Mai 2017
Vier Jahre nach Rana Plaza: Was hat sich in Sachen saubere Textilien getan?
Who made my clothes? Wo kommt eigentlich meine Kleidung her? Diese Frage der gleichnamigen Kampagne, inszeniert von der internationalen Bewegung „Fashion Revolution“ stellen sich auch heute noch, vier Jahre nach der Rana Plaza Katastrophe, viele Verbraucher. Am 24. April 2013 stürzte in Savar nahe Dhaka, der Hauptstadt Bangladeshs, ein neunstöckiges Gebäude ein, in dem sich fünf Textilfabriken befanden. Es ist das bis heute größte Unglück in der Geschichte der Textilindustrie, mit 1138 Toten und über 2000 Verletzten. Rana Plaza wurde zum traurigen Symbol für die desolaten Arbeits- und Sicherheitsbedingungen in der gesamten Textil-, Kleider- und Schuhindustrie weltweit. Immerhin führte der Schreck über dieses verheerende Unglück dazu, dass die internationale Gemeinschaft sich endlich mit den unzumutbaren Bedingungen in der Textilindustrie in Bangladesh und anderen Entwicklungsländern beschäftigte. Zahlreiche Initiativen auf internationaler und europäischer Ebene wurden gestartet – darunter das deutsche Bündnis für nachhaltige Textilien. Damit konnten vor Ort schon einzelne Verbesserungen erzielt werden – doch von einer umfassenden Lösung des Problems ist man immer noch weit entfernt.
„Wir brauchen Gesetze“
Das jedenfalls zeigte sich deutlich bei einer Veranstaltung zum Jahrestag des Rana Plaza Unglücks im Europäischen Parlament in Brüssel. Zwar hatte eingangs Neven Mimica, EU-Kommissar für Entwicklung, keinen Zweifel daran gelassen, dass die Europäische Kommission sich an zahlreichen Ansätzen zur Verbesserung der Situation in der Textilindustrie in Bangladesh und anderswo beteiligt und vor allem auf Stärkung der Frauenrechte, sprich der Textilarbeiterinnen vor Ort setzt – und fand dazu auch publikumswirksame Worte: „Let’s turn tragedy into transformation“ – „Lasst uns die Tragödie für den Wandel nutzen“. Doch starke Worte allein reichen nicht mehr. Das jedenfalls befand Lola Sanchéz- Caldentey, Berichterstatterin eines parlamentarischen Reports über die so genannte „EU Flagship Initiative“ für verantwortliches Management im Textilsektor, die zwar nach dem Unglück 2013 beschlossen wurde aber immer noch auf ihre endgültige Umsetzung wartet. „Was wir jetzt brauchen, ist mehr als verbales Commitment“, so Sanchéz-Caldentey. „Wir brauchen Gesetze.“ Denn weiterhin arbeiteten rund 75 Millionen Menschen unter prekären Bedingungen im Textilsektor, darunter mit 75 Prozent mehrheitlich Frauen. „Und wie viele Kinder betroffen sind, wissen wir nicht einmal“, so Sanchéz-Caldentey weiter „Viele dieser Menschen erleben weiter ihr eigenes, tägliches Rana Plaza“. Guy Stuart von der Harvard University bestätigte, dass viele Arbeiterinnen immer noch endlose Überstunden in den Fabriken Indiens und Bangladeshs leisten und sehr häufig verbalen Beschimpfungen ausgesetzt sind. Das habe eine Umfrage ergeben, deren Ergebnisse jetzt als „Garment workers diaries“, Tagebücher der Arbeiter, veröffentlicht wurden.
Vorfahrt für fair gehandelte Textilien?
Der SPD-Europaabgeordnete und Vorsitzender des Handelsausschusses, Bernd Lange, sprach sich dafür aus, dass „wir die gesamte Lieferkette anschauen müssen“, um zu einer sozial und ökologisch unbedenklichen Produktion von T-Shirts und anderen Textilien zu gelangen. Er verwies dazu auf ähnliche Initiativen in anderen Sektoren, wie die jüngst beschlossene EU-Regulierung zu Konfliktmineralien. „Warum sollten wir nicht Handelspräferenzen für fair gehandelte Textilien festlegen?“ regte Lange an. Helmut Fischer vom deutschen Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, verwies derweil erneut auf das deutsche Textilbündnis, in dem derzeit etwa 50 Prozent der deutschen Textilhändler vertreten seien. Dort habe man sich zu „gemeinsamen Vorgehen“ und „gegenseitigem Lernen“ entschieden. Die Umsetzung werde von neutraler dritter Seite kontrolliert. „Wir wollen uns außerdem noch stärker europäisch vernetzen. Das Bündnis kann da auch ein Vorbild für andere Sektoren sein.“ Ob das aber ausreicht, ist fraglich. Immer wieder ist gerade das Textilbündnis heftig in die Kritik geraten – ihm wird eine Alibifunktion für die Unternehmen unterstellt. Denn in der Tat beruht auch das Bündnis erneut auf freiwilligen Maßnahmen und nicht auf einer gesetzlichen Verpflichtung.
Kritische Frage? Nicht verstanden…
Beim Blick auf die Situation vor Ort ergab sich – zumindest an diesem Tag im Parlament – auch ein äußerst widersprüchliches Bild. „Wir haben viel investiert, um die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken zu verbessern“, sagte der Botschafter Bangladeshs, Mohammed Shahdat Hossain. „Natürlich lassen die Probleme sich nicht schnell lösen, doch „mein Land tut alles, was möglich ist. Man muss uns nur ein bisschen Zeit geben“. Der Vertreter der nationalen Gewerkschaftsvereinigung Bangladeshs, Amirul Haque Amin, beklagte, „dass noch nicht genug passiert ist“, räumte aber trotzdem „gewisse Fortschritte“ ein. Was er nicht sagte, kam dann als kritische Frage an den Botschafter aus dem Publikum: Wieso denn trotz dieses Bekenntnisses immer noch Gewerkschafter aus dem Textilsektor verhaftet würden? Eine Klärung kam von Seiner Exzellenz nicht: Erst verstand er mehrfach die Frage nicht – dann erschien ihm eine Antwort darauf an diesem Tag im Parlament „zu komplex“. Mohammed Shahdat Hossain: „Dafür haben wir hier nicht die Zeit. Nur soviel: Bei den Verhaftungen ging es um kriminelle Machenschaften, nicht um die Gewerkschaftstätigkeit.“
Mehr Konkretes als die Politik, so schien es, hatten dann an diesem Tag die alternativen Textilproduzenten und –händler zu bieten, die ebenfalls geladen waren, mit Warenproben, Muster-T-Shirts und –Kleidern erschienen und so das Parlament kurzzeitig in eine Fashion-Ausstellung verwandelten. Zum Beispiel die Firma „3Freunde – Shirts, Bio,Fair“ aus Konstanz: Sie setzt auf ökologischen Baumwollanbau und Fairen Handel – aber auch auf einen neuen Schnitt, der es ermöglicht, bei einem T-Shirt mehrere, aber kleinere Stücke zu verarbeiten und so Verschnitt und zu großen Baumwollverbrauch zu vermeiden. Gleichzeitig erhöhe die größere Menge an Einzelteilen die Zahl der Arbeitsschritte und Schnitte, erläuterte Geschäftsführer Stefan Niethammer. Dadurch könnten mehr Arbeiter in der eigenen Näherei Mila-Clothing in Indien beschäftigt werden.
Wunsch nach breiter Bewegung
„Wir waren es leid, dass sich die Großen der Branche immer herausreden“, heißt es auf der Website von „3Freunde“. Dass es so schwierig und kompliziert sei, die Bedingungen in der Textilindustrie zu verbessern, sei oft nur eine Schutzbehauptung. Auch Armit Narke, Geschäftsführer der Purecotz Garment Factory in Indien will es mit seiner ausschließlich nachhaltigen Textilproduktion anders machen. Er wünscht sich allerdings noch viel breitere Unterstützung für diesen Ansatz – zum Beispiel finanziellen Support für die Entwicklung neuer, umweltfreundlicher Textilien und ein neues, starkes Logo, das weltweit vermarktet werden könnte. Denn eins, so der Produzent aus Indien, verstehe er nicht: „Wenn ich auf Messen und Kongresse gehe, dann frage ich mich jedes Mal, warum ist die Bewegung für ökologisch und sozial saubere Textilien immer noch so klein?“
Monika Hoegen, entwicklungspolitische Fachjournalistin, Brüssel
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www.monika-hoegen.de