(Bonn, 20. Oktober 2005) Bei den diese Woche in Genf stattfindenen Verhandlungen zur Welthandelsrunde dominiert das Agrarthema. „Die Frage, wann und in welchem Umfang die Industrieländer bereit sind, ihre Agrarsubventionen abzubauen, verdeckt die aggressiven Liberalisierungbestrebungen der EU in den Bereichen Industriegüter und Dienstleistungen“ kommentiert Michael Frein vom Evangelischen Entwicklungsdienst (EED). Die jüngst vor allem durch den EU-internen Zwist verschärften Widersprüche über die Behandlung der Agrarsubventionen führten gestern Abend zum vorzeitigen und ergebnislosen Abbruch der Treffen der so genannten „Fünf Interessierten Parteien“ (FIPS = EU, USA, Brasilien, Indien, Australien). Bei dem Treffen wehrte Indien Zeitungsberichten zur Folge den Vorstoß der EU und der USA ab, die Frage des Marktzuganges für Agrargüter mit dem für Industriegüter zu koppeln.
Die Industriegüter, im WTO-Jargon auch NAMAs genannt, decken eine breite Spanne von nichtagrarischen Gütern ab, dazu gehören u.a. elektronische Geräte, Chemikalien, Rohstoffe aber auch Produkte der Fischerei und Forstwirtschaft. Hinter dem Druck der EU und der USA, durch Zollsenkungen und den Abbau von sonstigen Regulierungen den Marktzugang für Industriegüter, zu verbessern, stehen handfeste Exportinteressen der großen Unternehmen aus dem Norden. Doch diese Ausrichtung geht zu Lasten der Entwicklungsländer: „Eine weitere Verschärfung der Liberalisierungsvorschriften im Bereich NAMA werde zahlreichen Ländern des Südens die Entwicklungsleiter wegtreten“, kommentiert Alexis Passadakis, Handelsexperte bei WEED. Zahlreiche Beispiele in der Vergangenheit zeigten, dass durch Marktöffnung die kleinen und mittleren produzierenden Gewerbe Bankrott gehen – vor allem im Süden, da sie der Ãœbermacht der transnationalen Konzerne aus den Industrieländern nicht gewachsen sind. „Die angestrebten Zollsenkungen sind vor allem ein Geschenk der Regierungschefs der einflussreichen Industriestaaten an die großen Konzerne“ so Alexis Passadakis.
Neben Deindustrialisierung und Arbeitslosigkeit droht den Entwicklungsländern auch weiterer Schaden durch die Reduzierung der Zolleinnahmen. Diese sind jedoch in vielen Entwicklungsländern eine wichtige Einnahmequelle für den Staatshaushalt. Auch die Umwelt bliebe bei den Zollsenkungen, wie sie die Industrieländer vorschlagen, nicht verschont. Denn bei den NAMA-Verhandlungen geht es auch um Produkte aus Forstwirtschaft und Fischerei. Zollsenkungen würden den Konsum weiter ansteigen lassen, der Druck auf die natürlichen Ressourcen würde verstärkt. „Damit geraten nicht nur Entwicklungsinteressen, sondern auch die Umwelt unter die Räder des Marktöffnungszwangs“, führt Jürgen Maier vom Forum Umwelt und Entwicklung aus.
„Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in der internationalen Handelspolitik“, fordert Daniel Mittler, der für Greenpeace International die Verhandlungen in Genf verfolgt, „gerade das Beispiel NAMA zeigt, wie die Entwicklungs- und Umweltinteressen der Liberalisierung des Handels geopfert werden“.
Hinweis: Die neue, gemeinsam vom Forum Umwelt und Entwicklung, Greenpeace, WEED und EED herausgegebene Broschüre „Das NAMA-Drama. Wie die WTO-Verhandlungen über Industriegütern Umwelt und Entwicklung bedrohen“ informiert auf 52 Seiten über die Auswirkungen der NAMA-Verhandlungen auf Umwelt und Entwicklung”. Die Broschüre kann hier als pdf-Datei herunter geladen werden.