– EU-Kommission kündigt eine veränderte Strategie in der WTO an, und lässt fast alles beim Alten: Kommentar zum Diskussionspapier der EU-Kommission für eine veränderte Strategie für eine neue WTO-Runde vom Dezember 2000 –
Mit dem Diskussionspapier “State of play and strategy for a new WTO Round” (574/00) reagiert die Kommission mit einem Jahr Verzögerung auf das Scheitern der WTO-Ministerkonferenz in Seattle. In der Einleitung wird richtig festgestellt, dass die Konferenz nicht nur an mangelnder Vorbereitung scheiterte, sondern auch und gerade daran, dass die Interessen der Entwicklungsländer in den Verhandlungsvorschlägen der tonangebenden Industrieländer nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Das Diskussionspapier der EU-Kommission erhebt den Anspruch, dem Rechnung zu tragen.
Ungeachtet der ständigen Erwähnung der Entwicklungsländerinteressen in der Einleitung, verfolgt die Kommission weiterhin das von vielen dieser Länder abgelehnte Ziel einer umfassenden Verhandlungsrunde. Die Kernpunkte der EU-Agenda für eine solche Runde bleiben unverändert: Investitionen, Wettbewerb und Umwelt.
Zentrale Kritikpunkte und Forderungen von Entwicklungsländern einerseits und Nichtregierungsorganisationen andererseits werden ignoriert oder in Nebensätzen abgehandelt:
- Die seit Abschluss der Uruguay-Runde geforderte Untersuchung der Auswirkungen der dort getroffenen Abkommen auf die Interessen der Entwicklungsländer und die Umwelt (assessments) wird in dem Papier nicht erwähnt.
- Die derzeit laufenden Diskussionen in der WTO über die Probleme der Entwicklungsländer mit der Umsetzung bestimmter Abkommen, bzw. deren Anwendung durch die Industrieländer. Die zur Zeit sehr umstrittene Frage der Übergangsfris-ten für die TRIMS-Regeln und das TRIPS-Abkommen werden ebensowenig erwähnt wie die rein formale Umsetzung des Textilabkommens durch die Industrieländer, die bisher noch zu keiner nennenswerten Verbesserung für den Marktzugang von Entwicklungsländern gebracht hat. Die Bestimmungen des Subventions- und des Anti-Dumping-Abkommens, die von Industrieländern zunehmend zum Schutz ihrer Märkte vor konkurrenzfähigen Industrieprodukten aus Entwicklungsländern genutzt werden, sollen nur im Rahmen der angestrebten Runde verhandelt werden.
- Die notwendige Reform der WTO, um zumindest eine effektive Beteiligung aller Mitglieder bei Verhandlungen und Entscheidungen sicher zu stellen, wird in dem Papier in einem Absatz abgehandelt, seltsamerweise unter der Ãœberschrift: “Handel und soziale Entwicklung”: Sie soll nach dem Willen der Kommission in einem von der angestrebten Runde abgekoppelten Prozess diskutiert werden. Mit anderen Worten: Die Verhandlungen sollen mit den alten, offensichtlich ungeeigneten Institutionen begonnen und womöglich auch abgeschlossen werden. Nach dem Motto: Liberalisierung jetzt, Demokratie später. Die Frage der Beteiligung zivilge-sellschaftlicher Gruppen wird überhaupt nicht erwähnt.
Auch der Ansatz bei den von der EU als zentral angesehenen Themen bleibt bis auf kosmetische Korrekturen, die zum Teil noch in die falsche Richtung gehen, unverändert. Lediglich beim Thema Agrarhandel gibt es Fortschritte.
Investitionen und WettbewerbÂ
Diese Themen sollen weiter im Rahmen einer Runde verhandelt werden, die Über-nahme der Ergebnisse, sprich der Beitritt zu den vereinbarten Abkommen soll jedoch nicht für alle WTO-Mitglieder verpflichtend sein. Die Kommission will damit Befürchtungen der Entwicklungsländer begegnen, ihre Kapazität reiche sowohl auf der diplomatischen Ebene in Genf als auch bei der notwendigen Anpassung der nationalen Politik nicht aus, um in vielen Themenbereichen gleichzeitig Verpflichtungen eingehen zu können.
Dieser flexibilisierte Ansatz erscheint als verzweifelter Versuch, die Themen trotz heftigen Widerstands auf der Agenda zu halten, ist jedoch in jeder Beziehung unzureichend:
- Dem Problem der begrenzten Verhandlungskapazität der Entwicklungsländer in Genf kann er nicht begegnen, da die Verhandlungen parallel zu denen zu anderen Themen geführt und mit diesen gleichzeitig beendet werden.
- Die Kommission gibt explizit der Hoffnung Ausdruck, die Interessen der Investoren würden genügend Druck auf Entwicklungsländer ausüben, den Abkommen beizutreten. Sie sieht gerade noch davon ab, offen anzukündigen, diesen Druck selbst auszuüben. Der MAI-Ansatz, durch ein Abkommen unter Industrieländern zunächst Fakten zu schaffen, und dann auf die Beteiligung der Entwicklungsländer zu dringen, feiert hier im WTO-Rahmen fröhliche Urständ.
Die Kommission zeigt sich verwundert darüber, dass Entwicklungsländer seit langem internationale Abkommen zur Verhinderung wettbewerbswidriger Praktiken fordern, eine Behandlung des Themas in der WTO jedoch ablehnen. Sie sollte dies zum An-lass nehmen, zu überprüfen ob, die auf Liberalisierung ausgerichtete WTO das richtige Forum dazu ist. Die einseitige Stärkung der Rechte der Investoren führt auch in Industrieländern zur Aushöhlung der Eingriffsmöglichkeiten demokratisch gewählter Institutionen.
Leitlinien für die Behandlung ausländischer Direktinvestitionen und die Verhinderung wettbewerbswidriger Praktiken müssen daher im Rahmen eines internationalen Forums diskutiert und verabschiedet werden, an dem neben der WTO andere relevante Organisationen wie IWF, UNCTAD, UNEP und IAO mitarbeiten. Dies verspricht eine bessere Balance zwischen dem legitimen Investorenschutz und den ebenso legitimen Regulierungsinteressen der Gastgeberländer, vor allem in den Bereichen Umweltschutz und soziale Rechte. Die Struktur eines solchen Vorgehens entspricht im übrigen der, die die Kommission für die Behandlung sozialer Fragen und Arbeitnehmerrechte vorschlägt. Sie sollten international auf der selben Ebene behandelt werden die Rechte von Unternehmen.
Handel und Umwelt
Der Haltung der EU zum Themenkomplex Handel und Umwelt ist im Vergleich zur Position vor und in Seattle unverändert: Die Klärung des Verhältnisses von WTO-Handelsregeln und multilateralen Umweltabkommen (MEAs), die handelsrechtliche Zulässigkeit von Kennzeichnungssystemen umweltverträglich hergestellter Produkte und die Rolle des Vorsorgeprinzips bei handelsbeschränkenden Maßnahmen sind nach wie vor die Verhandlungsziele der EU. Das “neue” des Ansatzes besteht darin, dass betont wird, dass keine Änderung der WTO-Verträge angestrebt wird, sondern nur eine Klarstellung der existierenden Regeln durch die Mitglieder. Zudem soll die Agenda präzise auf diese Themen beschränkt werden und ausdrücklich festgehalten werden, dass die Verhandlungen nicht zu willkürlichen Handelsbeschränkungen führen dürfen. Weiterhin sollen die Befürchtungen der Entwicklungsländer bezüglich des Marktzugangs sollen berücksichtigt werden.
Diese Position ist nicht nur defensiv und aus umweltpolitischer Perspektive nicht ausreichend, sondern auch nicht in Übereinstimmung mit anderen Initiativen der EU, beispielsweise zur Angleichung der umweltpolitischen Bestimmungen in Art. XIV GATS an die von Art. XX GATT. Sie erscheint auch nicht geeignet, den Widerstand vieler Entwicklungsländer gegen Verhandlungen in diesem Bereich zu verringern. Statt einer Beschränkung der Verhandlungen auf die von der EU vorgeschlagenen Themen, sollte die Agenda um Aspekte erweitert werden, die direkt im Interesse der Entwicklungsländer liegen. So wird das Verhältnis zwischen dem TRIPS-Abkommen und der Konvention über biologische Vielfalt (CBD) im Papier der Kommission zwar erwähnt, seltsamerweise aber nicht als Teil der Handel und Umwelt-Agenda.
Dieser Punkt sollte auf jeden Fall in die Diskussion um das Verhältnis von WTO und MEAs integriert werden. Durch das Biosafety-Protokoll der CBD wie auch die zur Verabschiedung anstehende Ãœbereinkunft zu Dauergiften (POPs Convention) entsteht auch direkt ein Bezug zum Vorsorgeprinzip. Darüber hinaus sollte auch das Verhältnis des TRIPS-Abkommens zum International Undertaking der FAO zu pflanzengenetischen Ressourcen für die Landwirtschaft klargestellt werden. Als “vertrauensbildende” Maßnahme sollte die EU die Forderung vieler Entwicklungsländer un-terstützen, Art. 27.3 b des TRIPS-Abkommens dahingehend zu modifizieren, dass alle Organismen von der Patentierungspflicht ausgenommen werden. Auch sollte nach Wegen gesucht werden, den Zugang der Entwicklungsländer zu umweltfreund-lichen Technologien zu erleichtern, beispielsweise durch die Möglichkeit der Zwangs-lizenzierung. Insgesamt erscheint die Integration der umweltrelevanten Teile des TRIPS-Abkommens in die Verhandlungen über Handel und Umwelt erfolgversprechend, da die Entwicklungsländer hier starke Eigeninteressen verfolgen.
Ein weiterer wichtiger und von Entwicklungsländern immer wieder problematisierter Aspekt ist die Frage des Exports von im Inland verbotenen Gütern aus Industrieländern. Er sollte ebenfalls in die Handel und Umwelt-Agenda integriert werden, zumal er wichtige Querverbindungen zu anderen Aspekten dieses Themenkomplexes aufweist: So führen Rückstände von in der EU verbotenen Pestiziden oder Farbstoffen in Exportprodukten aus Entwicklungsländern häufig zu Problemen bei der Einhaltung von Produkt und Gesundheitsschutzstandards. Schließlich ist der Themenbereich umweltschädlicher Subventionen in die Verhandlungen aufzunehmen. Neben den bereits diskutierten Agrarsubventionen ist hier vor allem an die Fischerei zu denken.
In ihrem Ansatz im Bereich Handel und Umwelt beschränkt die Kommission die Agenda auf wenige in ihrem Interesse liegende Punkte und schraubt ihre Ziele darin immer weiter zurück. Dieser Ansatz nährt den Verdacht, das Thema sei nur als “bargaining chip” gedacht, der gegen Zugeständnisse bei Liberalisierungsforderungen aufgegeben wird.
Handel und soziale Entwicklung
Der Vorschlag der Kommission, das Verhältnis von Handel und sozialer Entwicklung (einschließlich, aber nicht beschränkt auf Kernarbeitsnormen) in einem multi-institutionellen Rahmen zu diskutieren, erscheint grundsätzlich sinnvoll und der erfolgversprechendste Ansatz in diesem stark umstrittenen Themenfeld zu sein. Er umgeht vor allem die Befürchtungen vor protektionistischem Mißbrauch der Debatte und vor der fehlenden Kompetenz der WTO auf diesem Gebiet. Die Vorschläge der EU müssen jedoch sehr viel konkreter werden. Verhandlungen auf Basis der derzeitigen Formulierung würden eine unverbindliche Diskussionsrunde werden, in der das Thema geparkt wird, ohne es offiziell aufzugeben. Notwendig ist dagegen ein Gremium, das über völkerrechtlich verbindliche Regeln und deren Umsetzung verhandelt. Daher muss eine enge Kopplung mit dem hier vorgeschlagenen multi-institutionellen Forum zu Investitionen und Wettbewerb stattfinden, das die transnationale Unternehmen verbindlich zur Einhaltung sozialer Standards verpflichtet, und damit Initiativen wie dem Global Compact Zähne verleihen müsste.
Landwirtschaft
Die Bereitschaft, die “non-trade-concerns” der Entwicklungsländer, vor allem Armutsbekämpfung und Ernährungssicherheit ausdrücklich anzuerkennen. Ãœber die notwendigen Instrumente bei der internen Stützung und beim Außenschutz zu verhandeln, ist ebenso ausdrücklich zu begrüßen wie die angekündigte Hilfe für netto-nahrungsmittelimportierende Länder, bei gleichzeitig strenger Disziplin für Nahrungsmittelhilfe.
Die EU muss sehr viel deutlicher auf die Kopplung der internen Unterstützungsmaßnahmen der Industrieländer mit deren wichtigsten ´”non-trade-concerns” dringen: Umweltschutz und Regionalentwicklung. Unkonditionierte Direktzahlungen und nicht mit ökologischen Auflagen verbundene Flächenstilllegungsprogramme der blue-box sollten auslaufen. Die im Gefolge der BSE-Krise ökologische Neuorientierung der EU-Agrarpolitik sollte die notwendigen Anpassungen erleichtern.
Fazit
Die EU muss von dem Ziel, die WTO zur Liberalisierungsbehörde für alle Bereiche der Weltwirtschaft auszubauen, endgültig Abschied nehmen. Stattdessen sollte sie zusammen mit den Entwicklungsländern einen ernsthaften Prozess der Überprüfung und Überarbeitung der bestehenden Abkommen und der Demokratisierung der WTO beginnen. Dabei sollte sie deren Interessen im Bereich Handel und Umwelt ernst nehmen, ohne eigene Ziele aufzugeben. Ein Ansatz der auch die Probleme der Entwicklungsländer mit den Subventions-, Anti-Dumping- und TRIMS-Abkommen aufgreift, und sich für deren Anpassung offen zeigt, kann zu einer WTO führen, die Entwicklungs- und Umweltzielen nicht mehr entgegensteht. Wichtige Fragen wie soziale Entwicklung, Investitionen und Wettbewerb müssen auf internationaler Ebene dringend behandelt werden, aber nicht im Rahmen der WTO.