Allen Unkenrufen zum Trotz – das Kyoto-Protokoll wird am 16. Februar des kommenden Jahres nun doch in Kraft treten. Auch wenn die Motivation für die russische Ratifizierung wohl kaum primär umweltpolitisch war, hat das von vielen bereits totgesagte Flaggschiff des Rio-Prozesses damit die für das Inkrafttreten nötige Schwelle erreicht. Es scheint aber auch, dass die Auseinandersetzungen um Klimapolitik nun wieder an Schärfe zunehmen. UNICE, der Dachverband der europäischen Industrieverbände, ging Mitte November zum Frontalangriff auf die europäische Klimaschutzpolitik über. Mit einer in Brüssel prä- sentierten »Studie« wurde Klimapolitik in Europa pauschal als zu teuer, wirkungslos und als Gefahr für den »Standort« abgetan und allenfalls in Entwicklungsländern für ökonomisch sinnvoll erklärt. Ökosteuern, Emissionsrechtehandel, Förderung erneuerbarer Energien – alles müsse abgeschafft oder auf freiwillige Basis gestellt werden. Kurz darauf präsentierte BP in Berlin das genaue Gegenteil: Klimaschutz sei eine Ãœberlebensfrage, ein katastrophaler Klimawandel nur durch eine entschlossene Reduzierung der Emissionen aufzuhalten, und BP erkenne gerade als Ölkonzern seine Mitverantwortung für die Abwendung eines gefährlichen Klimawandels an, sehe darin aber auch große wirtschaftliche Chancen und neue Märkte. Offensichtlich hatten die gerade im BDI stark vertretenen Gegner einer ernstzunehmenden Klimapolitik sich bereits in der Annahme zurückgelehnt, das Kyoto-Protokoll habe sich sowieso erledigt. Diese Akteure treten nun wieder verstärkt auf. Wieder einmal übernehmen die Industriedachverbände, die eigentlich alle Branchen vertreten sollten, bruchlos die Interessen der rückständigsten Unternehmen, die bei einem Strukturwandel am meisten tun müssten. Sie disqualifizieren sich damit als ernstzunehmende Gesprächspartner. Wenn selbst Ölkonzerne zu einer aktiven Klimapolitik aufrufen, sind Verbandsfunktionäre nicht mehr glaubwürdig, die darin eine »Gefährdung des Standortes« sehen. Die immer eindringlicher werdenden Warnungen aus der Klimawissenschaft vor den verheerenden Folgen eines »weiter so« zeigen, dass solche Industrievertreter den Standort nicht sichern werden, sondern im Gegenteil weite Teile des Standorts unter Wasser setzen werden. Die NGOs werden also nicht darum herumkommen, die Auseinandersetzung mit den Gegnern von Klimapolitik und damit den Gegnern einer zukunftsfähigen Energie- und Verkehrspolitik ebenfalls schärfer zu führen. Das heisst aber auch, dass wir stärker die wirtschaftlichen Gewinner eines klimapolitisch motivierten Strukturwandels mobilisieren sollten. Dieses Schwerpunktheft zu Bioenergie versucht, die vielfältigen Potentiale der Bioenergie näher zu umreissen. Davon sind die unterschiedlichsten Akteure betroffen: Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Automobilbranche, Ölraffinerien, Papierindustrie usw. – und das längst im globalen Rahmen. Dabei gibt es vielfältige Nutzungskonflikte und jede Menge Möglichkeiten, in alles andere als nachhaltige Fehlentwicklungen zu geraten. Hier müssen frühzeitig die richtigen Weichen gestellt werden. Auch für NGOs eine wahrhaft interdisziplinäre Aufgabe – und für das Forum Umwelt und Entwicklung eine Schwerpunktaufgabe der kommenden Zeit. Das vorliegende Heft gibt darüber einen Ãœberblick.
Jürgen Maier
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