März 2018
Irgendwie machte die EU-Kommission ihrem Image alle Ehre. Denn die mit Spannung erwartete Debatte über die Auswirkungen der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP) auf die Entwicklungsländer blieb zumindest von Seiten der Kommission weitgehend im Ungefähren. Umso deutlichere Worte fanden dagegen Olivier de Schutter, UN Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, und Adama Diallo, Vorsitzender der Nationalen Union der Milchproduzenten Burkina Fasos. Ihnen zufolge zerstören aus der EU importierte Milcherzeugnisse in Afrika weiterhin die lokalen Märkte – und das trotz Abbau der noch vor einigen Jahren viel kritisierten Exportsubventionen. Hintergrund der Debatte, zu der der Landwirtschafts- und der Entwicklungsausschuss des Europäischen Parlamentes zusammenkamen, war eine neu erschienene Studie zu GAP und Entwicklungspolitik, die die Generaldirektion Entwicklung der Kommission, DevCo in Auftrag gegeben hatte. Â
Vorgestellt wurde die Studie von Maria Blanco, Professorin für Agrarökonomie an der Universität von Madrid. Insgesamt, so Blanco, ließe sich konstatieren, dass mit den GAP Reformen 2014-2020 die wettbewerbsverzerrenden Effekte der EU Landwirtschaftspolitik deutlich reduziert worden seien. EU Agrarpreise seien weitgehend konform mit Weltmarktpreisen. Ein Hauptproblem bestehe aber immer noch in der so genannten „freiwilligen gekoppelten Unterstützung“ (voluntary coupled support, VCS) – Subventionen, die einige Mitgliedstaaten nach wie vor an Bäuerinnen und Bauern aus besonders gefährdeten Bereichen zahlen. Dazu gehört auch der Milchsektor. Anlass zur Sorge gebe auch die mangelnde Übereinstimmung der EU Landwirtschafts- mit der Klima- und Umweltpolitik. Hier müsse es zu mehr Kohärenz kommen. Auch die Rinderzucht Produktion in Europa wird kritisch gesehen. Sie führt zu verstärkter Nachfrage nach Futterimporten, vorwiegend aus Entwicklungsländern, was dort den Kampf um Agrarflächen verstärkt und Monokulturen, zum Beispiel für den Soja-Anbau, entstehen lässt. Die EU Agrarpolitik müsse also irgendwie noch „entwicklungsfester“ („development proof“) gemacht werden, so Blanco. Doch wie genau, das ließ sie weitgehend offen. Überdies sei es schwierig, „genau zu bestimmen, wo negative Folgen für die Landwirtschaft der Entwicklungsländer konkret der EU-Agrarpolitik zuzuordnen sind und wo sie von anderen Einflüssen bestimmt werden“.
„Dumping unter Umgehung der Regeln“
Für Adama Diallo aus Burkina Faso hingegen ist die Sache klarer. Milch aus Europa zerstöre weiterhin lokale Märkte – insbesondere angesichts des rückgängigen Konsums in der EU was zu weiterer Expansion auf dem afrikanischen Markt führe. Derzeit liegt der Zoll auf importierte Milch in Diallos Heimatland bei 5 Prozent. Wenn ein European Partnership Agreement (EPA) mit der EU in Kraft trifft, wird es diesen Zoll nicht mehr geben. Zudem, so Diallo, betrieben die großen internationalen MilchproduzentInnen schon jetzt „Dumping in Afrika unter Umgehung der Regeln“. Sprich: Sie liefern – zollfreies – Magermilchpulver, das erst vor Ort mit Palmöl wieder angereichert wird. Die lokale Produktion könne damit – noch – nicht konkurrieren. Zwar entstanden etwa in Burkina Faso seit den 90er Jahren mehr und mehr kleine Molkereien, um den Milchsektor zu verbessern und neue Beschäftigungsperspektiven zu bieten. Doch noch ist das lokale Milchangebot unzureichend, sein Potenzial wird nicht voll ausgeschöpft und die Preise können mit der billig angebotenen Magermilch nicht konkurrieren. All das führe zu weiterer Verarmung der Bäuerinnen und Bauern in Burkina Faso und anderswo und letztlich zu Landflucht und Auswanderung in die Städte. Dort aber fänden insbesondere junge Menschen oft auch keine Arbeit. Diallos Forderungen an die EU sind daher sehr konkret: Sie soll mit flankierenden Politiken helfen, die lokalen Märkte in Afrika zu unterstützen. Es sollte keine Förderung von Großinvestitionen mehr geben. Der Export europäischer Milch nach Afrika sollte eingestellt werden. Das käme besonders auch den Frauen zugute, die im Milch verarbeitenden Gewerbe traditionell eine große Rolle spielen. Diallo: „Lokale Milch bedeutet wirtschaftliche Macht der Frauen in Burkina Faso.“
Mehr für die Kleinen, weniger für die großen Player
Auf die Bedeutung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, die es unbedingt zu fördern gelte, wies auch der UN Nahrungsbeauftragte Olivier De Schutter bei der Debatte im EU-Parlament hin. 850 Millionen Menschen, so De Schutter, arbeiten weltweit als Kleinbäuerinnen und -bauern – von der Politik weitgehend vergessen. Denn solche, für den Export wichtige landwirtschaftliche Sektoren wie Soja, Zucker, Mais oder Palmöl würden ausschließlich durch „die großen internationalen Player“ bestimmt. Hunger und Migration seien die Folgen dieser Politik. Die Strategie mancher Entwicklungsländer, lokale Hungersnöte durch noch mehr Lebensmitteleinfuhren zu bekämpfen, erhöhe nur die Abhängigkeit von externen Märkten und die Gefahr von Preisschocks und führe letztlich immer weiter in den Teufelskreis. De Schutter: „Insgesamt stellen wir fest, dass die Abschaffung der Exportsubventionen im Rahmen der GAP nicht viel verändert hat. Nicht die Subventionen sind das Problem, sondern die Tatsache, dass die EU Bauern mit ihren Erzeugnissen immer noch weitaus wettbewerbsfähiger sind, als lokale Farmer.“
Kritische Fragen – keine Zeit für Antworten
So sei zum Beispiel in Südafrika trotz seines bedeutenden Landwirtschaftssektors die Einfuhr von Nahrungsmitteln angestiegen. Das habe neben desaströsen wirtschaftlichen auch bedenkliche gesundheitliche Folgen. De Schutter: „Übergewicht ist ausgerechnet in Afrika ein verbreitetes Phänomen“ – weil die Menschen anstelle lokal angepassten Essens immer mehr industriell verarbeitete Nahrung zu sich nehmen. Bei den Abgeordneten im Europa Parlament stießen die Ausführungen Diallos und De Schutters auf breite Zustimmung. Auch die Parlamentarier waren mehrheitlich der Meinung, dass die europäische GAP noch lange nicht kohärent mit der Entwicklungspolitik sei und stellten im weiteren Verlauf der Debatte allerhand kritische Fragen in Richtung Kommission und Autoren der Studie. Sollen wir lokalen Produzenten helfen, auch in die Milchpulver Produktion einzusteigen? (MEP Norbert Neuser) Wie kann sich die GAP – statt „von Reförmchen zu Reförmchen“ zu springen sich wirklich verändern, um kohärent mit Entwicklungs- und Klimapolitik zu sein? Wieso sagt die Studie dazu nichts Konkretes? (MEP Maria Noichl). Ist weitere Liberalisierung der richtige Weg? Und wie hoch müssten denn zum Beispiel in einem Land wie Burkina Faso die Zollschranken sein, damit sich der lokale Markt entwickeln kann? (MEP Martin Häusling)
Alles interessante Fragen – von denen am Ende aber keine beantwortet wurde. Denn die verbleibende knappe Zeit wurde stattdessen für ein Statement von EU-Agrarkommissar Phil Hogan und die Präsentation von Gastredner Harald von Witzke, Agrarökonom an der Humboldt Universität in Berlin, genutzt. Dabei war die Botschaft Hogans eher einfach gestrickt: Die gegenwärtige GAP habe keine negativen Effekte auf die Landwirtschaft in Entwicklungsländern mehr, so der EU-Kommissar. Mit partnerschaftlichen Vereinbarungen für Afrika, zum Beispiel innerhalb des Abidjan Action Plans auf dem jüngsten EU-Afrika Gipfel, sei man auf dem richtigen Weg zum verantwortungsvollen Unternehmertum auch in der Landwirtschaft. Einen Einwand, wonach erst jüngst Präsident Akufo-Addo aus Ghana die Importe von Hünchen und die damit verbundene Destabilisierung des lokalen Marktes als Hauptursache für illegale Migration genannt hatte, ließ Hogan nicht gelten. In Wahrheit seien die Hühnchenexporte nach Afrika immer weiter zurückgegangen – nach Südafrika um 67 Prozent im Vergleich zum Zeitraum vor 10 Jahren. Und überhaupt: „Wir haben uns klar zu den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen bekannt“, so Hogan. Sprach’s und ging ebenfalls allen weiteren kritischen Fragen aus dem Weg. Sorgte das bereits für Missstimmung im Plenarsaal, so war der Unmut beim Vortrag des Berliner Professors von Witzke noch größer. Insgesamt leide die EU an einer Nahrungsmittel-Unterversorgung, so von Witzke, der nur mit weiterer Produktionssteigerung zu begegnen sei. Woher von Witzke diese erstaunliche Ansicht nahm, konnte der Wissenschaftler nicht näher belegen.
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Monika Hoegen, entwicklungspolitische Fachjournalistin in Brüssel
www.monika-hoegen.de