Keynote von Jürgen Maier, Forum Umwelt und Entwicklung, bei der Veranstaltung „Eine nachhaltige Zukunft für unsere Ozeane?“ der Schwedischen Botschaft und der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen am 7.Juni 2017
“Auf dem Weg zu nachhaltigen Ozeanen, das ist das Thema meiner Rede, und eigentlich muss ich gestehen, anfangs dachte ich, was ist das denn für ein Titel. Eigentlich sind die Ozeane ein äußerst nachhaltiges Ökosystem, und sie halten auch viel aus. Aber heute muss man in der Tat sagen, die Menschheit hat es sogar fertiggebracht, dieses gigantische Ökosystem, zwei Drittel der Oberfläche unseres Planeten, aus dem Gleichgewicht zu bringen. Das ist echt eine Leistung, dazu gehört irre viel Arbeit von Milliarden Menschen, um so etwas hinzubekommen. Jetzt könnten Sie natürlich denken, um die Ozeane wieder zurück zur Nachhaltigkeit zu bringen, ist ein ähnlicher Kraftakt notwendig.
Einerseits ja, politisch gesehen. Die Wirtschaftsweise von Milliarden Menschen umzusteuern, das ist ein Kraftakt. Andererseits, nein. Im Grunde reicht es, wenn wir vieles von dem einfach unterlassen, nicht mehr tun, was wir bisher machen. Dann wären die Ozeane recht schnell wieder in einem nachhaltigen Zustand. Die Lösungen für die Krise der Meere liegen also allesamt an Land. Man kann es so zusammenfassen: wir holen zu viel aus den Meeren heraus, und wir werfen zu viel in die Meere hinein. Lassen Sie mich das an den wichtigsten Beispielen erläutern.
Wir holen zuviel raus, das gilt natürlich in allererster Linie für die Fische. Über 80 Millionen Tonnen im Jahr holt die Fischerei der Welt aus den Meeren, das ist nicht nachhaltig, dazu kommen 26 Millionen Tonnen aus Aquakultur, oft gefüttert mit Fisch aus Wildfang und deshalb auch nicht nachhaltig. Wenn die Zahlen mal stimmen: Illegale Fischerei ist ein Riesenproblem – man schätzt ihren Anteil auf bis zu 30%. Laut EU-Kommission sind bereits bis zu 88 Prozent der kommerziell genutzten Bestände überfischt. Deutschland und die EU sind weltweit der größte Importmarkt für Fische. Mehr als 15 Kilogramm Fisch essen wir pro Kopf im Jahr – viermal so viel wie deutsche Fischer in EU-Gewässern fischen dürfen. Die Hälfte des EU-Verbrauchs sind Importe, und daran sind wir selber schuld. Mit jahrzehntelanger Überfischung haben wir unsere Gewässer soweit leergefischt, dass wir ihre Produktivität ruiniert haben. Jetzt helfen wir mit, woanders Überfischung zu betreiben. In großem Stil kauft die EU Entwicklungsländern Fischereirechte ab, so dass die meist spanischen Trawler dort den Kleinfischern die Fische wegfangen. So erzeugt man Armut und Migrationsursachen. 90% der vor Namibia gefangenen Fische werden nach Europa exportiert. Was die da genau fangen, kann aber niemand kontrollieren. Übrigens, der pro-Kopf-Fischverbrauch in Afrika ist nicht einmal halb so hoch wie in Europa.
Diese Überfischung wird auch massiv subventioniert, weil sich sonst gar nicht mehr rentiert. Letzte Woche hat die UNCTAD gefordert, sämtliche Fischereisubventionen einzustellen, weltweit immerhin 35 Milliarden Dollar. Das sind Subventionen für die Plünderung der Meere, um es deutlich zu sagen. Über 3 Milliarden zahlt die EU, und damit unterhält sie eine Flotte, die zwei bis dreimal grösser ist, als eine nachhaltige Fischereiwirtschaft zulassen würde. Nun schlägt die EU zwar internationale Gespräche zum Abbau der Fischereisubventionen vor, das tut sie schon lange, aber vergebens. Sie könnte ja einfach selber anfangen, aber das tut sie nicht. Stattdessen hat die EU-Kommission sogar schon Chile vor ein Schiedsgericht der Welthandelsorganisation gezerrt, weil sie chilenische Schutzbestimmungen für wandernde Fischarten wie Schwertfische nicht akzeptiert hat.
Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben: wohin die Fortsetzung der heutigen Fischereipolitik führen wird, kann man heute schon in Neufundland beobachten. Die einst überreichlichen Fischgründe sind leer, da gibt es heute praktisch keine Fische mehr, und deshalb auch keine Fischerei mehr. Mehr als einmal im Monat Seefisch zu essen, bedeutet bereits Raubbau. Umweltorganisationen empfehlen, auf mehr als 100 Seefischarten komplett zu verzichten. Die Diagnose ist klar: Problem erkannt, Lösungen nicht in Sicht.
Wir holen aber nicht nur zuviel Fische aus dem Meer. Der neueste Hype heisst jetzt Tiefseebergbau. Wir brauchen doch immer mehr Rohstoffe, Metalle, Erze – für die Digitalisierung, für „jedes Jahr ein neues Smartphone“, für die schicken Elektroautos und so weiter, und die Rohstoffe an Land reichen dafür offenbar nicht aus. Schon Jules Verne träumte davon, 20 000 Meilen unter dem Meer neue Reichtümer zu finden, und in Wirklichkeit liegen die natürlich nicht 20000, sondern nur wenige Meilen unter dem Meer. Bald soll es losgehen. Das kanadische Unternehmen Nautilus Mining will 2019 anfangen, Edelmetalle vom Meeresboden vor Papua-Neuguinea abzubauen, das wäre das Pilotprojekt. Schürfrechte für 1.2 Millionen km2 hat die UN-Meeresbodenbehörde schon vergeben, ein Gebiet so gross wie Europa. Auch Deutschland hat schon Schürfrechte für Hochseegebiete gekauft. Im Pazifik sitzen viele jetzt in den Startlöchern. So mancher denkt sich da, wenn unsere Inseln sowieso untergehen, dann lass uns vorher noch richtig viel Geld mit ihnen machen. Nautilus ist ein Hochrisikoprojekt, es kann mit der Pleite der Investoren enden. Sollte es aber gelingen, dürfte ein Run zu erwarten sein.
Tiefseebergbau ist aber auch ein ökologisches Hochrisikoprojekt. Die Wissenschaft hat von der Ökologie der Tiefsee im Grunde keine Ahnung. Wer den Meeresboden in grossflächige Baustellen verwandeln will, riskiert die Totalzerstörung dieses Ökosystems. Wir als NRO sagen, es darf keinen Tiefseebergbau geben, eine Dreiviertelmillion Menschen hat dazu eine Petition an die UN unterschrieben. Wir lehnen das ab, denn es gibt genug Rohstoffe an Land. Wenn wir mit denen nicht auskommen, müssen wir anders mit ihnen umgehen. Nicht einmal 10% des Elektronikschrotts wird heute recycelt. In 1 Tonne Elektronikschrott ist 10mal so viel Gold wie im besten Golderz, aber leider ist es 100mal so schwierig es dort wieder rauszuholen, deswegen wird es nicht recycelt. Dann müssen wir das eben ändern, und dafür brauchen wir Regierungen, die nicht auf Deregulierung und freiwillige Selbstverpflichtungen der Industrie setzen, sondern die ihren Job machen und die Industrie zu einem Produktdesign verpflichten, bei dem die Geräte erstens länger halten und zweitens viel leichter wieder auseinandergenommen werden können. Leider ist das nicht in Sicht, die Kommission hat ihr Kreislaufwirtschaftspaket selbst ad acta gelegt und mit ihrer „Better Regulation“-Agenda weniger statt mehr Regulierung angekündigt.
Lassen Sie mich zum zweiten Thema kommen, wir werfen zu viel in die Meere rein. Das ist zwar auch nichts Neues, aber es ist lange in Vergessenheit geraten. Manche von Ihnen werden sich vielleicht daran erinnern, in den 1970er und 1980er Jahren waren das Riesenthemen: die Verklappung sogenannter Dünnsäure durch die Chemieindustrie in die Nordsee, oder die Versenkung von Gift- und Atommüllfässern im Meer. Ja, Sie haben richtig gehört, so dumm waren Regierungen damals, dass sie ernsthaft dachten, das Meer ist groß, wenn wir das alles ins Meer kippen, ist es weg. Dabei wissen wir schon seit den 1950er Jahren, dass die Munition und die Chemiewaffen, die nach 1945 in die Ostsee geworfen wurden, heute noch da sind und immer wieder auftauchen. Gar nichts ist weg. Heute gehen wir mit dem gefährlichen Giftmüll zwar anders um, aber der ganz normale Müll ist heute überall im Meer. Heute schwimmen in jedem Quadratkilometer der Meere hunderttausende Teile Plastikmüll. Die Folgen sind dramatisch: Seevögel verenden qualvoll an Einwegfeuerzeugen in ihrem Magen, Schildkröten halten Plastiktüten für Quallen und Fische verwechseln winzige Plastikteilchen mit Plankton. Viele verhungern mit vollem Magen. Es wird immer mehr – bis zur völligen Zersetzung von Plastik können 350 bis 400 Jahre vergehen. 78 Millionen Tonnen Plastikverpackungen werden weltweit jedes Jahr eingesetzt, ein Drittel landet unkontrolliert in der Umwelt, am Ende meist im Meer. Auch wenn in Deutschland keine großen Mengen Plastikmüll über die Flüsse ins Meer geraten, sollten wir selbst unseren Beitrag gegen die Verpackungsflut leisten, die wächst auch bei uns noch. Die Staaten werden sehr viel mehr regulieren müssen um dieses Problem zu lösen. Was haben Mikroplastikteile in Zahnpasta verloren? Warum wird das nicht verboten? Warum werden funktionierende Mehrwegsysteme von den Einwegplastikflaschen plattgemacht? Auch hier: Problem erkannt, Lösungen nicht wirklich in Sicht.
Aber es geht nicht nur im Plastik und andere Feststoffe, es geht auch um Flüssigkeiten. Das Wasser, das die Flüsse heute in die Meere tragen, ist leider schon lange kein Frischwasser mehr. Da geht es zum Beispiel um die Giftfrachten in Ländern wie China und Indien, also den Ländern, wo ein grosser Teil unserer Konsumprodukte unter sozial und ökologisch unvertretbaren Bedingungen produziert wird, damit sie schön billig sind. Die Regierungen der Welt haben Handelsabkommen abgeschlossen, mit denen sie sich selbst verbieten, solchermaßen hergestellte Produkte anders zu behandeln als Produkte, bei deren Herstellung die Arbeiter anständig bezahlt und die Umwelt nicht zerstört werden. Wer seinen Dreck in die Flüsse entsorgt, hat faktisch einen Wettbewerbsvorteil, und solange das so ist, wird es natürlich auch gemacht. Die Ergebnisse können Sie an den Flussmündungen in allen Schwellenländern bewundern. Dieses Geschäftsmodell funktioniert ganz wunderbar. An dieser Politik wird nicht gerüttelt, die EU-Kommission hat 20 weitere Freihandelsabkommen in der Pipeline, mit denen diese Wettbewerbsvorteile durch Umweltdumping weiter zementiert werden. Sinnvoller wäre es, solche Produkte mit Extrazöllen zu belegen, statt genau solche Extrazölle zu verbieten.
Bei uns in Europa, in den Industrieländern sehen die Flussmündungen natürlich anders aus, aber dennoch haben wir in der Ostsee, im Golf von Mexiko und anderswo große biologisch tote Zonen, ungefähr 500 weltweit sind bekannt, die meisten vor den Küsten Europas und Nordamerikas. In der Ostsee sind die im Sommer oft grösser als ganz Bayern. Da wächst nichts mehr, da lebt nichts mehr, weil es dort keinen Sauerstoff mehr im Meer gibt. Sie ahnen es, die Nitratfrachten aus der industrialisierten Landwirtschaft sind daran schuld. Auch dieses Problem ist lange bekannt, auch unser Grundwasser wird dadurch immer mehr verseucht, aber geändert wird daran nichts. Letztes Jahr leitete die EU-Kommission sogar ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein, weil die Bundesregierung sich seit Jahren standhaft weigert, die Nitratrichtlinie umzusetzen, also die Nitrateinträge ins Grundwasser und die Ostsee wirksam zu reduzieren, weil sie dafür das schädliche Geschäftsmodell der Intensivlandwirtschaft eingeschränken müsste. Wir nehmen sogar in großem Stil Gülleexporte aus der niederländischen Intensivlandwirtschaft an, weil man dort nicht mehr weiß wohin damit. Was muss eigentlich noch geschehen, bis die Regierung handelt und den Lobbyisten der Agrarindustrie sagt: es reicht. Also auch hier, Problem lange bekannt, Lösungen bisher nicht in Sicht.
Nach den Feststoffen und den Flüssigkeiten kommen wir nun zu den Gasen, die wir ins Meer einleiten – auch darunter leidet das Meer ganz enorm. Nach wie vor beruht unser Wirtschaftsmodell auf der Verbrennung fossiler Brennstoffe, Kohle, Öl und Erdgas, und das bei der Verbrennung entstehende Kohlendioxid landet erstmal in der Atmosphäre, auch so eine Gratis-Müllkippe der Industriegesellschaft. Zwei Drittel des Kohlendioxids wird dann aber von den Meeren aufgenommen – ohne die Meere wäre unser Planet wahrscheinlich etwa 30 Grad wärmer und damit unbewohnbar. Aber Sie wissen, wenn Kohlendioxid in Wasser gelöst wird, nennt man das auch Kohlensäure. Und was uns im Mineralwasser einen angenehm säuerlichen Geschmack gibt, finden viele Meeresorganismen leider gar nicht angenehm, Muscheln, Korallen und so weiter. Ihre Kalkhüllen lösen sich nämlich in dem immer saurer werdenden Meerwasser allmählich auf, sie werden immer dünner. Wenn wir so weiter machen, haben wir vermutlich Mitte des Jahrhunderts so gut wie keine Korallenriffe mehr, die artenreichsten Ökosysteme der Meere. Auf dem Weg zu biologisch toten Meeren sind wir dann ein gutes Stück vorangekommen, denn diese Versauerung lässt sich dann in der Tat in menschlich nachvollziehbaren Zeiträumen nicht mehr rückgängig machen. Auch das ist lange bekannt, und dennoch passiert viel zu wenig, keineswegs nur im Lande des Herrn Trump. In NRW finden gerade Koalitionsverhandlungen statt, bei denen die Abschwächung der Klimaziele beschlossen wird. Ãœber die Braunkohle-Kohlensäureschleudern in Deutschland mit ihren schwedischen Betreibern brauche ich hier nicht viel zu sagen, Sie kennen das. Also leider auch hier, Problem erkannt, wirksame Lösungen lassen auf sich warten, der CO2-Ausstoss der Menschheit bleibt viel zu hoch.
Meine Damen und Herren,
die Probleme der Ozeane sind nicht neu, sie sind uns lange bekannt. Gut, dass wir inzwischen öfter darüber reden. Ihre Ursachen kennen wir auch, ihre Lösungen liegen allesamt an Land. Sie liegen in einer Wirtschaftsweise, die allen Beteuerungen zum Trotz eben nicht nachhaltig ist. Was zu tun ist, wissen wir auch. Da muss man eben als Regierung auch mal regulieren und nicht immer nur das Mantra von der Partnerschaft mit der Wirtschaft vor sich hertragen, so wie das gerade in New York ganz groß geschieht. Alle diese notwendigen Maßnahmen müssen nämlich gegen enorme Widerstände politisch durchgesetzt werden. So gesehen, haben wir viel zu tun. Aber die gute Nachricht zum Schluss ist: Wenn wir das mal geschafft haben, dann müssen wir nicht mehr viel tun, denn es geht den Meeren besser, wenn wir sie einfach mehr in Ruhe lassen, weniger rausholen, weniger reinwerfen. Auch wenn das Wort „weniger“ in einer Wachstumswirtschaft nicht gern gehört wird. Mehr Schutz, weniger Nutzung, vor allem weniger Ãœbernutzung, dann sind die Meere auch zu retten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.”