von Anna Holthaus und Dr. Minu Hemmati, MSP Institute e. V.
Ohne Geschlechtergerechtigkeit ist die Umsetzung der 17 globalen Nachhaltigkeitsziele nicht möglich (UN Women 2018). Dies gilt auch für den nachhaltigen Umgang mit Chemikalien und das Ziel eines gesunden Planeten für alle. Wieso das so ist und was der derzeitige Gestaltungsprozess des Strategischen Ansatzes zum Internationalen Chemikalienmanagement (SAICM) hierzu beitragen kann, möchten wir in diesem Beitrag erläutern.
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©miratrick
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Chemikalien und Gender – was hat das miteinander zu tun?
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Es gibt drei Gründe, warum das Thema Gender für Chemikalien von Bedeutung ist:
- biologische Differenzen
- soziale Geschlechterrollen, – normen und -identitäten
- das Potenzial der Gender-Analyse
Biologische Differenzen
Die Körper von Frauen und Männern sind unterschiedlich von bestimmten Chemikalien betroffen –  Wie stark Personen gesundheitsschädigenden Chemikalien ausgesetzt sind, auch Exposition genannt, und welche Risiken und Auswirkungen dies mit sich trägt, kann je nach Geschlecht sehr unterschiedlich sein. So speichern Frauen aufgrund eines höheren Körperfettanteils eher mehr Umweltschadstoffe in ihrem Gewebe als Männer. Zudem durchleben Frauen neben der Pubertät weitere Lebensphasen wie Schwangerschaft, Stillzeit und Menopause, in denen ihr Körper aufgrund der starken physiologischen Veränderungen anfälliger für Gesundheitsschäden durch Chemikalien wird. Außerdem können dabei auch chemische Belastungen an die nachfolgende Generation weitergegeben werden (UNDP 2011). Aber auch Männer sind gegenüber manchen Chemikalien besonders anfällig: ForscherInnen sehen in hormonell wirkenden Chemikalien und Schadstoffen eine mögliche Ursache für den weltweiten Anstieg der Hodenkrebsrate und den massiven Verlust der Anzahl an Spermien von Männern in Industrieländern (Levine et al. 2017). Diese biologischen Differenzen sind bisher jedoch unzureichend erforscht und finden auch in der Risikoanalyse von Chemikalien und Medikamententests nur wenig Beachtung.
Soziale Geschlechterrollen, -normen und -identitäten
Zweitens ist das Geschlecht als soziale Kategorie mit geschlechtsspezifischen Verhaltensnormen und Rollen in der Gesellschaft sowie der Entwicklung von “weiblichen” und “männlichen” Identitäten verknüpft. Diese wiederum beeinflussen das Verhalten im Umgang mit Chemikalien, einschließlich ihrer Auswirkungen auf die Umwelt. So sind Männer und Frauen zum Beispiel aufgrund der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern von unterschiedlichen Chemikalien häufiger betroffen: Männer arbeiten eher im Bauwesen und kommen so mit Chemikalien von Baustoffen in Kontakt, Frauen häufiger in Pflegeberufen mit Reinigungsmitteln und Kosmetik- oder Pflegeprodukten. Aber auch innerhalb einzelner Sektoren bewirkt die Arbeitsteilung unterschiedliche Expositionen: So machen beispielsweise Frauen im Durchschnitt 43 Prozent der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte in Ländern des Globalen Südens aus. Sie sind dabei stärker von indirekter Exposition betroffen, zum Beispiel durch die Ernte und den Umgang mit chemisch behandelten Pflanzen oder kontaminierter Kleidung, während Männer oft direkter exponiert sind, unter anderem beim Mischen von Chemikalien (UNDP 2011). Frauen sind zudem stärker von der Innenraumverschmutzung beispielweise durch die Verbrennung von Haushaltsbrennstoffen oder die chemische Belastung durch das Mobiliar betroffen, insbesondere in benachteiligten Bevölkerungsgruppen[1] (WHO 2009).
Das Potenzial der Gender-Analyse
Drittens werden in der Gender-Analyse Fragen gestellt, die uns helfen, die Ursachen für nicht nachhaltiges Verhalten und Gesellschaften zu verstehen und innovative Lösungsansätze für eine nachhaltige Chemikalienpolitik zu finden. Mit der Gender-Analyse lässt sich beispielsweise herausfinden, warum Schutzmaßnahmen beim Umgang mit giftigen Chemikalien immer wieder außer Acht gelassen werden: So halten sich Arbeiter aufgrund ihres „männlichen“ Rollenverständnisses weniger an Schutzmaßnahmen und tragen seltener Schutzkleidung als ihre Kolleginnen; Frauen insbesondere aus Ländern des Globalen Südens, können sich hingegen passgenaue Schutzkleidung weniger leisten als ihre männlichen Kollegen (falls diese überhaupt erhältlich ist), und sie können aufgrund von höheren Analphabetismus-Raten Sicherheitshinweise weniger gut verstehen und umsetzen (Andrade-Rivas/Rother 2015). Das Bebildern von Sicherheitshinweisen, die finanzielle Förderung von Frauen beim Erwerb von Schutzkleidung und Sicherheitstrainings, in denen Geschlechterrollen thematisiert werden, können somit neue und vorher nicht bedachte Problemlösungen bieten.
SAICM geschlechtergerecht gestalten
Wie gezeigt, hilft die Integration von Genderaspekten, Problemursachen aufzudecken, effektive Lösungen zu finden und Ungerechtigkeiten entgegenzuwirken. Daher findet Gender, dank engagierter Frauengruppen und GenderexpertInnen, bereits in vielen UN Prozessen verstärkt Beachtung. Hierbei wurden Politikinstrumente und Werkzeuge entwickelt, welche auch bei SAICM nützlich wären: So gibt es zum Beispiel im Klimaprozess UNFCCC bei jeder Konferenz einen „Gendertag“. Mehrere UN-Prozesse haben für ihre Genderaktivitäten einen Gender Focal Point innerhalb ihres Sekretariats ernannt. In den Konventionen zu Basel, Rotterdam und Stockholm (BRS), im Biodiversitäts- und im Klimaprozess wurden mehrjährige Gender Aktionspläne entwickelt.
Um negative Auswirkungen von Chemikalien aufgrund von Geschlechterungerechtigkeiten entgegenzuwirken und eine geschlechtergerechte und gesunde Zukunft für alle zu ermöglichen, müssen Genderaspekte nun auch innerhalb des SAICM Post 2020 Prozesses integriert werden.
Wir fordern daher:
- einen Gender Focal Point im zukünftigen Sekretariat einzurichten,
- in einem partizipativen Prozess einen Gender-Aktionsplan zu entwickeln,
- geschlechtsdifferenzierte Daten verfügbar zu machen und die Forschung zum Thema zu verstärken,
- Gender-Analysen und Genderexpertise auf internationaler und nationaler Ebene systematisch zu nutzen,
- Frauen voll und gleichwertig in die Entscheidungsfindung auf allen Politikebenen einzubeziehen,
- und die aktive Teilnahme von Frauenorganisationen in internationalen und nationalen Politikprozessen ideell und finanziell zu unterstützen.
Anna Holthaus und Dr Minu Hemmati vom MSP Institute e. V. setzen sich innerhalb des Projektes „Gender & Chemicals“ für die Integration von Genderaspekten im SAICM Beyond 2020 Prozess ein. Mehr Hintergrundinformationen, Blogs und Politikvorschläge finden sich auf www.gender-chemicals.org.
[1] Dies zeigt auch, dass neben dem Geschlecht weitere Kategorien unterschiedliche Betroffenheit von Chemikalien bedingen, wie zum Beispiel das Alter, die allgemeine Gesundheit, soziale Benachteiligung und/oder die Herkunft.