– Forderungen zur ökologischen Reform des WTO-Regimes –
Positionspapier der AG Handel im Forum Umwelt & Entwicklung:
Der “Earth Summit + 5” als Folgekonferenz des Erdgipfels von Rio (1992) kommt zu dem Ergebnis, daß sich die negativen Trends einer nicht-nachhaltigen Entwicklung weiter fortgesetzt haben. Dabei wird der kausale Zusammenhang zwischen der zunehmenden wirtschaftlichen Deregulierung und der Verschlechterung der Umweltqualität unterstrichen.
Die in der AG Handel des Forums Umwelt & Entwicklung vertretenen Nichtregierungsorganisationen haben sich einen sozialen, ökonomischen und ökologischen Strukturwandel im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zum Ziel gesetzt. Dies erfordert einen verantwortungsbewußten Umgang mit natürlichen Ressourcen, der mit der ungebremsten Liberalisierung des Welthandels nicht vereinbar ist.
Wir fordern daher eine ökologische und sozialverträgliche Reform des internationalen Handelssystems. Die anstehende WTO-Verhandlungsrunde zur Jahrtausendwende (Millennium Round) darf nach unserer Auffassung keine Freihandelsrunde nach bisherigem Muster werden, sondern sollte vielmehr dem Thema “nachhaltige Entwicklung” gewidmet sein. Das heißt: “Umwelt” und “Entwicklung” müssen als Kernthemen auf die WTO-Agenda gelangen und substantielle Fortschritte i. S. der unten genannten Forderungen erzielt werden.
Unter deutscher EU-Präsidentschaft sollen im ersten Halbjahr 1999 die europäische Verhandlungslinie und Themenschwerpunkte für die nächste WTO-Ministerratstagung sowie die Millennium Round festgelegt werden. Wir nehmen dies zum Anlaß, zu wichtigen Punkten Stellung zu nehmen und fordern die Bundesregierung auf, ihrer besonderen Verantwortung gerecht zu werden und im Rahmen dieser Verhandlungen die Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen. Hier heißt es:
“Internationale Wirtschaftsregime, wie die WTO (…) müssen nach ökologischen und sozialen Kriterien neu gestaltet werden. Die Möglichkeit nationaler Gesetzgeber, ökologische und soziale Standards bei Investitionen und Handel einzuführen, muß beibehalten werden” (S.48).
Wir stimmen darin überein, daß dem Agrarsektor hierbei besondere Aufmerksamkeit zuteil werden muß. Hierzu heißt es im Koalitionsvertrag:
“Bei den anstehenden WTO-Verhandlungen müssen in der internationalen Agrarpolitik ökologische und soziale Mindeststandards durchgesetzt werden” (S. 42).
Die Reform der WTO ist eine unabdingbare Voraussetzung, “die Chancen der Globalisierung für nachhaltiges Wachstum, Innovation und neue zukunftsfähige Arbeitsplätze zu nutzen,” wie es in der Präambel des Koalitionsvertrages heißt. Die unterzeichnenden Organisationen werden diesen Prozeß kritisch begleiten und sich für eine ökologisch wirklich kohärente WTO-Reform einsetzen.
- einen Konsultationsprozeß unter Beteiligung von Bundestag und NROs zu initiieren
- die in diesem Papier genannten Themen auf die EU-Agenda zu bringen
- sich bei den beiden WTO High Level Meetings “Trade and Environment” sowie “Trade and Development” aktiv dafür einzusetzen, daß die ökologische und soziale Reform der WTO zum Kernthema der Millennium Round wird.
Kernthemen und zentrale Forderungen
1. Multilaterale Umweltabkommen und die WTO
Ein großer Teil der gegenwärtigen Umweltprobleme hat grenzüberschreitenden Charakter und ist allein im nationalen Rahmen nicht zu lösen. Im Zuge internationaler Verhandlungen wurden daher ca. 180 multilaterale Umweltabkommen abgeschlossen, von den etwa 10% handelsbeschränkende Maßnahmen enthalten (u.a. Basel Convention, CITES, Montreal Protocol). Deren formale Anerkennung durch die WTO steht jedoch noch aus (vgl. Art. I, III, XI, XX GATT).
Multilaterale Umweltabkommen (MEAs) sind die derzeit wichtigsten Instrumente zur Lösung internationaler Umweltprobleme. Damit es bei ihrer Umsetzung und Fortentwicklung zu keinem Stillstand oder gar Rückschritt kommt, fordern wir die Anerkennung der Priorität von MEAs vor der WTO und eine uneingeschränkte Zulassung von Handelsmaßnahmen aller MEAs, die vom UNEP als legitime und offen ausgestaltete MEAs akzeptiert werden.
Wir schlagen daher vor, Art. XX GATT entsprechend zu ergänzen. Eine allgemeine Ausnahme-klausel für MEA-Handelsrestriktionen in Art. XX könnte folgenden Wortlaut haben:
(…) “(k) undertaken in pursuance of obligations under any (Multilateral Environmental Agreement) which has the approval of the United Nations Environment Programme (UNEP).”
Um Mißbrauch zu vermeiden, könnten für multilaterale Umweltabkommen mit Ausnahmestatus unter der WTO von der UNEP ergänzende Kriterien festgelegt werden, wie z.B.: geographische Reichweite des Umweltproblems, Anzahl der Ratifikationen des Abkommens, Effektivität und Transparenz der getroffenen Maßnahmen.
Bei Kompetenzstreitigkeiten zwischen der WTO und MEAs ist zur Streitschlichtung eine unabhängige Instanz einzuschalten. Um das Risiko solcher Streitfälle gering zu halten und um den Kommunikationsfluß zu verbessern, ist den MEA-Sekretariaten künftig Beobachterstatus innerhalb der WTO einzuräumen.
2. Verankerung des Vorsorgeprinzips in der WTO
Das Vorsorge-Prinzip als wesentliches Grundprinzip der Umweltpolitik ist es in der WTO nicht angemessen verankert.
Im Agreement on the Application of Sanitary and Phytosanitary Measures (SPS), das innerhalb der WTO u.a. den Umgang mit Gesundheitsstandards für Nahrungsmittel regelt, wird stattdessen die Verpflichtung betont, international vereinbarte Standards (z.b. Codex Alimentarius) anzuwenden, wo immer sie existieren. Höhere nationale Standards werden von der WTO nur dann akzeptiert, wenn sie wissenschaftlich “fundiert” sind, bzw. auf einem Risk Assessment beruhen, das den Anforderungen der WTO genügt. Ob diese Kriterien erfüllt sind, entscheidet allein die WTO.
Das aktuelle Streitfall über hormonbehandeltes Rindfleisch zwischen den USA und der EU setzt de facto gefährliche Präjudizien für die weitere Handhabung des Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutzes innerhalb der WTO. Die Aushebelung höherer nationaler Standards durch die WTO kann nicht hingenommen werden.
Wir fordern daher die bindende Verpflichtung der WTO auf das Vorsorgeprinzip. Zugleich ist bei Streitfällen eine Beweislastumkehr vorzunehmen: die Partei, die gegen handelsbeschränkende Maßnahmen zum Umwelt- und Gesundheitsschutz klagt, muß den Nachweis erbringen, daß diese Maßnahmen sachlich unbegründet und diskriminierend sind. Ähnlich dem juristischen Grundsatz “im Zweifel für den Angeklagten” würde somit im Zweifel für den Umwelt- und Verbraucherschutz entschieden. Schließlich ist eine angemessene Beteiligung von Umweltexperten bei Streitfällen mit umweltpolitischem Hintergrund sicherzustellen.
3. Produktionsbezogene Umweltstandards
Die WTO erlaubt die handelspolitische Ungleichbehandlung von Produktionsverfahren (Process and Production Methods, PPMs) – sofern diese keine unmittelbare Auswirkung auf die physischen Eigenschaften des Endproduktes haben – bislang nur im Rahmen äußerst restriktiv gehandhabter Ausnahmeregeln. Das heißt: Holz ist Holz, egal ob aus Raubbau oder nachhaltiger Forstwirtschaft. Die WTO ist also blind für die Umwelt(un)verträglichkeit von Produktionsverfahren.
Wir erachten dies als eine wesentliche Blockade gegenüber einer nachhaltigen Entwicklung. Solange geeignete Umweltstandards – etwa im Rahmen von MEAs – international nicht verbindlich festgeschrieben sind, sollten auch unilaterale Maßnahmen erlaubt sein, um gravierende Umweltschäden mit internationalen Auswirkungen abzuwenden. Diese könnten sowohl in Handelsrestriktionen (z.B. Grenzausgleichsabgaben und Importbeschränkungen, etwa für Raubbau-Holz aus Urwäldern), als auch in Anreizen (z.B. Zollpräferenzen, Positiv-Kennzeichnungen) bestehen, um geeignete Rahmenbedingungen für ein nachhaltiges Wirtschaften zu schaffen.
Wir schlagen daher vor, eine Erweiterung von Art. III GATT mit dem Ziel zu prüfen, PPM-bezogene Grenzausgleichsabgaben zum Schutz der internationalen Umwelt zu ermöglichen. Ähnlich wäre eine Erweiterung von Art. XX GATT zu prüfen, um unter klar definierten Bedingungen auch unilaterale Handelsrestriktionen und -präferenzen zuzulassen.
Um dem protektionistischen Mißbrauch solcher Maßnahmen vorzubeugen, bedarf es transparenter und demokratisch kontrollierter Kriterien (z.B. internationaler Problemcharakter, angemessener Eigenbeitrag des sanktionierenden Landes zur Problemlösung, kooperatives Vorgehen, Transparenz und Zielorientierung der ergriffenen Maßnahmen, zweckgebundener Einsatz erhobener Abgaben).
Abbau umweltschädigender Subventionen Das Subventionsabkommen der WTO sieht den umfassenden Abbau von Subventionen vor. Während viele Entwicklungsländer seit langem auf den Abbau von Agrar- und Fischerei-Subventionen der Industrieländer drängen, setzen diese ihre Subventionspraxis fort und betreiben auf dem Weltmarkt – z.B. durch Exportsubventionen für Fleisch und Getreide – ein ruinöses Dumping zu Lasten der Landwirtschaft und Ernährungssicherheit vieler Entwicklungsländer. Hier ist mehr Kohärenz von Handels-, Entwicklungs- und Umweltpolitik erforderlich. Viele Subventionen in den Bereichen Agrar-, Forst- und Fischereiwirtschaft sind auch ökologisch unverträglich. Wir fordern daher die konsequente Ãœberprüfung der Subventionspraxis im Rahmen der WTO-Verhandlungen. Bei der Frage nach der Zulässigkeit von Subventionen sind unter Beteiligung aller Betroffenen ökologische, soziale und Ernährungssicherheits-Kriterien zu entwickeln und anzuwenden. Dabei ist insbesondere den Interessen der Entwicklungsländer Rechnung zu tragen.