Unter dem Titel „Unsere Meere – Unsere Zukunft“ fand vom 05.-09. Juni 2017 in New York die erste UN-Meereskonferenz statt. Ziel war es, erstmalig die über zahlreiche UN-Organe verteilte Meerespolitik in einer übergreifenden Weise zu diskutieren und somit die Umsetzung des Meeres-SDG 14 zu befördern. Mit einer Palette an nautischen Metaphern wurden von UN- und StaatenvertreterInnen gleichermaßen der problematische Zustand der Meere angemahnt und besonders innovative Lösungsansätze hervorgehoben. Dass das detaillierte Wissen um Meeresverschmutzung und -übernutzung dennoch nicht zu progressivem Handeln führte, sondern vielmehr bestehende umweltpolitische Übereinkommen zur Disposition standen und dass kritische Gegenstimmen beispielsweise betroffener KüstenbewohnerInnen kaum interessierten, verdeutlicht die gravierenden Mängel internationaler Zusammenarbeit.
Marie-Luise Abshagen, Referentin Nachhaltige Entwicklung beim Forum Umwelt und Entwicklung, Juli 2017
Es ist Februar 2014. Die Open Working Group on Sustainable Development (OWG) diskutiert endlich das Thema Meerespolitik. Die OWG, eine informelle Staatengruppe, hatte auf dem Rio+20-Gipfel die Aufgabe bekommen, die Verhandlungen der 2030-Agenda und der Sustainable Development Goals (SDG) vorzubereiten und dafür die zentralen Herausforderungen der Weltgemeinschaft im 21. Jahrhundert zu sondieren. Bei BeobachterInnen der OWG gilt das Thema „Meere“ lange als unwahrscheinlicher Kandidat für ein eigenes Ziel – zu breit ist die Vielfalt der zu behandelnden Themen, zu laut die Stimmen derer, die zehn SDG für ausreichend, weil kommunizierbar, halten (darunter auch prominente Vertreter wie Jeffrey Sachs vom Sustainable Development Solutions Network[1]). Unterstützung findet ein eigenständiges Meeresziel von Anfang an insbesondere bei Inselstaaten und -staatengruppen. Das Meer ist nicht nur Lebensgrundlage für die Menschen vor Ort, der Meeresspiegelanstieg und die schwindenden Fischgründe sind für sie längst spürbar. Auch andere Staaten, zumeist aus dem globalen Süden, betonen bald die Bedeutung der Meere für Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit, menschenwürdige Arbeit und den Klimawandel. Zivilgesellschaftliche Organisationen weltweit setzen sich für ein eigenständiges Meeres-SDG ein. Noch im März 2015 richten sich deutsche Umwelt- und Entwicklungsverbände an die Regierungschefs der Small Island Developing States und die UN, um ihre Unterstützung für ein Meeresziel auszudrücken.
Die 2030-Agenda wird im September 2015 verabschiedet. Das SDG 14 hat es in den finalen Zielkatalog geschafft. Mit sieben Unterzielen werden zentrale Elemente der Meerespolitik adressiert: Von der Verringerung der Meeresverschmutzung durch Meeresmüll und Nährstoffbelastung, dem Schutz der Meeres- und Küstenökosysteme, der Reduktion der Ozeanversauerung, über die Regelung von Fischfang, der Beendung von Überfischung und dem Untersagen bestimmter Formen von Fischereisubventionen, bis hin zur Verbesserung der Produktivität der Meere und der nachhaltigen Nutzung der Meeresressourcen vor allem für die kleinen Inselentwicklungsländer.
Meere kriegen eine eigene UN-Konferenz
Im Dezember 2015 beschließt die UN Generalversammlung die “High-Level United Nations Conference to Support the Implementation of Sustainable Development Goal 14” durchzuführen. Konferenzgastgeber sind Schweden und Fidschi, das zugleich Tagungsort sein soll. Beide Staaten wollen die Kosten der Konferenz übernehmen. Das SDG 14 soll Leitfaden der UN-Meereskonferenz werden. Als erste Konferenz eines Einzel-SDG gehandelt (ungeachtet der Tatsache, dass sich die UN Habitat Konferenz 2016 mit der Umsetzung des Stadt-SDG 11 befasst), soll die Konferenz zweierlei bewirken: Einen vertieften Einblick in die konkreten Ziele und Maßnahmen des SDG bieten, wie es im eigentlichen UN-Umsetzungsprozess beim High Level Political Forum aufgrund der Breite der Themen nicht möglich ist. Und endlich ein Zusammendenken der in der UN verstreuten Meerespolitik ermöglichen.
Im Januar 2016 tritt die 2030 Agenda in Kraft. Im Februar 2016 trifft Fidschi der stärkste dort jemals gemessene Zyklon, über 50.000 Menschen werden obdachlos, die Wasser- und Elektrizitätsversorgung fällt aus. Die UN-Generalversammlung beschließt im Herbst 2016 auf Wunsch Fidschi und Schwedens, die Konferenz ins UN-Hauptquartier nach New York zu legen. Die Gastgeberrolle und Kosten der Konferenz bleiben bei den beiden Staaten. Unterstützung bekommen sie für die Vorbereitung bald von Wu Hongbo, dem Under-Secretary-General for Economic and Social Affairs, UN DESA und den ständigen Vertretungen von Portugal und Singapur.
Man munkelt, alle seien ein bisschen überfordert vom Prozess. Der kurzfristige Ortswechsel, die Aneinanderreihung von Konferenzen im ersten Halbjahr 2017 im New Yorker UN-Gebäude, und die 4000 Delegierten aus Regierungen, UN-Organisationen, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft, die schließlich zur Konferenz kommen werden – es läuft nicht alles reibungslos. Mit Folgen: Sowohl bei der Vorbereitungskonferenz im Februar 2017 als auch bei der Meereskonferenz selber werden die Anmeldungsbestätigungen nicht-staatlicher Akteure erst kurz vor der Konferenz ausgeteilt, zivilgesellschaftliche TeilnehmerInnen aus dem globalen Süden können nicht anreisen, da sie so kurzfristig kein Visum für die USA bekommen. Side Events, die neben den Berichten und thematischen Diskussionen der Staaten das Herz einer jeden UN-Konferenz darstellen, werden reihenweise abgelehnt – nicht genug Platz im UN-Hauptquartier. Vielleicht ist es nur die Wahrnehmung der NGO-VertreterInnen, dass die Absage besonders oft ihre Veranstaltungen betrifft. Auffällig ist gleichwohl die starke Präsenz von WirtschaftslobbyistInnen, die Side Events gemeinsam mit Staaten abhalten, ihre Produkte oder Produktwerbung auf den Gängen verteilen oder im Plenum als nicht-staatliche Stakeholder sprechen. Alles im Namen des Meeresschutzes versteht sich.
Es steht so viel auf dem Spiel
Ein bisschen kennt man es von anderen UN-Prozessen. Es wird ein großes Programm verabschiedet, seien es die Agenda21, die Millenniumentwicklungsziele oder die 2030-Agenda, in der die Vision für eine bessere Welt und der Weg dorthin mehr oder weniger klar aufgezeigt wird. Alle Staaten unterzeichnen, es gibt eine Party. Sobald es an die Umsetzung geht, wird es plötzlich leise, alles sei ja nicht zu erreichen, es gehe ja vor allem um internationale Politik, man wolle ja niemanden bevormunden, vieles sei ja gar nicht relevant für einen selber.
Dabei geht es eigentlich um richtig viel. So auch in der Meerespolitik. Denn der Zustand der Meere und Ozeane zeigt par excellence, wie weit wir mit unserer derzeitigen Politik, Lebensart und unserem Wirtschaftsmodell von Nachhaltigkeit und somit einer ersthaften Umsetzung der SDGs entfernt sind. Nehmen wir die im SDG 14 benannte Vermeidung und Reduzierung der Meeresverschmutzung. Mehr als 10 Millionen Tonnen Abfälle gelangen laut der Umweltorganisation NABU jährlich in die Ozeane, 75% davon bestehen aus Kunststoff.[2] 86-150 Millionen Tonnen Plastikmüll befinden sind wahrscheinlich in den Meeren[3] – absurd, wenn man bedenkt, dass Plastik erst ab den 1950ern zum einem Massenprodukt wurde. 80% der Einträge stammen vom Land, aus kommunalen Abwässern, Auswaschungen von Mülldeponien, illegaler Entsorgung und Tourismus.
Der Anteil der Deutschen am globalen Müllproblem ist erschreckend. Allein in Deutschland fielen im Jahr 2014 17,8 Millionen Tonnen Verpackungsmüll an.[4] Das führt dazu, dass jeder und jede Deutsche im Schnitt 618 Kilo Hausmüll pro Jahr verursacht – der Schnitt unter den 28 EU-Ländern liegt bei gerade einmal 474 Kilo.[5] Natürlich landet davon nicht alles im Meer, auch wenn es in Deutschland sonst kaum eine sinnvolle Verwendung findet: Nur 43 % der Plastikabfälle in Deutschland werden recycelt, das meiste wird verbrannt.[6]
Große Plastikteile sind bei Weitem nur ein Teil des Problems. Der Umweltverband BUND spricht von einer „unsichtbaren Gefahr“ durch Mikroplastik.[7] Damit werden feste und unlösliche synthetische Kunststoffe bezeichnet, die kleiner als fünf Millimeter sind und unter anderem in einer Vielzahl von Kosmetikprodukten verwendet werden. Die Kleinstteile wirken dabei wie ein Magnet für Schadstoffe, deren Konzentration an Mikroplastik oft hundertmal höher ist als im Meerwasser. Laut Umweltbundesamt wurde in 69 % der Fische in Nord- und Ostsee Mikroplastik kleiner als 1 Millimeter nachgewiesen.[8]
Landbasierte Meeresverschmutzung ist aber nicht nur Müll, auch der Eintrag von Nährstoffen durch die Landwirtschaft ist extrem. Der massive Einsatz von Düngemitteln und Gülle, die von Pflanzen und Boden gar nicht mehr aufgenommen werden können, führt dazu, dass diese Nährstoffe über Kurz oder Lang über die Flüsse oder durch den Wind im Meer landen. Die hohe Zunahme an Nährstoffen löst explosionsartiges Algenwachstum aus, die wiederum extrem viel Sauerstoff benötigen. Tiere und Pflanzen in diesen Schichten sterben zwangsläufig ab, und es entstehen tote Zonen, in denen kein Leben mehr möglich ist. Auch die Ostsee ist von der Bildung solcher toten Zonen betroffen.[9]
Nicht nur unser Eintrag in die Meere ist von Exzess gezeichnet, auch was wir herausnehmen überschreitet die Grenzen der Nachhaltigkeit und Reproduktion um Längen. Unser Überkonsum an Fisch ist mittlerweile so groß, dass wir statistisch gesehen in Deutschland im Jahr 2017 schon ab dem 29. April nur noch importierten Fisch aus anderen Ländern gegessen haben. Eine Studie des WWF zeigt: Von den wissenschaftlich erfassten Fischbeständen gelten 31 % als überfischt und weitere 58 % als maximal befischt.[10] Im Mittelmeer ist laut einer EU-Forschungsgruppe die Überfischung der Bestände auf über 93 % angestiegen.[11] Und dass obwohl zerstörerische Fangpraktiken laut SDG 14 reguliert und Formen von Fischereisubventionen, die zu Überkapazitäten und Überfischung beitragen, verboten werden sollen. Unser Verlangen nach Fisch reduziert nicht nur radikal die weltweiten Fischvorkommen, sondern gefährdet allzu oft Ernährungssicherheit in Ländern des globalen Südens. Laut der entwicklungspolitischen Organisation INKOTA werden 60 % der in der Europäischen Union konsumierten Meerestiere außerhalb Europas gefangen, zum Beispiel in westafrikanischen Küstengewässern. Die EU zahlt dafür Lizenzgebühren. So erhält Mauretanien beispielsweise jährlich über 70 Millionen Euro für diese Fangrechte. Der Wert der Fänge wird jedoch auf 600 Millionen Euro geschätzt. Für die Kleinfischer bleiben immer weniger und nur noch kleine Fische in den Netzen hängen. Ohne diesen Fang fallen die Einkommen ganzer Familien weg, da neben den fischenden Männern Frauen in der Weiterverarbeitung und dem Handel involviert sind.[12] Die hochsubventionierte EU-Fischereiflotte ist somit ein Kernbestandteil der weltweiten Ernährungsunsicherheit. Dabei ist eines der zentralen Elemente der SDG Hungerbekämpfung und im SDG 14 die Sicherstellung des Zugang zu Meeresressourcen und Märkten für KleinfischerInnen festgehalten.
Noch mehr Raubbau an den Meeren
Auf der Meereskonferenz wirbt derweil in der Cafeteria ein Mann, verkleidet in ein komplett aus Mülltüten geschneidertes Kostüm, für eine Fotoaktion zur Verringerung von Plastikmüll. Keiner will so recht, das Kostüm sieht unbequem und schmutzig aus. Jugendliche, die die Konferenz als offizielle Jugenddelegierte begleiten, schicken sich in einer Chatgruppe Bilder von neuen Erfindungen zum Meeresschutz. Eine essbare Plastiktüte aus Kasava, einer Wurzel wie sie auch auf Fidschi gerne gegessen wird. Ein neuer Roboter zum Abfischen der Müllstrudel auf der Hohen See. Biologisch abbaubare Strohhalme. Die unter anderem von der Zoologischen Gesellschaft Londons getragene Initiative #OneLess verteilt kostenlose Stahlflaschen zur Verringerung von Plastikflaschen, nein, nicht recycelt, erfährt man auf Nachfrage. Hinter den Kulissen wollen die USA keinen Text zum Pariser Klimaabkommen in der Abschlusserklärung sehen, Schweden ist empört.
In einem Side Event werben derweil zwei Konzerne für etwas, das wohl die Überschreitung der letzten Grenze der globalen Umweltzerstörung darstellen wird: Tiefseebergbau. Eingeladen haben das Königreich Tonga, ein pazifischer Inselstaat und Mexiko, gemeinsam mit der Internationalen Meeresbodenbehörde und UN DESA. Veranstalter sind auch Nautilus Minerals sowie Tonga Offshore Mining Limited, eine Tochterfirma von Nautilus. Die Unternehmen versprechen riesen Gewinne für Regierungen durch Steuereinnahmen und Lizenzgebühren, die Schaffung hochqualifizierter Jobs (vor allem für Frauen ist man nicht müde zu betonen), und allen voran die Nutzbarmachung natürlicher Ressourcen. Das „Meeresboden-Produktionssystem“ greife auf bestehende Offshoretechnologien aus dem Öl- und Gassektor zurück und kombiniere diese mit den Bergbautechnologien vom Land. „Highly scalable“ steht auf einer ihrer Folien, ihr Geschäftsmodell sei expansionsfähig. Es soll Investoren Effizienz und Profitabilität vermitteln. Die Abbildung zu möglichen Auswirkungen trägt wiederum den kleinen Hinweis „not to scale“ – nicht maßstabsgetreu, sie zeigt die Zeichnung eines Abbauschiffs auf dem Meer, darunter das Meer eingeteilt in drei Schichten, in welcher ganz unten der Abbau stattfindet. Nur in der ersten Schicht direkt an der Oberfläche sind Fische gemalt. Es folgen Bilder von Kindern mit Schulbüchern.
Das als chinesische NGO vorgestellte China Energy Fund Committee darf blumig über eine besondere Vision für die Meere reden. Die mehrmalige Betonung ihres anerkannten ECOSOC-Status als NGO macht misstrauisch, und prompt zeigt die Internetrecherche, dass dahinter der multimilliardenschwere chinesische Energiekonzern CEFC China Energy Co Ltd steckt. Es ist das sechstgrößte private Unternehmen in China, dem unter anderem hochrangige Verbindungen zur Chinas Militärapparat nachgewiesen wurden, tausende Tankstellen in Europa gehören, das zuletzt zahlreiche Öldeals mit Katar, Russland, Chad und Angola unterschrieben hat. Sein Gründer; Ye Jianming, ist Nr. 229 auf der Fortune Global 500. Der Redner im Side Event, Patrick Ho, wird später auch im Plenum sprechen.[13]
Die Veranstaltung ist ein unverschleierter Investoren-Pitch. Nautilus braucht Geld, um an ihren Plänen festhalten zu können, das erste Unternehmen weltweit zu sein, das Mineralien in der Tiefsee abbaut. Immer wieder ist der kanadische Konzern in der Vergangenheit Pleite gegangen, zu umstritten sind die Abbaupläne, zu risikoreich die Investitionen. Immer wieder kommt aber neues Geld. Geht es nach Nautilus, will man 2019 mit dem Abbau im Gebiet Solwara I in Papua-Neuguinea beginnen. Brisant ist dabei nicht nur die Wahl des pazifischen Landes, das durch eine instabile politische Lage und hohe Korruption sowie große Ausbeutung beim Landbergbau geprägt ist. Kontrovers ist auch, dass man mit dem Abbau beginnen will, bevor die internationalen Verhandlungen für Umwelt- und Sozialstandards in der Internationalen Meeresbodenbehörde abgeschlossen sind.
Protest bahnt sich seinen Weg
Was die Veranstalter nicht wissen: Im Publikum sitzen deutsche und pazifische NGO- und KirchenvertreterInnen, die Tiefseebergbau mit aller Vehemenz ablehnen und sich kurz zuvor auf Fidschi zu Strategiesitzungen getroffen haben, um den Abbau in Solwara I zu verhindern. Es ist eine der wenigen Momente der Konferenz, wo man die Gegenstimmen und den Dissens über die Ausgestaltung von Schutz und Nutzung der Meere hört. Wir, die Menschen aus dem Pazifik, lehnen Tiefseebergbau ab, wir wollen nicht wieder Versuchskaninchen für eine Hochrisikotechnologie sein, wie damals bei den Atomtests. Wir, die Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, stehen in Solidarität mit unseren PartnerInnen im Pazifik, wir brauchen die Ressourcen aus der Tiefsee nicht, sondern müssen statt der irreparablen Zerstörung der Tiefsee auf Kreislaufwirtschaft setzen. Nautilus schweigt, die Zivilgesellschaft jubelt. Ein kleiner Sieg.
Einen Tag später, am letzten Konferenztag, werden die pazifischen NGO-Vertreterinnen ein eigenes Side Event veranstalten, bei dem sie ihre Perspektive auf den Tiefseebergbau präsentieren. Es sind viele Zuhörer aus dem Pazifik gekommen, sie fallen durch ihre bunte Kleidung und Muschelschmuck auf, erfrischend auf dieser Konferenz der vornehmlich weißen AnzugträgerInnen. Nicht alle PartnerInnen konnten kommen. Wie auch in anderen Side Events ist die RednerInnen-Liste der späten Anmeldungsbearbeitung durch die UN zum Opfer gefallen, viele KollegInnen und AktivistInnen aus dem Pazifik, auch aus Papua Neuguinea, konnten nicht teilnehmen. Nichtsdestotrotz schafft es das Side Event, als eines der wenigen, echte Gefühle zu erzeugen.
Eine junge Māori der Organisation Te Ikaroa aus Neuseeland berichtet von ihrem Kampf gegen die Ölprobebohrungen vor ihren Küsten, die ihrer Vermutung nach zu den Massenanlandungen von Walen geführt haben. Im Februar 2017 waren über 400 Wale an einem Strand der Landzuge Farewell Spit gestrandet, nur die Hälfte schaffte es mit Hilfe der menschlichen Helfer zurück ins Meer. Sie überreicht einem Vertreter der norwegischen Regierung eine von über 23.000 Menschen unterzeichnete Petition mit der Aufforderung an den norwegischen Erdölkonzern Statoil, sich aus den neuseeländischen Gebieten zurückzuziehen. Kardinal John Ribat aus Papua Neuguinea, einer von nur drei Kardinälen aus dem Pazifik (im Kardinalskollegium sind insgesamt 224), spricht leidenschaftlich von den Aktivitäten gegen Tiefseebergbau in seiner Region. Nach der Meereskonferenz wird er in Rom den Papst treffen und ihm ein von den pazifischen KirchenvertreterInnen unterzeichnetes Schreiben gegen Tiefseebergbau überreichen. Die Stimmung ist gut nach der Veranstaltung. Kritische Gegenstimmen gab es keine, möglicherweise anwesende KonzernvertreterInnen geben sich nicht zu erkennen. Vielleicht sind sie auch gar nicht da. Das Side Event hat um 15:00 Uhr begonnen, um 17:00 Uhr ist die Meereskonferenz beendet, man liegt direkt im Zeitraum der Verabschiedung der Abschlusserklärung. Die USA haben sich mittlerweile darauf eingelassen, dass das Klimaabkommen im Text erwähnt werden darf, die offizielle Formulierung im Text spricht von einer „Anerkennung dessen besonderer Bedeutung“.
Ergebnis, welches Ergebnis?
Mit ihren zahlreichen Promiauftritten, beispielsweise der ehemaligen US-amerikanischen Astronautin Cady Coleman, des Dokumentarfilmer Fabien Cousteau, Enkel des legendären Meeresforschers Jacques Cousteau, und (per Video) Leonardo DiCaprio sowie ihrem Hang zur Dramatik bei der Verhandlung des Abschlussdokumentes hat die UN wieder einmal gezeigt, was international Zusammenarbeit bedeutet. Ein bisschen Beschreibung des Weltuntergangs, ein bisschen Predigen von Lösungen, ein bisschen Entertainment. Vor allem aber ziemlich viel Festhalten am Status Quo.
Vielleicht kann man nicht mehr erwarten, im aktuellen politischen Klima. Vielleicht ist es schon Erfolg, dass Meeresverschmutzung, Meeresversauerung und Überfischung überhaupt von allen Staaten als Problem anerkannt werden. Vielleicht bringt die Registrierung von über 1300 freiwilligen meerespolitischen Projekten auf der ganzen Welt, bei denen Staaten, Organisationen, Wirtschaft oder Individuen ihren Beitrag zum Schutz und der nachhaltigen Nutzung der Meere aufzeigen, doch etwas.
Vielleicht ist das aber auch alles eigentlich ein schreckliches Armutszeugnis, das zeigt, wie wenig die internationale Staatengemeinschaften eigentlich gewillt ist, zu tun. Es reicht eben nicht, den Meeresmüll von der Meeresoberfläche abzusaugen, der Großteil der zersetzten Einzelteilchen ist eh in der Meeressäule, auf den Grund oder in den Bäuchen von Fischen. Es reicht nicht, die Finanzmärkte zu umwerben, doch mehr in erneuerbare Offshore-Energieanlagen zu investieren, seien sie noch so modern und effizient, wenn wir gleichzeitig Rückschritte im Klimaabkommen verzeichnen. Es reicht nicht, Fischereisubventionen zu verdammen, wenn das Europäische Parlament gerade erst neuen Subventionen für die EU-Fangflotte zugestimmt hat. Meerespolitik ist mehr als Meeresschutz einiger weniger Gebiete und der Nutzung des Restes für Konsum- und Produktionswünsche der reichen Schichten des globalen Nordens.
Was bei der Konferenz fehlte, ist die Stimme derer, die es wirklich betrifft. Die KleinfischerInnen und KüstenbewohnerInnen im globalen Süden, die dem Meeresspiegel beim Anstieg zuschauen können, die kaum mehr Fische für ihren Fang haben und deren Küstenzugänge durch Touristenburgen und andere Industrie- und Infrastrukturprojekte versperrt werden. Was fehlte, war ein ehrliches Bekenntnis zu dem, was in den SDG steht: Keine Armut, kein Hunger, keine Ausbeutung der Natur, keine Ungleichheit.
Quellen:
[1] http://enb.iisd.org/download/pdf/enb3205e.pdf, S. 6.
[2] https://www.nabu.de/imperia/md/content/nabude/naturschutz/meeresschutz/nabu-broschuere_muellkippe_meer.pdf
[3] https://www.wissenschaftsjahr.de/2016-17/fileadmin/meere_ozeane/Downloads/160913_Dossier_Plastikmuell_im_Meer.pdf
[4] http://www.umweltbundesamt.de/themen/abfall-ressourcen/produktverantwortung-in-der-abfallwirtschaft/verpackungen
[5] https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/UmweltEnergie/Abfallaufkommen.html
[6] http://www1.wdr.de/wissen/kunststoffmuell-recycling-100.html
[7] https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/meere/meere_mikroplastik_einkaufsfuehrer.pdf
[8] https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/2546/dokumente/uba_factsheet_meeresmuell.pdf
[9] https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/meere/meere_ostseeschutz.pdf
[10] http://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/WWF-Report_Ueberfischt-Unterversorgt_Langfassung.pdf
[11] https://ec.europa.eu/jrc/en/news/saving-our-heritage-worrying-state-mediterranean-fish-stocks
[12] https://www.inkota.de/uploads/tx_ttproducts/datasheet/INKOTA_Infoblatt10_%C3%9Cberfischung.pdf
[13] http://thediplomat.com/2015/09/chinese-propaganda-coming-soon-to-a-conference-near-you/; https://www.nytimes.com/2017/03/29/business/dealbook/china-us-investment-bank-cowen.html?_r=0; http://fortune.com/2016/09/28/cefc-ye-jianming-40-under-40/