– Die WTO unterläuft im Gentechnikstreitfall nicht nur das Protokoll über Biologische Sicherheit, sondern stellt alle multilateralen Umweltabkommen zur Disposition –
Am 28. November 2006 lief die sechzigtägige Einspruchsfrist ab. Bis zu diesem Tage hatte die Europäische Union (EU) Gelegenheit, im Gentechnikstreitfall (EC-Biotech) Einspruch gegen das am 29. September 2006 veröffentlichte Urteil der Streitfallspanels, der ersten Instanz im Streitbeilegungs-verfahren der Welthandelsorganisation (WTO), einzulegen. Doch bereits eine Woche zuvor entschied sich die EU-Kommission, auf einen Einspruch zu verzichten und dem Urteil zusammen mit den Klä-gern USA, Kanada und Argentinien zuzustimmen. Am 22. November 2006 genehmigte sie den Be-richt des Panels. Das WTO-Urteil in EC-Biotech setzt damit unangefochten den Maßstab für zukünfti-ge, vor der WTO geführte Streitfälle zur Gentechnik. Die EU gab an, dass die Entscheidung der Panel-Richter für sie nur von “historischem Interesse” sei. Denn im Streitfall ging es vordergründig um das so genannte Gentechnik-Moratorium der EU , das seit längerem nicht mehr existiert. In der Tat ist das rund 2.400 Seiten umfassende Urteil historisch – leider in einem ganz anderen Sinne als es die Aus-sage der EU vermuten lässt. Denn in EC-Biotech wurde erstmals eine Entscheidung zum Verhältnis von multilateralen Umweltabkommen (Multilateral Environmental Agreements; MEAs) und Welthan-delsrecht getroffen. Die WTO-Streitschlichtung urteilte über die Berücksichtigung des Biosafety-Protokolls bei der Auslegung des Welthandelsrechts. Hoffnungen, dass Umweltschutzabkommen in der WTO-Rechtsprechung angemessen berücksichtigt werden, wurden mit dieser Entscheidung begra-ben. Aus umweltpolitischer Sicht ist aus dem WTO-Urteil folgender Schluss zu ziehen: Konflikte zwi-schen MEAs und Welthandelsrecht dürfen nicht in der WTO entschieden werden. Dafür sind die WTO-Gremien weder fachlich kompetent noch legitimiert. Stattdessen muss das Verhältnis zwischen Umweltabkommen und Welthandelsrecht außerhalb der WTO, im Rahmen der Vereinten Nationen, geregelt werden. Dazu muss ein Streitschlichtungsverfahren jenseits der WTO eingerichtet werden. Zudem müssen außerhalb der WTO klare Kriterien entwickelt werden, nach denen im Konfliktfall entschieden wird. Das Urteil ist zudem eine klare Absage an das Vorsorgeprinzip, auf das sich die EU im Streitfall berufen hatte. Der vorsorgende Umweltschutz, Leitprinzip vieler multilateraler Umwelt-abkommen und seit 1992 im Vertrag zur Gründung der Europäischen Union verankert, wurde erneut von der WTO missachtet.
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