IMF-Chefin Christine Lagarde musste in Brüssel bleiben – zu dringend waren die Verhandlungen mit Griechenland, als dass die europäischen Minister und Staatschefs sie nach Addis Abeba ziehen lassen wollten, wo Lagarde ursprünglich zur Eröffnung der 3. UN Konferenz zur Finanzierung nachhaltiger Entwicklung sprechen sollte. Stattdessen schickte sie ihren Stellvertreter, Min Zhu, der den Delegierten im Konferenzzentrum der United Nations Economic Commission for Africa dennoch versicherte, dass der Internationale Währungsfonds „voll hinter der globalen Nachhaltigkeit und den Bemühungen um ihre Finanzierung“ stehe.
Auch Thomas Schäfer, seines Zeichens hessischer Finanzminister war nicht nach Addis gekommen – hätte aber vielleicht seine Koffer packen und sich auf den Weg ins ferne Äthiopien machen sollen. Denn hier wird derzeit noch am meisten um das Anliegen gerungen, das auch Schäfer nach eigenem Bekunden sehr am Herzen liegt – nämlich, „den Steuertourismus der Großkonzerne endlich zu beenden.“ Während allerdings Schäfer sich vor allem um die Nachteile für den deutschen Mittelstand sorgt und deshalb im Bundesrat ein „nationales Abwehrsystem“ im Kampf gegen Steuerschlupflöcher initiiert, melden sich in Addis die Entwicklungsländer zu Wort, denen jährlich riesige Summen durch ganz legale Steuervermeidung und unfaire Doppelbesteuerungsabkommen verlorengehen. Summen, die in den Entwicklungsländern jedoch zur Finanzierung von Bildungs- und Gesundheitssystemen oder für den Aufbau funktionierender Infrastruktur dringend benötigt würden. Schätzungen zufolge verliert allein Afrika jährlich sechs Milliarden US-Dollar durch Steuervermeidung – illegale Steuerhinterziehung noch nicht eingerechnet.
Und so würden diese Länder folgenden Satz des hessischen Finanzministers wohl uneingeschränkt unterschreiben: „Steuern gehören dem Staat, in dem sie erwirtschaftet werden, und nicht dem Staat, der den höchsten Steuerrabatt bietet. Deshalb müssen wir dieses moderne Raubrittertum schnellstmöglich beenden!“ Nur, dass mit Blick auf die ärmsten Länder das Problem zwar noch virulenter ist, die internationale Politik sich aber mit seiner Lösung auch ungleich schwerer tut.
Von den Entwicklungsländern und auch zahlreichen Nichtregierungsorganisationen wird die Einrichtung eines internationalen, zwischenstaatlichen Steuergremiums auf UN-Ebene gefordert, dass das bisherige Quasi-Monopol der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) auf die Setzung internationaler Steuerstandards aufheben soll. Die OECD sei letztlich ein Club der reichen Industrieländer, die Interessen der ärmeren Länder würden nicht berücksichtigt – sie hätten, wenn überhaupt, nur einen untergeordneten Beobachterstatus. Von den UN hingegen erhofft man sich, dass alle Länder weltweit gleichberechtigt an einem Tisch über faire globale Steuerregulierungen verhandeln. Zwar wird anerkannt, dass auch die OECD inzwischen einen Aktionsplan gegen Gewinnverlagerung durch Unternehmen und Konzerne erarbeitet hat, das sogenannte BEPS (Base Erosion and Profit Shifting). Das allerdings reicht den Kritikern nicht aus. Sie wollen vielmehr als ersten Schritt den bereits existierenden, aber bislang personell und finanziell völlig unzureichend ausgestatteten UN-Expertenausschuss zur internationalen Zusammenarbeit in Steuerfragen aufwerten und Schritt für Schritt zu einer eigenständigen Institution machen.
Das allerdings stößt auf Widerstand bei der EU, den deutschen Delegierten in Addis und auch bei den USA. Die UN, so die mehr oder weniger offen geäußerte Begründung, sei doch häufig ein Debattierclub von Mitgliedsstaaten mit völlig unterschiedlichen Einzelinteressen. Dass es hier zu effektiven und gemeinschaftlichen Entscheidungen in Steuerfragen kommt, sei eher unwahrscheinlich. Pointe am Rande: Dennoch beteiligen sich die Deutschen derzeit an einer besseren Ausstattung des existierenden UN-Expertenausschusses.
EU Entwicklungskommissar Neven Mimica, in Addis erneut gefragt, warum man so sehr gegen den vorgeschlagenen internationalen „Tax Body“ sei, ließ indes keinen Zweifel daran, dass die EU von ihrer Position zu Steuerfragen bei den Verhandlungen im Rahmen der Addis Abeba Action Agenda nicht abweichen will. „Wir sollten den Text so verabschieden, wie er uns jetzt vorliegt und nicht noch mal einzelne Punkte neu öffnen. Das würde letztlich auf das ganze Dokument durchschlagen.“ Dies gelte im Ãœbrigen auch für den zweiten Knackpunkt, die Debatten um CBDR, Common but differentiate responsibility – also die gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortung, die zwischen den Entwicklungs- und Industrieländern etwa für die Klimaverhandlungen vereinbart wurde und den ärmeren Ländern Entschädigungen für Auswirkungen durch den Klimawandel zugesteht, den die Industrieländer in großem Maße verursacht haben. Geht es nach den G-77, soll dieses Prinzip auch auf den Bereich Entwicklung und Armutsbekämpfung angewendet werden – das lehnen die reichen Länder ab. Käme es doch einem Eingeständnis gleich, an der Misere im Süden direkt schuld zu sein.Â
Monika Hoegen, entwicklungspolitische Fachjournalistin Köln/Brüssel, derzeit Addis Abeba