Entwicklungsländer zu “Entwicklungsrunde” gezwungen
Bahrain, 15.11.2001
Mit mehr als 24 Stunden Verspätung und nach über 30 Stunden andauernden nahezu ununterbrochenen Verhandlungen wurde auf der vierten Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) in Doha/Katar, die Ministererklärung beschlossen. Obwohl gerade die EU im Vorfeld nicht müde wurde zu betonen, dass es sich dabei um eine “Entwicklungsrunde” handeln sollte, waren es vor allem die Interessenkonflikte mit zahlreichen Entwicklungsländern voran der Like-minded group um Indien, Pakistan und karibische Staaten sowie der afrikanische Gruppe, die einen früheren Abschluss der Verhandlungen verhinderten.
Zu Anfang wurde das bei vorherigen Konferenzen heftig kritisierte “green-room-Verfahren”, bei dem “wichtige” Staaten auf Einladung des Vorsitzenden hinter verschlossenen Türen verhandeln und das Ergebnis vom Rest der Mitglieder nur noch absegnen lassen, vermieden. Statt dessen wurden zu den strittigen Fragen “facilitators” benannt, die Vorschläge der Mitglieder sammelten und zur Moderation von Diskussionen zur Verfügung standen. Während auch dies zunächst wegen der intransparenten Auswahl der facilitators kritisiert wurde, sahen gerade viele afrikanische Länder in den von den NGOs so bezeichneten “green-men” einen Fortschritt. Der nach diesem Verfahren am Dienstag entwickelte neue Entwurf für die Ministererklärung wurde jedoch von EU-Handelskommissar Lamy scharf zurück gewiesen: Er sei schlechter als der vor der Konferenz erarbeitete Entwurf und spiegele die Ziele der EU in keiner Weise wider. Die darauf folgende Nacht wurde in einem “green room” mit zwanzig “repräsentativen” Staaten verhandelt, und Mittwoch vormittag ein neuer Entwurf vorgelegt, der dann schliesslich unverändert verabschiedet wurde. Darin haben sie die EU und die USA mit ihren zentralen Forderungen durchgesetzt:
Die Erklärung enthält den Beschluss, Verhandlungen über die vier sogenannten Singapur – Themen (Investitionen, Wettbewerbsrecht, Transparenz in öffentlichem Beschaffungswesen und administrative Vereinfachungen beim Grenzübertritt von Waren) aufzunehmen. Dies soll zwar nicht, wie von der EU gefordert, sofort geschehen sondern erst nach der nächsten Ministerkonferenz in knapp zwei Jahren, bis dahin soll aber intensiv über die Modalitäten dieser Verhandlungen diskutiert werden, die dann auf der Konferenz einstimmig beschlossen werden müssen. Dies schafft für die kritischen Entwicklungsländern eine Art “Notausgang”: Die Verhandlungen können nicht beginnen, wenn keine Einigung über die Modalitäten erzielt wird. Dies stellte der Vorsitzende der Konferenz noch einmal ausdrücklich klar, bevor die Deklaration verabschiedet wurde. Indien, Kenia und Jamaika hatten dies mit Unterstützung von sieben weiteren Entwicklungsländern zur Bedingung für ihre Zustimmung gemacht. Es würde allerdings politisch außerordentlich schwierig, die Verhandlungen in zwei Jahren noch abzulehnen, nachdem sie grundsätzlich schon beschlossen sind.
Die Like-Minded Group und andere Entwicklungsländer konnten sich mit ihrer Forderung, die Probleme mit der Umsetzung der bestehenden Abkommen vor der Aufnahme neuer Verhandlungen zu lösen, nicht durchsetzen. Es wurde zwar eine Deklaration zu dem Thema verabschiedet, sie enthält allerdings nur Prüf- und Berichtsaufträge an verschiedene WTO- Gremien und unverbindliche Aufforderungen an die Industrieländer bei der Anwendung der Bestimmungen flexibler zu sein. Der einzige Punkt, der konkrete Verbesserungen gebracht hätte, die schnellerer Erhöhung der Quoten für Textilimporte, wurde auf Druck vor allem der USA zur Diskussion an die WTO-Gremien verwiesen. Dort wird das Thema seit Jahren ergebnislos diskutiert. Zur Klarstellung des Anti-Dumping und des Subventionsabkommens werden Verhandlungen aufgenommen.
Im Paragraphen zu den Agrarverhandlungen sperrte sich die EU auf Druck Frankreichs bis zuletzt gegen die Formulierung, über “die Reduktion von Exportsubventionen mit Blick auf deren Auslaufen” zu verhandeln. Die Zustimmung hierzu diente als Faustpfand, um die Entwicklungsländer zur Zustimmung zu den Singapur-Themen zu bewegen. Für Entwicklungsländer bietet der Paragraph immerhin eine Grundlage, um weitergehende Regelungen zum Schutz der Ernährungssicherheit zu fordern.
Verhandlungen über den Abbau von Zöllen auf nicht landwirtschaftliche Produkte wurden ebenfalls beschlossen. Von der Forderung der am wenigsten entwickelten und der afrikanischen Länder, dies erst zu tun wenn sie die Auswirkungen auf ihre durch frühere Zollsenkungen schon stark geschrumpfte Industrie absehen können, blieb die Zusicherung, sie bei der Analyse während der Verhandlungen zu unterstützen.
Der größte Erfolg der Entwicklungsländer ist die separate Deklaration zum TRIPS-Abkommen (zum Schutz geistiger Eigentumsrechte) und öffentliche Gesundheit. Sie geht zwar über das bestehende Abkommen nicht hinaus, legt aber die Bestimmungen zu Zwangslizenzen bei Epidemien und zu Parallelimporten in deren Sinne aus, so dass die Versorgung mit preiswerten Medikamenten einfacher wird. Mit der Zustimmung zu einer neuen umfassenden Verhandlungsrunde ist dieser Fortschritt allerdings teuer erkauft.
Der EU ist es zwar erstmals gelungen, das Umweltthema als Verhandlungsgegenstand zu etablieren, allerdings nur um den Preis einer teilweise ans Lächerliche grenzenden, und teilweise gefährlichen Agenda. Von ihrer umfassenden Agenda ist nur noch die Klärung des Verhältnisses zwischen der WTO und multilateralen Umweltabkommen geblieben. Die eigentlich problematische Frage, wie mit Staaten umzugehen ist, die Mitglied der WTO, nicht aber bestimmter Umweltabkommen sind, darf jedoch ausdrücklich nicht behandelt werden. Zudem soll über die Zusammenarbeit der Sekretariate verhandelt werden. Gefahren drohen bei den beschlossenen Verhandlungen zum Abbau von Zöllen und anderen Handelshemmnissen auf Umweltgüter und -dienstleistungen. Wasserversorgung und Abfallbehandlung gelten als Umweltgüter. Die Liberalisierung dieser Sektoren bietet mehr Gefahren als Chancen für die Umwelt. Positiv zu bewerten sind dagegen die Verhandlungen zur Senkung der Fischereisubventionen.
“Es kann eigentlich auch nicht überraschen, dass die Entwicklungsländer den Themen Umwelt und soziale Entwicklung mit so großer Ablehnung begegnen, wenn die Industrieländer gerade in den natur- und arbeitsintensiven Sektoren Landwirtschaft und Textil und Bekleidung kaum zu Zugeständnissen bereit sind.” so Tobias Reichert vom Forum Umwelt und Entwicklung. Der Verdacht, hier solle ein alter Protektionismus nahtlos durch einen neuen ersetzt werden, ist zwar z.B. bei den aktuellen Vorschlägen der EU sachlich unbegründet, aber naheliegend.
Anders als in Seattle ist es EU und USA dieses mal gelungen, eine umfassende Verhandlungsrunde durchzusetzen. Die Anliegen der Entwicklungsländer spielen dabei nur eine Nebenrolle. Die Rhetorik von der “Entwicklungsrunde” die von der EU immer noch bemüht wird, ist angesichts der inhaltslosen Erklärung zur Implementierung völlig unangemessen. Die erreichten und zu verhandelnden Klarstellungen bei TRIPS, Anti-Dumping und Subventionen mussten die Entwicklungsländer mit der Zustimmung zu Verhandlungen über die Singapur-Themen erkaufen, und in harten Verhandlungen verteidigen. Dagegen werden ihre grundlegenden Forderungen wie die nach der Ãœberarbeitung des TRIPS gar nicht aufgegriffen. “Dass vor allem die EU auf den green-room Prozess und massiven diplomatischen Druck zurück greift, wenn mit partizipativeren Verfahren kein Ergebnis in ihrem Sinne erreicht werden kann, ist eigentlich ein Skandal.” so Reichert. “Dass überhaupt einige Themen der Entwicklungsländer behandelt werden, ist dem in den letzten Jahren gewachsenen Selbstbewusstsein und einer besseren Koordination untereinander zu verdanken. Diese Konferenz war damit hoffentlich die letzte, bei denen es den Industrieländern letztlich doch gelingt, den Ausgang in dieser Weise zu bestimmen.”