Es gibt Themen, für die es im Deutschen offenbar so sperrige Begriffe gibt, dass sich die englischen Bezeichnungen gleich als »neudeutsche« Lehnworte einbürgern. Ein Beispiel dafür ist Gender. Gender steht für die gesellschaftlich konstruierte »soziale« Geschlechterrolle, nicht zu verwechseln mit dem biologisch bestimmten Geschlecht. Dieses ist im Gegensatz zur Gender-Rolle nicht veränderbar. Ein Schwerpunktheft zu Gender ist ausnahmsweise mal keinem »Fach-Thema« gewidmet, sondern stellt sich einem Querschnittsthema. Christa Wichterich beschreibt in ihrem Artikel, wie noch in Rio 1992, auf der Weltfrauenkonferenz in Beijing 1995 und auf den anderen Weltkonferenzen der 90er Jahre »vereinte globale Schwesternschaften« die Interessen der Frauen vertraten und durchaus erfolgreich dafür sorgten, dass die Geschlechterfrage in dem vermeintlich weitgehend geschlechterblinden Komplex der Nachhaltigen Entwicklung zum Thema wurde. Heute bestimmen andere Herangehensweisen das Bild. Es ist klar, dass sich mit den unbestreitbaren Erfolgen der Frauenbewegungen heute manches anders darstellt. Auf der formalen Ebene ist die Zahl der Frauen, auch in führenden Positionen, in manchen Ministerien oder Parlamenten heute durchaus höher als in vielen Umwelt- oder Entwicklungsorganisationen. Brauchen wir also mehr Geschlechtergerechtigkeit in den NGOs? Dieser Frage geht der Artikel von Juliane Grüning nach. »Mehr Gender in den Greenstream« fordert überschreibt auch Nina Katz ihren Beitrag. Eines der Kernprobleme ist damit jedoch auch beschrieben: die plakativ eingängigen Forderungen nach Frauenquoten u.dgl. tragen der Gender-Dimension nur noch sehr eingeschränkt Rechnung. »Die Klammern und gemeinsamen Nenner sind weniger offensichtlich« (Christa Wichterich). Zwar hat die Bundesregierung in einem Kabinettsbeschluss 1999 ihre Absicht des »gender mainstreaming« – also die Integration von Gender-Aspekten in alle Politikbereiche – festgehalten. Anja Becker stellt jedoch in ihrem Beitrag fest, dass die gleiche Bundesregierung offenbar nicht in der Lage ist, in ihrer Umsetzung einen Bezug zur Nachhaltigkeitsstrategie herzustellen. Gering sind auch die Fortschritte, wenn es um die Gender-Dimension geht. Das fängt bei eher banalen Dingen an – versuchen Sie mal, Kinderbetreuungskosten gegen die Hüter und durchaus auch Hüterinnen von »Allgemeinen und Neben-Bestimmungen der Bundeshaushaltsordnung« geltend zu machen. Dieses Problem trifft formal zwar Männer und Frauen gleichermaßen, aber eben nur formal. Aber diese Gender-Blindheit ist auch in der »großen Politik« weitverbreitet: Nina Katz und Anja Becker verweisen in ihren Beiträgen auf eine Reihe von Beispielen: Wissenschaft, Bildung, Verkehr, Landwirtschaft, Energie usw. Ein kleiner Mini-Schwerpunkt dieses Heftes ist außerdem noch die Handelspolitik: nach der WTO-Teileinigung kommt wieder Bewegung in die Verhandlungen, während die NGOWelt bisher aber noch nicht viel darauf geantwortet hat. Einer der Autoren, Daniel Mittler, war übrigens bis zu seinem kürzlichen Wechsel vom BUND zu Greenpeace der erste männliche Gender-Beauftragte eines deutschen Umweltverbandes…
Jürgen Maier
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