So unterschiedlich kann Öffentlichkeitsarbeit sein. Während Entwicklungsminister Gerd Müller den Medientross vor seiner Abreise zur 3. UN Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung in Addis Abeba kurzerhand wieder auslud, liefen Mitarbeiter des UN-Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen, UNDP (United Nations Development Programme) einzelnen Journalisten schon im Vorfeld förmlich hinterher. Per Mail und mehrfacher persönlicher Anrufe wurde bereits Tage vor der Konferenz zum „Pre-Briefing“ geladen. Viel zu sagen indes hatte UNDP den am Ende nur zwei erschienen Journalisten zunächst mal nicht.
So schwärmte Alessandra Casazza, Programmberaterin für die Millenniumsziele beim Regional Service Centre for Africa des UNDP, wiederholt vom „großen Paradigmenwechsel“, den die neuen globalen Nachhaltigkeitsziele, SDGs (Sustainable Development Goals) mit ihrer weltweiten Gültigkeit mit sich bringen. Gefragt danach, was deren Umsetzung schätzungsweise kosten wird und wie der aktuelle Stand der Verhandlungen über neue Instrumente zur Finanzierung nachhaltiger Entwicklung genau aussieht, hielt sie sich allerdings nicht lange mit Details auf. „Wir brauchen jeden einzelnen Dollar, um globale nachhaltige Entwicklung möglich zu machen“, so Casazza stattdessen. Wie das gelingen soll, müssen nun die rund 5000 Delegierten herausfinden, die ab heute (Montag) bis zum Donnerstag dieser Woche in der äthiopischen Hauptstadt tagen.
Dazu machte sich bereits vor der Eröffnung der Konferenz auf dem Sozialforum der internationalen Nichtregierungsorganisationen in Addis Ernüchterung breit. Die „Addis Abeba Action Agenda“, die am Donnerstag zur Verabschiedung stehen wird, sei in Vorverhandlungen so oft verwässert worden, dass viele konkrete Forderungen rausfielen, sagt Bodo Ellmers vom Europäischen Netzwerk zu Schulden und Entwicklung, eurodad. „Manches ist nur noch Rhetorik. Wie etwa der schwache Hinweis auf mögliche Bemühungen der UN um ein geregeltes internationales Insolvenzverfahren.“ Dabei zeigten die Krisen in Argentinien und Griechenland, wie wichtig eine solche Regulierung wäre, so Ellmers.
Auch mit Blick auf die Einbindung des Privatsektors in nachhaltige Entwicklung hagelt es Kritik. Unternehmen hätten nun mal ihre eigenen Geschäftsinteressen, ihre Einbeziehung könne daher nur gelingen, wenn sie klaren Regeln – etwa die Einhaltung von Menschenrechten und sozialen Mindeststandards – unterliege. „Doch Forderungen dazu sind aufgeweicht worden“, sagt Klaus Schilder, Entwicklungsexperte der katholischen Hilfsorganisation Misereor.
Nun hofft man, wenigstens beim Thema Steuergerechtigkeit in den Verhandlungen noch etwas Konkretes erreichen zu können. Ein Vorstoß wie die gemeinsame Initiative der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD, und UNDP namens „Tax Inspectors without Borders“ reiche dazu aber nicht aus. „Bei solchen Initiativen geht es darum, illegale Steuerhinterziehung zu bekämpfen“, sagt Henry Malemo, Afrika-Koordinator der Organisation ActionAid. Nicht adressiert hingegen würden legale Schlupflöcher, etwa Steuerbefreiungen, „tax holidays“ oder unfaire Handelsabkommen, die es den multinationalen Konzernen ermöglichen, in Entwicklungsländern überhaupt keine Steuern zu zahlen. Überdies dürfe die OECD nicht mehr allein über internationale Steuerregeln entscheiden, während „die armen Länder am Katzentisch sitzen“, so wie es Oxfam formuliert. Gefordert wird daher die Einrichtung eines internationalen „Tax Body“ – eine neue Institution auf UN-Ebene, die für Steuerfragen zuständig sein soll.
Ein starkes Plädoyer dafür wurde am Vorabend der Verhandlungen im noblen Luxus-Hotel Sheraton auch noch mal von ICRICT gegeben, der „Unabhängigen Kommission für die Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung“. Sie will die Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung durch eine breitere und umfassendere Diskussion internationaler Steuervorschriften fördern. Reformen sollen das öffentliche Interesse anstatt nationale Vorteile berücksichtigen, und es sollen gerechte, effektive und nachhaltige Steuerlösungen für die Umsetzung von Entwicklungszielen gesucht werden. Im Zusammenschluss ICRICT sind mehrere zivilgesellschaftliche und gewerkschaftliche Organisationen vertreten, darunter: Action Aid, Alliance Sud, CCFD-Terre Solidaire, Christian Aid, Globaler Gewerkschaftsrat, Global Alliance for Tax Justice, Oxfam, Internationale der Öffentlichen Dienste, Tax Justice Network und der Ökumenische Rat der Kirchen. ICRICT wird von der Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützt.
Ob derlei Signale bis zur deutschen Verhandlungsdelegation in Addis durchdringen, bleibt abzuwarten. Denn bereits im Vorfeld war die Bundesregierung mehrfach für ihre Position in internationalen Verhandlungen kritisiert worden. So stimmte sie in der UN-Generalversammlung gemeinsam mit einigen weiteren Ländern gegen eine Resolution zur Schaffung eines internationalen Insolvenzverfahrens. Außerdem wehrt sich die Bundesregierung bislang dagegen, die UN Leitprinzipien für Unternehmen und Menschenrechte (UN Guiding Principles on Business und Human Rights) zu einem verbindlichen Regelwerk zu machen. Die UN hatte dazu eine Arbeitsgruppe eingerichtet.
Und dann ist da ja noch das Dauerthema ODA – Official Development Aid, zu deutsch: öffentliche Entwicklungshilfe. Deutschland hatte, wie andere Geberländer, vor langem zugesagt, 0,7 Prozent des Bruttosozialproduktes für Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen. Doch erreicht wurde dieses Ziel von Deutschland, genauso wie von den meisten anderen Gebern, bisher nicht. Die deutsche ODA-Quote liegt derzeit bei 0,41 Prozent.Â
Entwicklungsminister Müller wird sich in Addis also allerhand Fragen stellen müssen. Denn ein paar Journalisten sind ja doch da; und kritische Fragen stellen überdies auch die Anderen – allen voran Vertreter der Nichtregierungsorganisationen und der ärmsten Länder.
Monika Hoegen, entwicklungspolitische Fachjournalistin Köln/Brüssel, derzeit Addis Abeba