Kommentar von Jürgen Maier, Geschäftsführer des Forums Umwelt & Entwicklung
Auf einmal wollen sie alle dealen. Deals, New Deals, Green Deals, solche Begriffe machen die Runde, und gemeint sind dabei nicht die „genialen Freihandelsabkommen“ eines Donald Trump, sondern große Pläne für progressive Politik. Ob wirklich oder nur scheinbar progressiv, ist dabei eine andere Frage.
New Deal und Green New Deal – woher kommt das?
Es war Franklin D.Roosevelt, US-Präsident von 1933-1945, der den Begriff „New Deal“ geprägt hat. Wörtlich bedeutet der Begriff die „Neuverteilung der Karten“. Gemeint waren eine Serie von Wirtschafts- und Sozialreformen, mit der die US-Bundesregierung massiv in die Wirtschaft eingriff, ein grossangelegtes öffentliches Investitionsprogramm auflegte und den Grundstein des amerikanischen Sozialstaates legte. Nach der Weltwirtschaftskrise wurde vor allem durch Regulierung des Bankensystems und des Wertpapierhandels eine stabilere Wirtschaftsordnung geschaffen. Das Programm wurde von den Republikanern und den Wirtschaftseliten massiv bekämpft und mit Kommunismus und Faschismus gleichgesetzt. Aber breite Mehrheiten profitierten nicht nur wirtschaftlich davon, es war für sie auch psychologisch der Aufbruch aus der Depression der Weltwirtschaftskrise 1929. Roosevelt und die Demokraten gewannen sämtliche Wahlen bis zu Roosevelts Tod 1945. Nach 1945 war der New Deal zu erheblichen Teilen auch das Vorbild für den Wiederaufbau in Europa.
An diese Tradition anknüpfend, geistert der Begriff eines „Green New Deal“ schon länger durch die Welt als einer der vielen Begriffe, mit dem die vielbeschworene „ökologisch-soziale Transformation“ vorangebracht werden soll. Aufmerksamkeit erregte erstmals die von der britischen New Economics Foundation initiierte »Green New Deal Group«, deren Bericht »A Green New Deal« am 21. Juli 2008 erschien. Der damalige UNEP-Chef Achim Steiner griff die Idee kurz darauf mit seinem Vorschlag eines „Global Green New Deal« auf. Reduziert auf einen »Green Deal«, der begrifflich eigentlich gar keinen Sinn macht, wurde es erstmals von der konservativen britischen Regierung 2012 als Gebäudesanierungs-Programm für Energieeffizienz. Soziale Fragen kamen dort natürlich nicht vor.
Der Green New Deal in den USA
Aus akademischen und NGO-Spezialistenkreisen herausgefunden hat der Begriff wohl erstmals 2019. Progressive Politiker in den USA, allen voran Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez, machten den »Green New Deal« zu einem Kampagnenbegriff. Ocasio-Cortez publizierte ein wunderbares Video, mit dem sie die Inhalte des GND brillant und allgemeinverständlich und vor allem emotional ansprechend zusammenfasste. Es wurde und wird millionenfach in den sozialen Medien verbreitet. Sie brachte gemeinsam mit weiteren 98 Abgeordneten einen Resolutions-Antrag in den Kongress ein, den GND zum Regierungsprogramm zu erheben. Damit war die eigene Partei gezwungen, sich dazu zu verhalten. Die Abstimmung steht noch aus. Im Wahlkampf von Bernie Sanders, aber auch der vielen progressiven Kandidatinnen und Kandidaten für den Kongress und andere Ämter, spielt der GND eine zentrale Rolle.
Im Wesentlichen geht es – ganz in der Tradition Roosevelts – um ein massives öffentliches Investitionsprogramm für die Energiewende hin zu 100% Erneuerbaren, Energiesparen vor allem durch Gebäudesanierung, eine Ökologisierung der Landwirtschaft, massiven Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel und anderer Zukunftsinfrastrukturen. Gekoppelt wird dies mit einer Beschäftigungsgarantie und breiten Lohnsteigerungen im Niedriglohnsektor, der Schaffung neuer und guter Arbeitsplätze vor allem im öffentlichen Sektor und im Mittelstand, dem Aufbau eines Sozialstaats europäischer Prägung, mit regionaler Entwicklung und Wertschöpfungskreisläufe und einem entsprechenden wirksamen Aussenschutz, sprich: weniger Globalisierung.
Sanders und Ocasio-Cortez halten es für naiv zu glauben, so etwas bekommt man, wenn man vor allem auf die Kräfte des Marktes setzt. Dafür setzen die Protagonisten des GND auf einen aktiven Staat, der in die Wirtschaft eingreift. Der Green New Deal soll die Nutzung der fossilen Energien beenden, aber auch den Neoliberalismus. Natürlich werden für eine solche umfassende Umgestaltung der Wirtschaft jede Menge Arbeitskräfte benötigt. Das bedeutet, es wird mehr neue Arbeitsplätze geben als alte verloren gehen. Das ist der Unterschied zu einem Strukturwandel, der ungeplant vonstatten geht. Es geht nicht darum, ein reines Umweltprogramm aufzulegen, oder den Neoliberalismus klimafreundlicher zu machen, oder um den Umbau einer einzelnen Wirtschaftsbranche, etwa des Energiesektors. Es geht um den Umbau der gesamten Wirtschaft – um sie gleichzeitig ökologisch nachhaltiger und sozial gerechter zu machen. Das sind für Sanders und Ocasio-Cortez die beiden Kernaufgaben unserer Zeit.
Und jetzt kommt natürlich sofort die Frage, wer soll das alles bezahlen – eine Frage, die immer nur gestellt wird, wenn es um progressive Ideen geht. Wenn es darum geht, mit riesigen Milliardensummen Banken zu retten, ist immer Geld da. Wenn es darum geht, die Unternehmenssteuern noch weiter zu senken, ist dafür immer Geld da. Die Federal Reserve Bank, die EZB und andere Zentralbanken schaffen heute jeden Tag Milliarden aus dem Nichts, sie nennen es „quantitative easing“, und finanzieren damit alles Mögliche, Staatsschulden, Unternehmensanleihen und so weiter. Nur nichts Zukunftsweisendes. Wo landet denn dieses Geld am Ende? Im Endeffekt machen sie damit nur diejenigen noch reicher, die ohnehin reich sind.
Aber das kann man ja ändern. Die »Modern Monetary Theory« (MMT) ist heute eine der interessantesten wirtschaftspolitischen Konzepte, die in Europa allerdings kaum bekannt ist – vermutlich weil sie gegen sämtliche Gebote und Verebote der politisch-ökonomischen Orthodoxie vor allem in Deutschland verstösst. Die Wirtschaftsprofessorin Stephanie Kelton ist das Aushängeschild der MMT und ist eine der wichtigsten wirtschaftspolitischen Beraterinnen von Bernie Sanders. Dies genauer zu erklären, würde hier zu weit führen und kann an anderer Stelle nachgelesen werden – etwa hier, hier, hier oder hier. Eine erstaunlich freundliche Übersicht gibt sogar Bloomberg. Die MMT geht davon aus, dass Staaten, die ihre eigene Währung und Zentralbank besitzen (also die USA), im wesentlichen das Geld selbst schaffen können, das sie für die Staatsaufgaben benötigen und nicht anderweitig (etwa durch Steuern) einnehmen. De facto arbeitet Japan mit seiner horrenden Staatsverschuldung schon seit Jahrzehnten so, wobei die Hauptschuldnerin des japanischen Staates seine eigene Zentralbank ist, so dass diese Schulden eigentlich nur theoretischer Natur sind.
Wenn also die Geldschöpfung der Zentralbanken für die Finanzierung von Staatsaufgaben wie dem GND herangezogen wird, geht es eigentlich spätestens seit der Finanzkrise 2008 nicht mehr so sehr darum, ob man das macht, sondern darum, wer die Nutzniesser sind. Die EZB hat mit ihren Anleihenkaufprogrammen seit 2009 Staatsanleihen und private Unternehmensanleihen gekauft für die schwindelerregende Summe von 2.6 Billionen Euro, das sind 2600 Milliarden Euro. Jeden Monat pumpt die EZB 20 Milliarden frisches Geld in den »Markt«. Noch mehr haben die USA gemacht. Was genau damit gekauft wurde und wird, wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass eben nicht nur Staatsanleihen gekauft werden, sondern auch Anleihen grosser Konzerne. Bayer konnte so seine Monsanto-Übernahme mit finanzieren.
Geld ist offensichtlich genug da, es wird praktisch gedruckt – und es landet bei denjenigen, die ohnehin schon viel haben. Das billige Geld treibt die Aktienkurse, die Immobilienpreise, die Ackerlandpreise in immer neue Höhen, die mit realer Wertschöpfung nichts mehr zu tun haben, und sucht sich immer neue Anlagemöglichkeiten. Je höher der Aktienkurs, je höher die Immobilienpreise, desto höher müssen auch die Renditen sein, wenn die Rentabilität der Investition nicht sinken soll. All das haben arbeitende Menschen für die Investoren zu erwirtschaften.
Es wird Zeit, dass mit dieser Geldschöpfung etwas Sinnvolleres gemacht wird. Genau das planen Sanders, Ocasio-Cortez & Co. Wenn die immense Geldschöpfung der Zentralbanken nicht mehr der Ausweitung privater Vermögen dienen, sondern öffentlichen Zwecken und dem Gemeinwohl, wird die globale Investorenklasse von einer ihrer wichtigsten Geldquellen abgeschnitten. Daher lehnen sie die MMT rundheraus als völlig utopisch und unrealistisch ab – nicht aber die Politik des »quantitative easing«. Wie gesagt: das Prinzip der MMT ist eigentlich seit der Finanzkrise 2008 Praxis, beim GND werden aber die Nutzniesser geändert.
Der Green New Deal ist also keine der neumodischen „win-win“-Veranstaltungen, wo es angeblich nur Gewinner gibt. So etwas ist eine Illusion. Nein, es gibt dabei Verlierer, und das sind genau diejenigen, die in den letzten 40 Jahren den Neoliberalismus durchgeboxt haben, und die in dieser Zeit reicher geworden sind auf Kosten anderer.
[…]
Zum Weiterlesen laden Sie hier den vollständigen Artikel herunter: Grüne Deals