Liebe Geburtstagsgäste,
bitte gestatten Sie mir eine historische Vorbemerkung zur leichteren Einordnung meiner wenigen Worte!
- Die Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung – UNCED – vom Juni 1992 prägte stärker als jedes andere politische Ereignis davor und danach die deutschen NRO-Strukturen. Nicht nur das Forum Umwelt und Entwicklung deutscher Nichtregierungsorganisationen, dessen Geburtstag wir heute feiern, ist eine direkte Folge dieser Konferenz, sondern auch VENRO, der Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe der deutschen Nichtregierungsorganisationen. Bis zur VENRO-Gründung im Dezember 1995 gab es vier NRO- Dachverbände des Entwicklungsbereichs in Deutschland, die sich zugunsten von VENRO nach dessen Gründung im Dezember 1995 auflösten. Demgegenüber hatten die deutschen Umwelt-NRO schon viel früher einen einzigen Dachverband gebildet, d.h. den Deutschen Naturschutzring (DNR).
- Zu meiner Person: Zwar bin ich ehemaliger und nur noch ehrenamtlicher Mitarbeiter des BMZ, doch von 1990 bis 1994 hatte mich dieses Ministerium in den Vorstand des Hilfswerks Kindernothilfe beurlaubt und insofern durfte ich an der UNCED als NRO-Vertreter teilnehmen und dort die Sprecherfunktion der deutschen Entwicklungs-NRO ausüben.
- Sofort nach der UNCED fungierte die Kindernothilfe als Koordinatorin der Anstrengungen, das heutige Geburtstagskind das Licht der Welt erblicken zu lassen.
Selbst wenn man über die UNCED sowie Ihre Folgekonferenzen – “Rio plus 10” in Johannesburg und “Rio plus 20” erneut in Rio de Janeiro enttäuscht ist, lehrte die VN-Konferenz knapp drei Jahre nach dem Mauerfall die deutschen NRO ein Fürchten, das Positives hervorbrachte: Im eigenen Land mag man noch so bekannt und gefragt sein, auf der globalen Ebene ist man ein Zwerg!
Tief fraß sich bei den NRO-Teilnehmern, die persönlich die Regierungskonferenz und das “Globale Forum” der weltweiten Zivilgesellschaft vor knapp 26 Jahren in Rio de Janeiro erlebten, der Lerneffekt ein: Wir NRO’s müssen gemeinsam auftreten, d.h., mit einer Stimme sprechen. Die nächsten VN-Weltkonferenzen für Menschenrechte, Bevölkerungspolitik oder Frauen stehen terminlich schon fest und verlangen eine gründliche Vorbereitung. Jede einzelne deutsche NRO – selbst die größte – ist hiermit überfordert! Der Satz von Friedrich Schiller in seinem Werk Wilhelm Tell – “der Starke ist am mächtigsten allein” – gilt nicht für einzelne nationale NRO auf Weltkonferenzen der Vereinten Nationen!
Alle Presseerklärungen, die einzelne deutsche Entwicklungs-NRO vor und während der sog. Rio-Konferenz im ersten Halbjahr 1992 abgaben, fanden kein Presseecho. Allein die gemeinsamen Verlautbarungen der in Brasilien versammelten deutschen NRO des Umwelt- und Entwicklungsbereichs wurden abgedruckt! Mehrere Gespräche mit Professor Töpfer, dem deutschen Delegationsleiter, und der deutschen Regierungsdelegation waren nur der Gesamtheit der deutschen NRO möglich!
Vergleichbares gilt für die Begegnungen der deutschen NRO mit der Gruppe der Bundestagsabgeordneten, die das Mammutereignis UNCED mit rund 12 000 Regierungsvertretern und der NRO-Parallelkonferenz “Globales Forum” mit gut 20.000 Teilnehmern beobachteten. Wurden schon auf der Regierungskonferenz so komplexe Themen wie Klima, Biodiversität, Wüstenausbreitung, Waldschutz etc. behandelt, fanden auf dem “Globalen Forum” der weltweiten Zivilgesellschaft täglich rund 40 Veranstaltungen nebeneinander statt.
Neben der Lektion, auf der globalen Ebene nur gemeinsam auftreten und Wirkungen entfalten zu können, ist für die Geburt des Forums Umwelt und Entwicklung eine zweite Einsicht – ja, Tugend – entscheidend gewesen: Eine Kultur der Gleichberechtigung und Fairness, die auch in Zeiten gilt, in der eine Seite strukturell und finanziell deutlich überlegen ist.
Das Forum Umwelt und Entwicklung wurde am 16. Dezember 1992 noch ohne ausdefinierte Strukturen und ohne jede Finanzzusage gegründet. Hektische Verhandlungen folgten, in denen die Entwicklungsseite im Nachteil war, weil sie über keinen einheitlichen Dachverband verfügte und ihr Kontakt zu ihrem Fachministerium – dem BMZ – nicht so etabliert war, wie im Falle des DNR zum BMU. Der Dachverband der Umwelt-NRO besaß eine personell deutlich größere Geschäftsstelle und Prof. Dr. Wolfgang Engelhard als DNR-Präsident verfügte über einen persönlichen Draht zu Minister Töpfer und Bundeskanzler Kohl. Beide hatten das persönliche Gespräch mit ihm und seinen Rat gesucht.
Obgleich die Auflage des Bundesfinanzministeriums und des Haushaltsausschusses im Raum stand, keine neue institutionelle Förderung mehr vorzunehmen, hatte der DNR ohne Wissen und Konsultation der Entwicklungs-NRO bereits einen Förderantrag beim BMU eingereicht und behauptete, schon von Bundesminister Töpfer ein positives Signal erhalten zu haben. Dies empfanden die Entwicklungs-NRO als Alleingang und kritisierten den DNR-Präsidenten. Als erschwerend erwies sich ferner, dass Professor Engelhardt in den Gesprächen mit den Entwicklungs-NRO darauf pochte, die “letzte Verantwortung” für die Arbeit eines Forums Umwelt und Entwicklung deutscher NRO behalten zu müssen, weil der DNR seinen Kopf für eine gewährte Personalfinanzierung hinzuhalten habe. Ich erinnere mich an extrem schwierige Gespräche, die zum Teil unter vier Augen stattfanden. Das BMZ wollte sich an den Kosten des Forums nur über Zuschüsse für einzelne Maßnahmen beteiligen.
Doch schließlich siegten Vernunft und Fairness! Der schon in den Gesprächsvermerken ab Februar 1993 genutzte Begriff “Leitungskreis” wurde in den weiteren Verhandlungen immer präziser definiert und fixierte sukzessive die Gleichberechtigung der Umwelt- und Entwicklungsseite. Im August 1993 wurden die beiden gleichberechtigten Sprecher des Leitungskreises gewählt und im Oktober 1993 konnte Peter Mucke als erster Geschäftsführer des Forums seine Arbeit in Bonn aufnehmen.
Abschließend möchte ich noch einen Einflussfaktor nennen, der zwar nicht konstitutiv für das Forum Umwelt und Entwicklung deutscher NRO gewesen sein mag, jedoch ungemein hilfreich, es nur sechs Monate nach Ende der UNCED gründen zu können: Die Einrichtung und Arbeit der “Projektstelle Umwelt und Entwicklung”, die das BMU vor und noch einige Monate nach der UNCED finanzierte. Die Leiterin dieser Stelle war Barbara Unmüßig, jetzt Geschäftsführerin der Heinrich Böll-Stiftung. Diese Projektstelle informierte die deutsche Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit über die Vorbereitung der UNCED und organisierte mehrere Konferenzen, auf denen sich die Vertreterinnen und Vertreter der interessierten deutschen NRO kennenlernen und zueinander ein Vertrauensverhältnis aufbauen konnten.
Dieses Vertrauen trug und bewährte sich in den schwierigen Verhandlungen nach der UNCED. Möge diese exzellente und vertrauensvolle Kooperation fortbestehen!
Sie ist heute nötiger denn je! Die erschütternde Vernachlässigung der Themen Klimawandel und Schadenszufügung gegenüber den Ländern des Südens in z.B. den Bereichen Agrarhandel, Fischerei, Steuervermeidung im Zuge des letzten Bundestagswahlkampfs und in der Zeit seit dem 24. September 2017 machen ein stärkeres und gemeinsames Auftreten der Umwelt- und Entwicklungs-NRO dringlicher denn je! Der gestrige Aufruf von DNR, VENRO und Klimaallianz an die CDU/CSU und SPD mit der Ãœberschrift “Nachhaltige Entwicklung und Klimaschutz müssen roter Faden des Koalitionsvertrags sein” sind ein gutes Beispiel hierfür.
Das Forum Umwelt und Entwicklung deutscher NRO hat eine wichtige Brückenfunktion zwischen der Umwelt- und Entwicklungsseite. Es verdient Unterstützung!
Christian Wilmsen                                             Berlin, 31.01.2018