Sehr geehrte Damen und Herren,
unsere Organisationen sind seit Langem im Habitat-Prozess engagiert und/oder vertreten Menschen, die von den Zusammenbrüchen marktorientierter Wohnungspolitik betroffen sind. Gemeinsam treten wir für eine soziale Regulierung der Märkte ein, die die Spekulation beendet. Wohnungen, Land und Hypotheken müssen als Güterbehandelt werden, die dem Gemeinwohl dienen und nicht dem Profit. Wir sind sehr besorgt über fundamentale Defizite im bisherigen Verlauf der Vorbereitungen der Habitat III-Konferenz.
Es ist allgemein bekannt, dass die Finanzkrisen 2007–08 aus Immobilienblasen im Kontext globalisierter Finanzmärkte entstanden. In der Folge verarmten Hunderte von Millionen Menschen, viele Millionen verloren ihre Wohnung. Seit 2008 fanden allein in Spanien 436.235 Zwangsräumungen statt. Regierungen, Kommunalverwaltungen, Communities, soziale Organisationen und gemeinwohlorientierte Wohnungsbauunternehmen rund um die Welt kämpfen immer noch mit den Konsequenzen.
Das Modell einer sozialen Wohnungsversorgung über Eigenheime, die mit kommerziellen Krediten finanziert werden, ist völlig fehlgeschlagen. Dennoch setzen Regierungen diese Politik fort. In Ostasien droht das explosive Wachstum der Hypothekenfinanzierung des Immobiliensektors und der Infrastruktur zum nächsten Finanzcrash zu führen. In Indien treibt die Regierung den Bau von 100 „smart cities“ voran, finanziert von transnationalem Kapital auf Kosten anderer sozialer Prioritäten. In London sollen kommunale Sozialsiedlungen zugunsten der Finanzindustrie umgebaut und privatisiert werden. Marktgetriebene Megaprojekte, Landgrabbing und Stadterneuerungsprojekte vertreiben weltweit Menschen und zerstören gewachsene Stadtteile, weil privates Finanzkapital nur dort investiert wird, wo es hohe Rendite im Interesse der Anleger gibt.
Den Preis zahlen kleine Eigenheimbesitzer, ebenso wie Mieter und die Bewohner unautorisierter Siedlungen. Schätzungsweise 330 Millionen Haushalte weltweit sind durch ihre Wohnkosten finanziell überschuldet. In Italien sind mehr als 250.000 Familien von Zwangsräumungen aufgrund von Mietrückständen bedroht. Weltweit werden mindestens eine Milliarde neuer Wohnungen bis 2025 benötigt (1). Werden diese Wohnungen von den Finanzmärkten bereitgestellt? Nach Jahrzehnten von Privatisierung und Deregulierung fehlen den Kommunalverwaltungen heute die Möglichkeiten und die gemeinwohlorientierten Partner, um angemessenen Wohnraum für alle bereitzustellen und die relevanten Märkte im Interesse der Bedürftigen zu regulieren (Land, Mieten, Hypotheken…).
Wir glauben, dass Eigentum fair verteilt sein sollte und sozial reguliert werden muss, um es vor der Perversion der Finanzialisierung zu bewahren, und dass Eigentum einer gesellschaftlichen Verpflichtung unterliegt. Wir glauben auch, dass Alternativen zum privaten Immobilienbesitz, wie es sie in vielen Gesellschaften gibt (community land trusts, öffentlicher Wohnungsbau, selbstverwaltete Wohnprojekte usw.), eine wichtige Rolle dabei spielen, die Wohnungsbedürfnisse sicherzustellen. Ihre Weiterentwicklung und Stärkung gehören zu den zentralen Instrumenten, um die Wohnungs-, Land- und Urbanisierungskrisen zu lösen.
Wir hatten erwartet, dass Habitat III Raum für die Reflektion der harten Lektionen bieten würde, die wir aus den Finanzkrisen gelernt haben. Wir haben uns daher die Policy Unit (PU)-Papiere angesehen, welche die Habitat III-Konferenz der Vereinten Nationen und ihre Ergebnisse vorbereiten sollen. Die Policy-Papiere schweigen leider zu diesen Fragen, obwohl die Staaten in der Habitat II-Agenda von 1996zugesagt hatten, sozial gerechte makroökonomische Politiken zu verfolgen. (2)
Wir können nicht verstehen, dass Tatsachen über die Finanz- und Wohnungskrise – mit wenigen Ausnahmen (3) – kaum erwähnt werden. Wir sind ferner enttäuscht, dass die lokalen Konsequenzen wachsender globaler Ungleichheit nicht diskutiert werden, so zum Beispiel die extreme Umverteilung des globalen Wohlstands auf wenige Menschen (4), oder die Konsequenzen von Freihandelsabkommen wie TISA, CETA, TPP, ferner transnationale Austeritätsmaßnahmen und Strukturanpassungsprogramme (durch internationale Finanzinstitutionen oder die europäischen Krisenprogramme).
Wir vermissen auch jede systematische Diskussion über die direkte Verantwortlichkeit von Politikern, Konzernen und Banken für diese Entwicklungen. Die Papiere sagen nichts über die Notwendigkeit, gegen diese Entwicklungen mit gesetzlicher Regulierung der Immobilienwirtschaft und der Schaffung von Alternativen zu den Immobilienmärkten vorzugehen. Stattdessen finden wir sehr viele marktorientierte Ansätze in den Papieren. (5)
Wir sind sehr besorgt über die Konsequenzen dieser grundlegenden Defizite für die Ergebnisse von Habitat III. Der Ausschluss dieser internationalen Fragen wäre ein extremer Rückschritt in den Bemühungen für mehr globale Gleichheit und Gerechtigkeit, wie sie in der Habitat II Agenda von 1996 versprochen wurde, und auch in der 2030-Agenda für Nachhaltige Entwicklung. Habitat III könnte mit einem Verrat an den bisherigen Prinzipien und Zusagen der Habitat-Agenda und mit einer verengten, zweitklassigen „new urban agenda” enden. Wir befürchten, dass dies ein neuer Vorwand für wirtschaftlichen Druck auf das Allgemeinwohl, unsere Lebensgrundlagen und Menschenrechte wäre.
Dennoch erkennen wir an, wieviel Arbeit bereits geleistet wurde und wie viele Ressourcen bereits in die Vorbereitungen und in die ambitionierten Prozesse eingeflossen sind. Leider könnte der Wert der Ergebnisse weit hinter den Investitionen zurückbleiben.
Die Policy Unit Papers listen zahlreiche Ziele und Instrumente für nationale und lokale Regulierung von Wohnungs- und Bodenmärkten auf (6), über die wir gerne ernsthaft diskutieren würden. Genauso wenig wie wir eine Reflektion der globalen Herausforderungen der Finanzialisierung finden, finden wir ein systematisches Konzept zur erforderlichen Umsetzung transnationaler Regulierung solcher Märkte. Ohne eine klare Verpflichtung der internationalen Gemeinschaft auf die Menschenrechte – wie es in der Habitat-Agenda bisher der Fall war – und zu einer gerechten und nachhaltigen Organisation menschlicher Lebensräume kann die Agenda für die nächsten zwanzig Jahre die bestehenden, ungerechten Rahmenbedingungen nicht überwinden.
Angesichts der Komplexität der Diskussionen hoffen wir sehr, dass die folgenden Habitat III-Prozesse diese alarmierenden Defizite überwinden können. Um ein positives und glaubwürdiges Ergebnis zu erzielen, glauben wir, dass Habitat III schnellstmöglich eine zusätzliche Policy Unit (oder ein ähnliches Gremium) bilden sollte, das sich auf die globale Immobilien-Finanzialisierung konzentriert (7 ) und Empfehlungen für eine angemessene soziale und politische Regulierung dieser Märkte und Marktakteure formuliert, einschließlich möglicher Alternativen zu den „freien“ Wohnungs-, und Hypothekenmärkten sowie privatem Grundeigentum (8).
Würde eine solche Policy Unit eingerichtet, wären wir bereit, unsere Erfahrungen, Vorschläge und Forderungen in ihre Arbeit einzubringen.
Wir hoffen, dass Sie unsere Befürchtungen verstehen und die angesprochenen Fragen in den weiteren Habitat III-Prozess einfließen lassen.
Wir freuen uns auf Ihre baldige Antwort, und verbleiben
Mit freundlichen Grüßen
Das Positionspapier als PDF