Argentinien verweigert Nichtregierungsorganisationen die Teilnahme an der WTO-Ministerkonferenz
Über 60 Personen von mehr als 20 Organisationen hatten etwa zehn Tage vor Beginn der 11. WTO-Ministerkonferenz in Buenos Aires (wir berichteten hier) Post vom WTO-Sekretariat in ihrem Emaileingang. Darin wurde ihnen mitgeteilt, dass ihre von der WTO bereits akzeptierte Akkreditierung von der argentinischen Regierung nicht akzeptiert würde, eine Einreise nach Argentinien sei fraglich. Betroffen waren vor allem europäische und lateinamerikanische Organisationen, unter ihnen Männer und Frauen, die sich teilweise seit Jahrzehnten friedlich für eine faire Handelspolitik, Schutz der Menschenrechte und der Umwelt einsetzen. VertreterInnen von Organisationen wie dem deutschen BUND, dem niederländischen Transnational Institute und der britischen Organisation Global Justice Now wurden pauschal ausgeladen. VertreterInnen der großen transnationalen Konzerne, die zu Hunderten anreisen, um ihre Interessen durchzusetzen, waren nicht betroffen. Nur zwei VertreterInnen kleinerer Unternehmen fanden sich auf der „black list“ wieder.
Die Begründung der argentinischen Regierung fiel karg aus. Angeblich hätten die Betroffenen im Vorfeld des Gipfels zu Gewalt und Chaos aufgerufen.
Immerhin: Viele Regierungen, vor allem in Europa, erklärten ihre Unterstützung für die betroffenen NROs und machten ihren Einfluss geltend, um Argentinien zum Umdenken zu bewegen. Teilweise mit Erfolg, sodass einzelne TeilnehmerInnen ihre Akkreditierung zurück erhielten. Einem norwegischen Aktivisten und einer britischen Journalistin wurde die Einreise verweigert, sie wurden an der argentinischen Grenze abgewiesen. Die Entscheidung Argentiniens zeigt einmal mehr, dass der Spielraum für eine unabhängige kritische Zivilgesellschaft weltweit schrumpft. Erst vor wenigen Wochen beispielsweise wurde die friedliche Alternativkonferenz beim Afrika-EU-Gipfel in der Elfenbeinküste von der Polizei aufgelöst.
Ein bitterer Beigeschmack bleibt aber definitiv zurück:
- Viele betroffene Menschenrechts- und UmweltaktivistInnen traten ihre Reise gar nicht erst an, um nicht an der Grenze zurück geschickt zu werden
- Fast ausschließlich EuropäerInnen, deren Regierungen sich für sie eingesetzt hatten, erhielten ihre Akkreditierung zurück. Zivilgesellschaftlichen Akteuren, die in ihren Ländern sowieso schon Repressionen ausgesetzt sind, wurde nun zusätzlich die Möglichkeit genommen sich auf internationaler Ebene für ihre Belange einzusetzen.
- Wenn Zivilgesellschaft in Zukunft erst an internationalen Konferenzen teilnehmen kann, wenn ihnen das durch ihre Regierungen ermöglicht wird, dann sind sie nicht länger unabhängige Zivilgesellschaft
- Worüber Niemand spricht: Bei jeder internationalen Konferenz wird es unzähligen Angehörigen der Zivilgesellschaft verwehrt, ihre Belange einzubringen, indem ihnen im Vorfeld einfach das Visum verwehrt wird. Meist sind sie aus den Ländern des Globalen Südens. Das Privileg visafrei einreisen zu können, lässt diese Problematik leicht in Vergessenheit geraten.
Das Vorgehen Argentiniens stellt ein Novum dar: Noch nie wurde Zivilgesellschaft als Beobachter ausgeschlossen! Im Vorfeld der argentinischen G20-Präsidentschaft eine Kostprobe dessen, was zivilgesellschaftliche Arbeit erwarten könnte.
Leider setzt sich die restriktive Politik Argentiniens gegenüber der Zivilgesellschaft bisher auch während des Gipfels fort. So ist erstmals bei einer Eröffnungsveranstaltung die Zivilgesellschaft ausgeladen worden, und konnte die Zeremonie nur aus den Hotelzimmern über den Bildschirm verfolgen.
In den kommenden Tagen ist neben einem Alternativgipfel und einem Kulturfestival auch eine Demonstration für eine faire Handelspolitik geplant. Es bleibt zu hoffen, dass die Menschen trotz des massiven Polizeiaufgebots friedlich demonstrieren können.
Viele Grüße aus Buenos Aires!
Alessa und Nelly