Februar 2018
Es ist ja auch unter PolitikerInnen kein Geheimnis: Mehr Möglichkeiten für legale Migration würden die illegale Einwanderung, Schlepperbanden und die oft tödlichen Fahrten von Flüchtlingen in winzigen Booten übers offene Meer deutlich verringern. Hinzu kommt, dass viele MigrantInnen durchaus Qualifikationen mitbringen, die in wirtschaftlich und politisch stabilen Ländern gefragt sind. Deshalb hat die UN im September 2016 beschlossen, einen globalen Pakt für sichere und legale Migration zu erarbeiten, den „Global Compact on Safe, Orderly and Regular Migration“. Im Europäischen Parlament diskutierte jetzt Michele Klein Solomon, Generaldirektorin der Internationalen Organisation für Migration (IOM), über das Vorhaben mit den Abgeordneten dreier Ausschüsse – dem Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres, dem Entwicklungsausschuss und dem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten. Heraus kam dabei vor allem eins: Zwischen den löblichen Absichten des Global Compact und der politischen Realität klafft nach wie vor eine große Lücke.
Erste Vorbereitungen für den Global Compact, von der UN Vollversammlung im September im Rahmen ihrer New Yorker Erklärung zu Flüchtlingen und MigrantInnen (New York Declaration for Refugees and Migrants) beschlossen, starteten im April 2017 – zunächst mit einer Konsultierungsphase unter betroffenen Stakeholdern, wie Staaten, Regierungen aber auch Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisationen. Für Dezember dieses Jahres ist eine internationale Konferenz zu Migration in Marokko vorgesehen, auf der der Compact dann endgültig verabschiedet werden soll. Ein Entwurf liegt bereits auf dem Tisch. Er sieht umfangreiche, internationale Maßnahmen als „robuste Antwort“ auf die Flüchtlingskrise vor – unter anderem eine bessere Datenlage und verstärkten Informationsaustausch. MigrantInnen sollen mit legalen und eindeutigen Identitätsdokumenten und Papieren ausgestattet werden und Zugang zu würdigen Arbeitsplätzen, Ausbildung und sozialer Sicherung bekommen. Mehr Menschenleben sollen durch sichere und legale Einwanderungswege gerettet und dem Menschenhandel ein Ende gesetzt werden. Kinder und Frauen gilt besonderer Schutz.
Debatte dominiert von Angst und Vorurteilen
Klingt alles sehr gut – auf dem Papier. Denn bis zu einem tragfähigen, internationalen Migrationsmanagement ist es noch ein weiter Weg. Zu sehr werde die Debatte über MigrantInnen und Flüchtlinge derzeit von Vorurteilen, Stereotypen, Angst und Phobien bestimmt, machte IOM Direktorin Klein Solomon in Brüssel deutlich. Sie forderte dringend eine „Rationalisierung“ der Debatte ebenso wie die Abkehr von kurzfristigem politischen Denken „nur mit Blick auf Wähler und die nächsten Wahlen“. Denn, so Klein Solomon: „Migrations-Management ist ein langfristiger und komplexer Prozess.“ Besonders in Europa werde die Dimension des Phänomens häufig völlig falsch dargestellt, so Klein Solomon weiter. Derzeit seien rund 68 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Nur etwa eine Million davon halte sich in Europa auf – die größte Last hätten zum Beispiel Länder wie Pakistan oder auch Länder in Afrika zu tragen. Gerade deshalb müsse die internationale Gemeinschaft, und besonders auch Europa, mehr Verantwortung übernehmen. „Sonst werden wir von den afrikanischen Regierungen nicht mehr ernst genommen. Und die Versprechungen vom EU-Afrika Gipfel im vergangenen November bleiben leere Worte.“
„Widerstands- und Innovationskraft“
Unterschätzt werde überdies, dass viele Flüchtlinge und MigrantInnen nicht kommen, um der einheimischen Bevölkerung in den Zielländern etwas weg zu nehmen. Vielmehr bringen sie selbst oft wertvolle Qualifikationen und Ressourcen mit. Klein Solomon: „Es sind ja oft die, die von Zuhause weggehen, die die meiste Widerstands- und Innovationskraft haben.“ Hier sei politische Führung gefragt, die genau diese Vorteile unterstreiche, anstatt mit Angst Politik zu treiben. Gerade in Bereichen wie der Gastronomie und vergleichbaren Sektoren sei die Arbeitskraft von MigrantInnen sehr willkommen. Und je besser Flüchtlinge und MigrantInnen integriert werden, umso besser lasse sich auch Rassismus und Vorurteilen begegnen. Schließlich trügen legale Migration und bessere, internationale Mobilitätspolitiken auch zur Umsetzung der 2030 Agenda und der Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) der Vereinten Nationen bei.
„Migration ist eine menschliche Dimension“
Die Europa-Abgeordneten in Brüssel sahen das ähnlich. „Migration ist keine Krise, sondern eine menschliche Dimension, die es seit Jahrhunderten gibt”, befanden gleich mehrere PolitikerInnen während der Debatte. Tatsächlich hat die EU Kommission parallel zum Global Compact for Migration der UN im Dezember 2017 ebenfalls eine „Political Roadmap“ vorgelegt, mit der eine einheitliche und nachhaltige Migrations- und Asylpolitik befördert und im Juni 2018 verabschiedet werden soll. Diese Roadmap sieht auch vor, mehr legale Einwanderungsmöglichkeiten zu eröffnen. Dazu werden drei Wege vorgeschlagen: Erstens mehr qualifizierte Kräfte und „Talente“ anzulocken, zweitens die Ausgabe einer neuen „Blue Card“ und koordinierte Pilotprojekte zwischen der EU und spezifischen Partnerländern. Doch ausgereift seien diese Konzepte noch nicht, befinden manche ExpertInnen. So hat etwa das European Centre for Development Policy Management (ECDPM), ein Brüsseler Think Tank in seinem jüngsten, wöchentlich erscheinenden Magazin den Schwerpunkt auf Flucht und Migration gelegt. Darin erkennen die AutorInnen an, dass die EU mehr Augenmerk auf qualifizierte MigrantInnen legen will – doch völlig unklar sei, welches Level hier genau gemeint ist und demzufolge für wen die neuen Regelungen denn genau gelten würden.
Aufgeräumt werden müsse auch endlich mit der irrigen Annahme, es reiche, die „root causes“, also die Grundursachen für Flucht und Migration zu bekämpfen. Studien zufolge führe mehr wirtschaftliche und soziale Entwicklung in den Heimatländern von MigrantInnen, zumindest kurzfristig, nicht zu weniger, sondern zu vermehrter Auswanderung. Auf eine noch viel größere Diskrepanz machte Ana Gomes, portugiesische Europa-Abgeordnete der sozialistischen Partei, während der Debatte in Brüssel aufmerksam. „Wir reden von besserem Migrations-Management und gleichzeitig finanziert Europa repressive Regime, die die Menschen überhaupt erst zu Auswanderung und Flucht zwingen“, so Gomes. In Äthiopien zum Beispiel stecke „viel Geld vom EU-Steuerzahler“. Auch in Libyen gebe es keine Küstenwache zur Abwehr der MigrantInnen, „das sind doch in Wahrheit Militia-Truppen“, so Gomes. „Es wird Zeit, dass wir endlich mit der Rhetorik aufhören und wirklich gute Migrationspolitik machen.“ Der Global Compact wäre ja nun eine Gelegenheit dafür.
Monika Hoegen, entwicklungspolitische Fachjournalistin in Brüssel
www.monika-hoegen.de