Einleitung
Bei der sechsten Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention vom 13. bis 24. November in Den Haag werden die Regierungen auf der Grundlage des in Buenos Aires 1998 verabschiedeten Aktionsplans viele Entscheidungen zu treffen haben, die für die Zukunft des Kioto-Protokolls von 1997 und damit auch des gesamten Verhandlungsprozesses von überragender Bedeutung sind. Die knappen Bestimmungen des Protokolls müssen durch umfangreiches Regelwerk, etwa zu den Kioto-Mechanismen, zur Senkenproblematik und zur Erfüllungskontrolle, konkretisiert und so praktisch anwendbar gemacht werden. Diese Ausgestaltung wird maßgeblich bestimmen, ob das Kioto-Protokoll tatsächlich zu einer dringend erforderlichen Reduzierung der Treibhausgasemissionen führen wird, ob den Staaten allerlei Auswege zur Verfügung stehen werden, um ihre Verpflichtungen ohne das Ergreifen wirksamer Maßnahmen dennoch formell zu erfüllen, oder ob das Protokoll gar an der Hürde der Ratifikation scheitern wird.
In Den Haag müssen alle Anstrengungen unternommen werden, damit das Kioto-Protokoll ein Erfolg wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es die Grundlage für weit größere Reduktionen im Laufe dieses Jahrhunderts legen muss.
Die Vertragsstaaten sollten die Verhandlungen auch zum Anlass nehmen für eine Bestandsaufnahme der bislang ergriffenen Maßnahmen zur Senkung der nationalen Treibhausgasemissionen. Wie näher ausgeführt werden wird, sind nationale Maßnahmen das unerlässliche Kernstück einer wirksamen Klimaschutzstrategie.
Das Forum Umwelt & Entwicklung richtet deshalb folgende Forderungen an die Vertragsstaatenkonferenz:
1. Beschränkung von Senken-Aktivitäten
Eine übermäßige Nutzung von natürlichen Kohlenstoffspeichern,?Senken?) könnte leicht dazu führen, dass die Vertragsstaaten ihre Kioto-Verpflichtungen nur auf dem Papier erfüllen, ohne dem eigentlichen Ziel ? der Verringerung der Treibhausgasemissionen ? näher zu kommen.
Was sind die Probleme?
Die wissenschaftlichen Unsicherheiten hinsichtlich ihrer Speicherfähigkeit sind auch nach Erscheinen des IPCC-Sonderberichts im Mai dieses Jahres sehr groß.
In Bäumen gespeichertes CO2 kann jederzeit wieder in die Atmosphäre freigesetzt werden, etwa durch Waldbrände, wie man in jüngster Zeit deutlich beobachten konnte. (sogenanntes Permanenzproblem)
Was in einem Flecken eines Landes aufgeforstet wird, kann in einem anderen Landesteil oder auch in einem anderen Land vermehrt abgeholzt werden. Der Nutzen für das Atmosphäre gibt es nicht (sogenanntes Leakage-Problem).
Je nach konkreter Ausgestaltung des Regelwerks (könnten sogar Anreize dafür geschaffen werden, Urwälder abzuholzen, um sich durch schnell wachsende Plantagen Emissions-Gutschriften zu sichern. Eine neue und ernsthafte Bedrohung für die Artenvielfalt.
Ausstellung von Emissionszertifikaten für forst- oder landwirtschaftliche Aktivitäten die sowieso durchgeführt worden wären oder die keinerlei Zusätzlichkeit aufweisen. Auch hier keinerlei Gewinn für die Atmosphäre.
Eine Konzentration auf Senken würde darüber hinaus den dringend erforderlichen Strukturwandel hin zu einer nachhaltigen Lebens- und Wirtschaftsweise verzögern.
Das Forum fordert, dass in Art. 3.4 angesprochene zusätzliche Senken-Aktivitäten, die nicht im Protokoll selbst geregelt sind, zumindest in der ersten Verpflichtungsperiode ausgeschlossen bleiben. Darüber hinaus muss die Inanspruchnahme von Senken nach klar definierten Prinzipien erfolgen, mengenmäßig begrenzt und wegen der großen Unsicherheiten gegenüber Emissionsbegrenzungsmaßnahmen abgewertet werden.
2. Begrenzung der Kioto-Mechanismen
Die Reduzierung der Treibhausgasemissionen in den Industrieländern ist der wichtigste Schritt, um einen globalen Strukturwandel hin zu einer nachhaltigen klima- und umweltverträglichen Wirtschaftsweise zu erreichen. Dort entwickelte Technologien, Planungs- und Managementverfahren werden wesentlich die Entwicklung der ärmeren Staaten beeinflussen. Darüber hinaus ist es ? insbesondere in Anbetracht der historischen Verantwortung dieser Länder für den Klimawandel ? mehr als fragwürdig, wenn die reichsten Staaten sich den Großteil ihrer Reduktionsverpflichtungen erkaufen können, ohne zu Hause Lebens- und Wirtschaftsweise nennenswert zu ändern. Um diesen Gedanken Rechnung zu tragen, bestimmt das Kioto-Protokoll, dass Klimaschutzmaßnahmen außerhalb des eigenen Landes nur in begrenztem Umfang angerechnet werden können; sie sollen nur ?zusätzlich? (?supplemental?) zu nationalen Maßnahmen durchgeführt werden. Die Vertragsstaatenkonferenz muss nun diese Beschränkung konkretisieren. Das Forum fordert, dass der Anteil der Reduktionsverpflichtungen, die im Ausland erfüllt werden können, auf maximal 30% der durch das Protokoll festgelegten Reduktionsverpflichtungen begrenzt wird. Für Länder, denen gleichbleibende [Russland, Ukraine, Neuseeland] oder sogar wachsende [Norwegen +1%, Australien +8%, Island +10%] Emissionen für die erste Verpflichtungsperiode zugestanden wurden, muss eine 0%-Grenze gelten. Dies würde gleichzeitig die Gefahr der Aufweichung der Reduktionsziele durch den Handel mit ?Hot Air? ? Emissionskontingenten, die aufgrund unrealistisch niedriger Reduktionsverpflichtungen entstanden sind ? verringern.
Das Forum fordert außerdem, dass bei allen Transaktionen im Rahmen der Kioto-Mechanismen ? wie zur Zeit nur für den CDM vorgesehen – ein Aufschlag zu zahlen ist, der den vom Klimawandel am meisten betroffenen Entwicklungsländern zugute kommen soll.
3. Nur fortschrittliche Technologien im Clean Development Mechanism (CDM)
Ziel des CDM muss es sein, eine nachhaltige Entwicklung in den Empfängerländern zu unterstützen. Da nachhaltig nur eine Entwicklung ist, die mit dem notwendigen globalen Strukturwandel im Einklang steht, lässt sich dies allein durch die Investition in fortschrittliche besonders umwelt- und klimafreundliche Technologien erreichen. Die Vertragsstaatenkonferenz muss Kriterien für den CDM festlegen, die garantieren, dass nur solche Maßnahmen anrechenbar sind. Das Forum fordert, einen Prompt-Start auf der Grundlage einer Positivliste. Damit ist gemeint, dass bis zur ersten COP/MOP nur Projekte auf der Basis erneuerbarer Energien sowie zur Verbesserung der Energieeffizienz auf der Nachfrageseite angerechnet werden können. Ausgeschlossen werden müssen Atom- und Kohlekraftwerke, große Wasserkraftprojekte sowie Senkenaktivitäten. Durch die Begrenzung der Aktivitäten auf eindeutig saubere Technologien würde auch die durch Vergleich mit einem Business-as-usual-Szenario zu erfolgende Berechnung der erlangten Emissionskontingente (certified emission reductions, CER) verlässlicher.
4. Gemeinsame Verkäufer- und Käuferhaftung beim Emissionsrechtehandel
Zur Sicherung der Integrität des Protokolls dürfen nicht mehr Emissionskontingente gehandelt werden, als der Verkäufer tatsächlich durch Emissionsverringerungen erwirtschaftet hat. Dies kann wirkungsvoll erreicht werden, wenn der Käufer Gefahr läuft, dass seine erworbenen Kontingente im Falle der Nichterfüllung der Verpflichtungen durch den Verkäuferstaat abgewertet werden. Jedes Käuferland wäre unter solchen Bedingungen bestrebt, einen Verkäufer zu finden, der auch tatsächlich seine Reduktionsziele erfüllt. Die Regeln zum Emissionsrechtehandel müssen daher sowohl Verkäufer- als auch Käuferhaftung vorschreiben.
5. Die Durchsetzung der Verpflichtungen
Ein durchsetzungsfähiges System zur Erfüllungskontrolle ist unerlässlich, um allen Akteuren ? Staaten wie Privaten ? Vertrauen in das Kioto-Protokoll zu geben, damit sie Planungssicherheit genießen und zum Klimaschutz aktiv werden können, ohne wesentliche Wettbewerbsnachteile befürchten zu müssen. Zudem ist es essentielle Voraussetzung für das Funktionieren der Kioto-Mechanismen, die auf einen verlässlichen Markt angewiesen sind. Das Forum fordert daher die Etablierung eines wirksamen Sanktionsmechanismus. Insbesondere lehnt es ?borrowing? (oder ?restoration?) ab, die Möglichkeit eines Staates, bei überschüssigen Emissionen Kontingente aus der folgenden Verpflichtungsperiode zu ?leihen?. Dieses Konzept würde die künftigen Klimaverhandlungen gefährden. Denn wer Emissionskontingente aus folgenden Verpflichtungsperioden ?leiht?, wird sich dafür einsetzen, die Reduktionsverpflichtungen dieser Perioden möglichst niedrig anzusetzen. Das Forum fordert verbindliche Sanktionen mit einem internationalen oder international überwachten Erfüllungsfonds sowie den Verlust der Teilnahmeberechtigung für die Kioto-Mechanismen. Die zentrale Rolle im System zur Erfüllungskontrolle muss der Erfüllungsfonds spielen, in den die Staaten einzahlen müssen, wenn sie ihr Emissionsziel verfehlen. Dabei muss der pro t CO2 zu zahlende Betrag deutlich höher liegen als der durchschnittliche Marktpreis in der Erfüllungsperiode. Die Einnahmen aus dem Fonds sollen für geeignete Projekte, sog. ?Gold-Standard-Projekte?, d.h. für besonders erfolgversprechende Projekte, die mit absoluter Sicherheit zu den Emissionsreduktionen führen werdenfließen.Eine Preisobergrenze lehnt das Forum ab. Staaten erhalten jedoch nicht durch die Zahlung in den Fond den Status ?Zielerfüllung erreicht?, sondern nur durch die nachweisbare Erreichung der vorgeschriebenen Emissionsreduktionen. Die im konkreten Fall anzuwendenden Sanktionen muss die Kontrollinstitution verbindlich festlegen, – sie dürfen nicht zur freien Auswahl der Partei stehen.
6. Freiwillige Verpflichtungen von Entwicklungsländern
Entwicklungsländer haben historisch betrachtet nur einen Bruchteil zur Anreicherung des CO2-Gehaltes in der Atmosphäre beigetragen. Die Forderung bestimmter Industrieländer nach einer Verpflichtung der Entwicklungsländer ist zum jetzigen Zeitpunkt daher ungerechtfertigt. Wenngleich anerkannt wird, dass die Entwicklungsländer zukünftig ihren Beitrag zur Stabilisierung des CO2-Gehaltes in der Atmosphäre leisten müssen, darf die Ratifizierung des Kioto-Protokolls nicht davon abhängig gemacht werden. Die Verhandlungen über Emissionsbeschränkungen von bestimmten Entwicklungsländern sollten im Rahmen des Prozesses zur Gestaltung der zweiten Verpflichtungsperiode geführt werden. Dieser sollte nach COP6 beginnen. Außerdem darf die freiwillige Annahme von Emissionszielen durch Entwicklungsländer nicht dazu führen, dass diese Länder über den CDM hinaus in die flexiblen Mechanismen (Emissionshandel und JI) einbezogen werden. Gerade bei dem Prinzip der Freiwilligkeit besteht hier die Gefahr, dass die Bestimmung der wirtschaftlichen Wachstumsprognosen und der damit verbundenen Emissionserwartungen der Entwicklungsländer unrealistisch hochgeschraubt werden. Die nicht genutzten Emissionsrechte könnten dann wieder auf dem Weltmarkt gehandelt werden (TropicalAir).
7. Die Treibhausgasemissionen des Flugverkehrs
Die Treibhausgasemissionen des internationalen Flugverkehrs nehmen rapide zu und drohen, die Hälfte der im Kioto-Protokoll beschlossenen Emissionsverringerungen zu kompensieren. Die Verantwortlichkeiten für die Emissionen (?Allokation?) sind noch nicht zugeordnet. Um diesen Stillstand zu überwinden, sollen die Vertragsstaaten einen Zeitplan aufstellen, bis wann die Allokation zu entscheiden ist.
Weiterhin sollen sie im Rahmen ihrer Aktivitäten bei der International Civil Aviation Organisation (ICAO) ? der UN-Sonderorganisation für Zivilluftfahrt ? sich dafür einsetzen, dass diese auf ihrer nächsten Vollversammlung im Herbst 2001 wirksame Maßnahmen (z.B. eine Emissionsabgabe für Flüge zwischen Industrieländern) beschließt. Die Europäische Union sollte diesen Prozess unterstützen, indem sie vorher ankündigt, im Alleingang diese Abgabe einzuführen, falls ICAO keine wirksamen Fortschritte erzielen sollte.
8. Überprüfung der Angemessenheit der Verpflichtungen
Die bislang vereinbarten Verpflichtungen genügen nicht, um das Ziel der Klimakonvention zu gewährleisten, ?eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems zu verhindern?. Schon bei der vierten Vertragsstaatenkonferenz 1998 in Buenos Aires sollte daher eine Entscheidung darüber getroffen werden, wie und wann die Angemessenheit der bisher vereinbarten Verpflichtungen überprüft werden soll, die seitdem bei jeder Konferenz vertagt wurde. Die Vertragsstaatenkonferenz muss sich nun dringend dieses Themas annehmen und eine Überprüfung der Verpflichtungen einleiten. Dabei ist unverzichtbar, dass die Staaten sich wieder mehr von den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen, v.a. dem kommenden 3. Bericht des IPCC (Third Assessment Report), leiten lassen, die für einen wirksamen Klimaschutz allein maßgeblich sein können.
9. Den Prozess vorantreiben
Das Forum fordert die Industrieländer auf, unmittelbar nach einem erfolgreichen Abschluss von COP 6 den Ratifikationsprozess einzuleiten, damit das Kioto-Protokoll spätestens 2002 (Rio+10) in Kraft treten wird. Jedoch dürfen die Bemühungen, das Protokoll für alle Vertragsstaaten ratifizierbar zu machen, nicht zu einer Verwässerung der Verpflichtungen führen. Das Forum behält sich vor, bei einem zu schwachen Verhandlungsergebnis in Den Haag das Protokoll insgesamt – wegen Ungeeignetheit für einen wirksamen Klimaschutz – abzulehnen.
Weiterhin müssen die Vertragsstaaten klar festlegen, auf welche Weise bis zum Jahr 2005 weitere Fortschritte im Klimaschutz aufzuzeigen sind, wie es Art. 3.2 des Protokolls vorschreibt. Nur ein nachvollziehbarer Nachweis der Industriestaaten, dass sie ernsthaft und mit Erfolg auf die Erfüllung ihrer Verpflichtungen hinarbeiten und dass sie auf dem Wege sind, ihre Verpflichtungen zu erfüllen , bietet die Voraussetzung dafür, dass Verhandlungen über Emissionsbeschränkungen der Entwicklungsländer begonnen werden können.
Um ein klares Signal an die Wirtschaft zu senden, dass der Prozess weiter voranschreitet, soll COP 6 beschließen, frühzeitig die Verhandlungen zur zweiten Verpflichtungsperiode einzuleiten.