Drei Tage lang stellten sich auf der IFPRI-Konferenz über eine Vision für das Jahr 2020 im ehemaligen deutschen Bundestag in Bonn ForscherInnen und PolitikerInnen der Frage, auf welche Weise wirksam der Hunger in der Welt bekämpft werden kann. Die meisten setzten ihre Hoffnung auf High-Tech-Lösungen und bekannten sich zu den modernen Biotechnologien. Das eingeladene Publikum konnte sich vor allem per digitalem Knopfdruck beteiligen, was offenbarte, dass unter den mehreren Hundert TeilnehmerInnen 2% Landwirte waren. 4% der Redner waren Bauern, viel zu wenige, um von einer angemessenen Beteiligung der Betroffenen zu sprechen.
Doch wie visionär sind nun die Konzepte tatsächlich, die der Think Tank internationaler Agrarforschung und -politik zu bieten hat? Gibt es einen Hoffnungsschimmer, dass in den Washingtoner Büros, in den Laboren und den Konzernetagen der “Life Science Industry” die Patentlösung für ganze Weltregionen, in denen Millionen Menschen tagtäglich hungrig zu Bett gehen, wartet?
Nichtregierungsorganisationen aus Nord und Süd bezweifeln, dass im Zentrum des Interesses der Agrarpolitik die Kleinbauern stehen. Mit ihren Kenntnissen und Erfahrungen verfügen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern über Potenziale, die die Ernährung über viele Jahrhunderte gesichert haben, und auch heute vielerorts sichern können. Diese Potenziale wurden nur von wenigen RednerInnen einbezogen; einige erklärten sie sogar für überholt.
Auf der Konferenz dominierte das Mantra des Marktes; kritische Fragen zur Handelsliberalisierung, zur Fixierung auf HighTech-Lösungen und zur Rolle der Konzerne beim Hungern und beim Essen hatten wenig Chancen. Für das Problem des Welthungers wurden erneut technische statt politische Lösungen geboten.
NGOs stellten brennende Fragen zur Ernährungssicherung:
- Wenn die Märkte durch protektionistische Maßnahmen den Produkten der Ärmsten verschlossen sind, wie kann eine Strategie, die auf Exporte setzt, den Kleinbauern nützen?
- Wenn die Gentechnik irgendwo eine Berechtigung haben sollte, dann ganz sicherlich nicht bei den ländlichen Armen. Weshalb wird zuvorderst auf diese umstrittene Technologie gesetzt, anstatt auf Vorhandenes zu bauen und bereits erprobte und jeweils agrarökologisch angepasste Anbautechniken zu fördern?
- Der Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft ist kostspielig im Norden und im Süden, denn die Begleitforschung zur biologischen Sicherheit und die Kontrolle der Einhaltung der Sicherheitsvorschriften sind teuer. Stehen diese jetzt schon absehbaren Kosten im Verhältnis zum umstrittenen Nutzen?
- Wer ist zuständig für eine Politik, die die Ernährung der Armen in ländlichen Regionen sichert und wer ist beteiligt an deren Formulierung? Und schließlich: Wem sind internationale Organisationen wie IFPRI, die Konzepte und Strategien für die weltweite Ernährungssicherung entwerfen, rechenschaftspflichtig?
Prioritäten für eine wirksame Ernährungspolitik aus Sicht der Zivilgesellschaft
Angesichts der dramatischen Lage bei der Ernährungssicherung und der Dringlichkeit einer nachhaltigen Lösung fordern zivilgesellschaftliche Organisationen aus Süd und Nord:
- Organisationen von Kleinbäuerinnen und -bauern müssen auf internationaler Ebene bei der Formulierung von Politiken zur Ernährungssicherung angemessen beteiligt sein.
- Die Nahrungsmittelsouveränität und das Recht der Bauern, Saatgut weiterzuentwickeln, sind Menschenrechte, die in internationalen Konventionen verankert werden müssen.
- Genetische Ressourcen dürfen nicht privatisiert werden. Der Zugang hierzu muss öffentlich bleiben, damit Bauern und Wissenschaftler das Saatgut ungehindert weiterentwickeln können.
- Die Terminatortechnologie und ähnliche Methoden, die auf gentechnischem Wege die Keimung von Saatgut verhindern, müssen international geächtet werden.
- Internationale Konzerne und Gentechnik werden einerseits wenig zur Bekämpfung des Hungers beitragen und andererseits die Steuerzahler und Entwicklungshilfebudgets durch Sicherheitsmaßnahmen stark belasten. Gentechnik darf daher keine Priorität für die Ernährungssicherungspolitik werden. Erprobte agrarökologische Ansätze, die den vielfältigen sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Realitäten jeweils vor Ort gerecht werden, bieten schon heute das Potenzial und die notwenigen Sicherheiten für die Ernährung. Dieses Knowhow muss politisch gefördert und durch geeignete Ausbildungs- und Beratungsmaßnahmen verbreitet werden.