in Zukunft auch inhaltlich strenger kontrolliert werden.
Weiteres Reformpotenzial
Auch nach der 9. GWB-Novelle bleibt weiteres Reformpotenzial für die Wettbewerbspolitik. Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD enthält politische Leitlinien für weitere Änderungen des Ordnungsrahmens. So soll die Befugnis des Bundeskartellamts zu einstweiligen Anordnungen erweitert werden. Darüber hinaus soll die Missbrauchsaufsicht vor allem im Hinblick auf Plattformunternehmen geschärft werden.
Auch wenn die Wettbewerbsregeln grundsätzlich offen und damit flexibel genug sind, um auch neue Konstellationen zu erfassen, bedarf es hier immer wieder einer Evaluation und Justierung. Die Kontrolle von marktbeherrschenden Plattformen wird im digitalen Zeitalter im Mittelpunkt stehen – jedenfalls solange, bis dieses Modell nicht von anderen Modellen oder Technologien abgelöst wird.
Mehr Transparenz in der Wirtschaft
Klaus Stähle
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, sowie Mitglied im Vorstand von UnternehmensGrün.
Die Großen fressen die Kleinen, die Schlechten die Guten. Ein erster Schritt hin zu einer neuen gerechten globalen Wirtschaftsordnungerfordert mehr Transparenz des unternehmerischen Handelns.Größe ist per se nicht schlecht. Solange Wettbewerb funktioniert, kannund muss es auch weiterhin große Unternehmen geben, die Innovationenmit einem hohen Kapitalbedarf stemmen können. Was es aber nicht braucht, sind große Unternehmen, welche Märkte monopolisieren, große Untenehmen, die Innovationen verhindern, statt sie voranzubringen, die lokale Steuerbedingungen umgehen, Staaten oder Kommunen ausplündern, keine Verantwortung für ihren ökologischen Fußabdruck übernehmen und denen die sozialen Bedingungen ihrer Produzenten und Beschäftigten egal sind.
Natürlich gibt es auch kleine Unternehmen, die Schwarzarbeit fördern, ihre Beschäftigten und Kunden verprellen, Steuern hinterziehen und die Umwelt schädigen. Die schlechten kleinen und die schlechten großen Unternehmen wollen einen schwachen Staat, der ihnen Handlungsspielräume lässt und sie möglichst wenig kontrolliert und nicht eingreift.
Unternehmen, die ihr unternehmerisches Handeln auch an der sozialen Verantwortung, der Verantwortung für den Erhalt einer lebenswerten Umwelt und der Verantwortung für ein funktionierendesGemeinwesen ausrichten, wollen einen Staat, der über die Mittel verfügt, einen für alle geltenden Ordnungsrahmen vorzugeben und ihn auch durchzusetzen. Zum Ordnungsrahmen gehört auch der Schutz des Wettbewerbs durch ein starkes Kartellrecht, das national und europäisch funktionieren muss und auch die globalen Bezüge einzubeziehen hat. Zusammenschlüsse zu immer noch mächtigeren und größeren Unternehmen lässt Steuerbehörden kapitulieren, verlagert umweltbelastende Produktions- und Entsorgungsprozesse in Länder mit den jeweils laxesten Umweltgesetzen und den schwächsten Behörden, in Länder mit dem niedrigsten Steuersatz und dem geringsten sozialen Schutz für die Arbeitnehmer.
Alle großen Unternehmen (z. B. bereits ab 1.000 Arbeitnehmer) sollten daher weltweit einer staatlich sanktionierten Berichtspflicht unterliegen, die nicht nur den Kernbereich ihres unternehmerischen Handelns, sondern auch ihre steuer-, umwelt- und sozialpolitische Verantwortungtransparent und überprüfbar beschreibt. Damit können Unternehmen wechselseitig überprüfen, mit wem sie in Vertrags- und Lieferbeziehungen stehen und ob der jeweilige Vertragspartner den eigenen Maßstäben gerecht wird. So könnte eine erzwungene Transparenzein erster Schritt hin zu einer neuen, den Interdependenzen der Welt angemessenen, globalen neuen Wirtschaftsordnung sein
Warum wir endlich über Wettbewerbspolitik reden müssen
Dr. Thomas Dürmeier
Promovierter Volkswirt, Campaigner und Geschäftsführer von Goliathwatch. Mit seiner Organisation ist er Mitinitiator der Initiative „Konzernmacht begrenzen“.
66 Milliarden US-Dollar wird Bayer für den US-amerikanischen Gentech-Riesen Monsanto bezahlen müssen, damit die bisher größte Unternehmensfusion in der Geschichte der Bundesrepublik gelingt. Die Negativrekorde nehmen aktuell kein Ende: Lufthansa monopolisiert den Luftraum weiter. Die Europäische Wettbewerbsbehörde ermittelt gegen das riesige Dieselkartell der deutschen Autobauer von Volkswagen und Co. Google zahlte 2,3 Mrd. Strafe wegen Mißbrauch seiner Marktmacht. Wir blickt letztes Jahr auch auf 10 Jahre Finanzkrise zurück und unsere Gesellschaften haben nicht gelernt, dass systemrelevante Banken neben „too big to fail“ (zu groß zum Scheitern) auch zu „too big to be“ (zu groß zum Bestehen) sind.
Die Fusionen und Firmenzusammenschlüsse erreichen immer größere Summen, wie die Berichte der Wettbewerbsbehörden dokumentieren. Zwei oder mehrere Firmen können sich zu einem neuen, größeren Unternehmen verbinden. Wettbewerb wird weniger, die Konzentration auf vielen Märkten steigt an und die Marktmacht der wenigen, verbleibenden Megakonzerne wächst und wächstDie wachsende Macht der Megakonzerne hat zahlreiche negative Folgen. Marktmacht ist die Fähigkeit, wirtschaftliche Freiheit anderer MarktteilnehmerInnen einzuschränken. Konkurrenzunternehmen werden aufgekauft oder vom Markt verdrängt. Die schwächeren MarktteilnehmerInnen, ob Zulieferer oder VerbraucherInnen, werden durch höhere Preise oder Knebelverträge ausgebeutet. Megakonzere beuten mit ihrer Marktmacht kleine, mittlere Unternehmen und VerbraucherInnen aus. Im Falle von Bayer&Monsant werden die Preise für Baumwolle und Soja um ca. 14 % steigen.
Konzernmacht ist auch Lobbymacht, was die Lobbyerfolge von Monsanto zeigen. Sie schädigt Demokratie. Megakonzerne werden z. B. als nationale Champions mit Wirtschaftsförderung umworben oder KonzernlobbyistInnen bekommen privilegierte Zugänge in Ministerien oder internationale Wirtschaftsverhandlungen. Angesichts dieser steigenden Macht von Konzernen frage ich mich, warum wir kein Postwachstum – also ein Schrumpfen von Megakonzernen- in der Wettbewerbspolitik fordern.
Ökonomische Zwänge zur Marktkonzentration
Die Ursachen für Unternehmenswachstum sind systemimmanent. Jede kapitalistische Marktwirtschaft zwingt zur Profitmaximierung. Institutionelle Investoren, also Banken, Investmentfonds, Versicherungen, aber auch Organe der öffentlichen Hand, fordern hohe und höhere Renditen. ManagerInnen müssen diese Vorgaben der Finanzmärkte erfüllen. Wer nicht zur Spitzengruppe der Konzerne gehört, wird aufgekauft oder vom Markt verdrängt. Karl Marx hat dies wortmächtig herausgestellt: „Diese Expropriation vollzieht sich durch das Spiel der immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion selbst, durch die Zentralisation der Kapitale. Je ein Kapitalist schlägt viele tot. […] durch […] die planmäßige Ausbeutung der Erde, […] die Verschlingung aller Völker in das Netz des Weltmarkts.“[i] Preise zeigen auf Wettbewerbsmärkten an, wo bessere oder billigere Alternativen existieren und VerbraucherInnen wandern zu besseren Angeboten ab. Jede Preissenkung der Konkurrenz zwingt zu neuen Anstrengungen oder zum Ausscheiden. Unternehmen müssen in diesem System wachsen, KonkurrentInnen verdrängen und neue Märkte erobern.
Aus diesem Grund lernt jede BWL-StudentIn im strategischen Management, Wettbewerb und besonders Preiswettbewerb zu vermeiden. Kartelle und Preisabsprachen waren früher alltäglich. Produktionsmittel wurden monopolisiert. Gewerkschaften wurden verhindert. Heute sind die Methoden vielseitiger und tiefgehender. Patente, geistiges Eigentum oder Produktnormen schließen Konkurrenz aus. VerbraucherInnen werden von Produkten über Marken, Werbung oder Treuepunkte abhängig gemacht. Produktdifferenzierung bedeutet, baugleiche Produkte mit einem anderen, aber vielversprechenden Namen an zahlungskräftige VerbraucherInnen zu verkaufen. VerbraucherInnen werden getäuscht.
Zahlreiche ManagerInnen folgen auch der Hybris, ein immer größeres Firmenimperium besitzen zu wollen. Erringen von wirtschaftlicher Macht ist ein starker Antrieb und führt zu Megakonzernen, die ökonomisch keinen Sinn mehr ergeben. Viele Fusionen scheitern, weil größere Megakonzerne nicht immer die besseren Unternehmen sind. Jede zweite Fusion scheitert daher auch wie z. B. DaimlerChrysler.
Seit sich Goliathwatch mit Wettbewerb und Märkten beschäftigt, sind wir oft mit der Angst konfrontiert, dass marktradikale Schlagwörter wie „Wettbewerb“ und „Märkte“ zu verwenden. Wir wollen nicht blind mehr Wettbewerb, wie es neoliberale Apologeten wie Hans-Werner Sinn oder die FDP fordern. Goliathwatch will Grenzen des Wettbewerbs und faire Handlungsmöglichkeiten für alle MarktteilnehmerInnen. Fusionierte Großkonzerne beherrschen Märkte und übertragen soziale und ökologische Schäden auf die Gesellschaft.
Wir haben viel zu lange, MarktfundamentalistInnen, ÖkonomInnen oder Konzernen die Begriffe „Markt“ und „Wettbewerb“ definieren lassen. Emanzipatorische Aneignung der ökonomischen Begriffe tut Not. Die von Attac beforderte „ökonomische Alphabetisierung“ ist wichtig. Wo sind linke WirtschaftswissenschaftlerInnen und JuristInnen?
Wettbewerb braucht „Fairness“, wie es auch die Wettbewebskommissarin der Europäischen Union (EU) Margrethe Vestager in die Diskussion gebracht hat. Fairness bedeutet Geschäftsmöglichkeiten für viele kleine und mittelständische Unternehmen auf offenen Märkten. Marktbeherrschende Stellungen müssen entflochten werden. Wer als Großkonzern andere MarktteilnehmerInnen unterdrückt, muss wie andere Megakonzerne von der Öffentlichen Hand in viele kleinere Unternehmen zerschlagen werden. Ungleichheit der Marktergebnisse darf nur zum Vorteil der Schwächsten sein. Märkte brauchen zusätzlich soziale und ökologische Grenzen des Wettbewerbs. Wettbewerb und Märkte brauchen staatliche Kontrolle und Steuerung, wie z. B. die Bundesnetzagentur oder ein starkes Bundeskartellamt.
Politische Weichenstellungen für Megakonzerne
Es gibt Megakonzerne, weil die Lobby der Unternehmen die politischen Weichen gestellt hat. Gesetzliche Vermutungstatbestände der Marktbeherrschung wurden im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, der Grundlage der Wettbewerbskontrolle, von anfangs 20 Prozent Marktanteil über 30 Prozent auf heute 40 Prozent erhöht. Die historischen Entwicklungen und politischen Kämpfe gegen Wettbewerbskontrolle können bei Andreas Nölke oder Angela Wigger nachgelesen werden.[ii] Bei über 1.000 Fusionsanmeldungen in Deutschland jedes Jahr werden nur weniger als 10 untersagt. Die EU untersagte 2015 keine einzige Fusion.
Im Standortnationalismus sind Konzerne als Champions politisch gewollt, aber ein Pakt mit dem Teufel. Sinnvolle Politik gegen Konzerne wird unterlassen, um kurzfristig Arbeitsplätze zu erhalten, aber Steuersenkungen, Sozialabbau und Standortwettbewerb gehen weiter. Letztendlich verlieren alle Gesellschaften und nur die Konzerne und Superreichen gewinnen.
Der Dörnröschenschlaf der Zivilgesellschaft endet
Es fing eigentlich alles gut an. Die Alliierten haben die großen deutschen Kriegskonzerne zerschlagen und in Großkonzerne wie Volkswagen bekommen Gewerkschaften und VolksvertreterInnen starke Mitspracherechte. Leider führten viele Entwicklungen wie die marktradikale Revolution der Konzerne und Neoliberalen dazu, dass sich die bundesdeutsche Zivilgesellschaft stark aus wirtschaftlichen Themen zurückgezogen hat. Der ehemalige Präsident des Bundeskartellamts, Wolfgang Kartte, weist zu Recht auf die fehlende Lobby gegen Marktmacht hin: „Wettbewerbspolitik hat keine Lobby”.
Wettbewerbskontrolle ist der strategische Hebel und könnte eigentlich Megakonzerne zerschlagen. Das Bundeskartellamt wurde im Januar 2018 60 Jahre alt. Ein breites Netzwerk aus über 20 NGOs hat die Initiative „Konzernmacht beschränken“ ins Leben gerufen. Es ist der richtige und dringende Zeitpunkt, um auch Fragen nach einer gerechten Globalisierung mit fairen Märkten und Wettbewerb ins Spiel zu bringen.
Quellen:
[i] Karl Marx (1876): Das Kapital, Band 1, 24. Kapitel.
[ii] Wigger/Nölke (2007): Enhanced Roles of Private Actors in EU Business Regulation and the Erosion of Rhenish Capitalism, In: JCMS; Wigger, Angela (2010): Making and Unmaking Markets, In: RIPE
Beitragsbild: Aktion Agrar , cc