Am 24. Februar begann Russland einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Ukraine. Dieser Krieg bedroht
das Leben von Millionen Menschen in der Ukraine. Weltweit leiden weitere Millionen unter den vielfältigen
Auswirkungen. Und überall trifft es die Armen wie immer am stärksten. Anstatt die sozialen Verwerfungen,
die der Krieg mit sich bringt, mit gezielten politischen Maßnahmen abzufedern, drehen sich die hiesigen
Debatten und politischen Prozesse einmal mehr um wirtschaftliche Interessen. Außerdem herrscht vor
allem im Globalen Norden exklusive Solidarität und eine Doppelmoral. Als erster europäischer Krieg seit
1945 wurde der russische Angriff bezeichnet. Die Kriege in Zypern, Jugoslawien und Tschetschenien werden
ausgeblendet, ebenso wie viele Kriege weltweit. Auch gab es noch keine Verurteilungen des NATO-Partners
Türkei für die ständigen Angriffe auf die kurdischen Gebiete in Nordsyrien und Nordirak.
Nichts davon entschuldigt den russischen Aggressor, es zeigt aber auf, dass die Welt komplexer ist als die
Kategorien Gut und Böse. In diesem Rundbrief haben wir verschiedene Perspektiven auf den Krieg gegen die
Ukraine und seine Folgen gesammelt. Ganz besonders freuen wir uns, dass wir drei ukrainische NGOs und
ihre Perspektive auf den Krieg und das Verhalten der internationalen Staatengemeinschaft in den Rundbrief
integrieren konnten. Zudem freuen wir uns, dass wir mit Nelya Rakhimova auch eine Stimme aus der seit
Jahren unter Druck stehenden russischen Zivilgesellschaft im Rundbrief aufnehmen konnten.
Lena Bassermann und Lena Luig widmen sich der Frage, wie stark die Welternährungskrise ausfallen wird. Diese Krise wird als Rechtfertigung genutzt, um Klima- und Naturschutzziele infrage zu stellen. Dies und die Transformation der Landwirtschaft beleuchtet Lavinia Roveran in ihrem Artikel. Über die Abhängigkeiten der deutschen Industrie von russischen Rohstoffen und die Dringlichkeit, endlich eine wirkliche Rohstoffwende zu beginnen, schreiben jeweils Michael Reckordt und Tschin Ilya Chardayre sowie Josephine Koch. Einen genauen Blick auf unsere Abhängigkeit von fossilen Energieträgern wirft Andy Gheorghiu und zeigt dabei, dass ein Ausbau von LNG-Terminals nicht der Bevölkerung, sondern vor allem der petrochemischen Industrie nutzt. Jürgen Maier zeigt die Schwierigkeiten der multilateralen Politikprozesse unter grundsätzlichen geopolitischen Differenzen auf und was dies für eine globale Umwelt- und Entwicklungspolitik heißt. Aus wissenschaftlicher Perspektive analysiert Dr. Christian von Soest die Effektivität der Sanktionsmaßnahmen gegen Russland, die als Mittel zwischen Worten und einem Eingriff in den Krieg stehen. Auf die Auswirkungen der finanzpolitischen Sanktionen auf die Weltökonomie und die globalen Finanzinstitutionen geht Wolfgang Obenland in seinem Artikel ein. Roberto Bissio erklärt uns, warum viele Länder des Globalen Südens die Sanktionspolitik der USA und Europas nicht mittragen und wie das mit der europäischen Doppelmoral zusammenhängt. Dass der Ukraine-Krieg auch in Deutschland am stärksten die Armen trifft und warum die von der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen zur Entlastung nicht helfen, zeigt Dr. Andreas Aust auf. Dass Krieg ein patriarchales Machtinstrument und damit nicht nur Hindernis, sondern auch Bedrohung für eine globale Geschlechtergerechtigkeit ist, erklärt uns Carsta Neuenroth. Sie erläutert auch, wie feministische Außenpolitik Sicherheit für alle Menschen gewährleisten kann. Prof. Dr. Jürgen Scheffran geht der Frage nach, warum der Ukraine-Krieg eine Zeitenwende markiert und wie die Zivilgesellschaft Teil einer Wende zum nachhaltigen Frieden sein kann. Dass unsere Wahrnehmung und unser Interesse häufig selektiv sind und damit einhergehend auch Berichterstattung selektiv stattfindet, wird in zwei Artikeln thematisiert. Sabine Wilke zieht ein Resümee der globalen Berichterstattung und benennt die vergessenen Krisen unserer Zeit. Axel Grafmanns analysiert den unterschiedlichen Umgang mit Geflüchteten, der sich vor allem je nach Hautfarbe unterscheidet.
In unserem Teil Aktuelles aus dem Forum finden sich gleich mehrere taufrische Berichte internationaler Konferenzen und Verhandlungen. So schreibt Christian Schwarzer über die neuesten Entwicklungen bei der Erarbeitung einer neuen Biodiversitätskonvention. Fabian Flues berichtet über die Abschlussphase der Reformverhandlungen des Energiecharta-Vertrages. Nelly Grotefendt schreibt über die WTO-Konferenz und ein Abschlusspapier, das niemanden zufrieden stellte. 30 Jahre nach der Rio-Konferenz für Nachhaltige Entwicklung zeigt Gerd Oelsner auf, dass die Zivilgesellschaft und die Kommunen maßgebliche Treiber für Nachhaltigkeitspolitik sind. Über Hürden und Möglichkeiten von Sustainable Financing schreibt Magdalena Senn. Zu guter Letzt klärt uns Miriam Stahlhacke über die Ergebnisse des G7-Gipfels auf, der einmal mehr gezeigt hat, dass zivilgesellschaftliche Einflussnahme auf diesen exklusiven Club nicht erwünscht ist.
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Eileen Roth & Tom Kurz
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Schwerpunkt
Droht noch mehr Hunger?
Der Krieg gegen die Ukraine verschärft die globale Preis- und Ernährungskrise. Es braucht koordinierte, strukturelle Antworten.
Lena Bassermann und Lena Luig
Transformation der Landwirtschaft
Langfristige Ernährungssicherheit setzt nachhaltige Landwirtschaft voraus
Lavinia Roveran
Zeitenwende? Rohstoffwende!
Die Neuausrichtung der Rohstoffpolitik als Momentum für nachhaltige Produktion
Tshin Ilya Chardayre und Michael Reckordt
Im Westen nichts Neues
Altbekannte Narrative in einer von Wirtschaftsinteressen geleiteten Rohstoffdebatte
Josephine Koch
Flüssigerdgas für Deutschland
Verschärfung der existenzbedrohenden fossilen Abhängigkeit
Andy Gheorghiu
Perspektive aus der Ukraine:
Ecoclub
Von Blöcken und Blockaden
Multilateralismus in einer gespaltenen Welt
Jürgen Maier
Zwischen Krieg und Worten
Ãœber die Wirksamkeit von internationalen Sanktionen
Dr. Christian von Soest
Zerfallserscheinungen
Die Folgen des Ukraine-Kriegs für die Finanzierung nachhaltiger Entwicklung
Wolfgang Obenland
Der Globale Süden und der Krieg in Europa
Ein unmöglicher Dialog?
Roberto Bissio
Perspektiven aus der Ukraine:
Ecosphere
Inflation und Entlastungspakete in Deutschland
Katalysatoren der sozialen Ungleichheit
Dr. Andreas Aust
Männer kämpfen, Frauen fliehen
Geschlechterrollen im Kontext von Krieg und feministischer Außenpolitik
Carsta Neuenroth
Zeitenwende wohin?
Frieden und Nachhaltigkeit gehören zusammen
Prof. Dr. Jürgen Scheffran
Die russische Zivilgesellschaft im Krieg
Kapitulieren und überleben oder Widerstand leisten bis zum Ende
Dr. Nelya Rakhimova
Aus den Augen, aus dem Sinn?
Sabine Wilke
Schwarz-Weiß-Denken
Empathie und Solidarität in Zeiten des Ukraine-Krieges
Axel Grafmanns
Perspektiven aus der Ukraine:
Ukrainian Nature Conservation Group
Aus dem Forum
Mit volldampf gegen die Wand
Ist die CBD COP15 schon, bevor sie begonnen hat, zum Scheitern verurteilt oder gibt es vielleicht sogar Hoffnung, dass doch noch alles gelingt?
Christian Schwarzer
Versicherung für die Fossilen
Investitionsschutzverträge dürfen den Klimaschutz nicht weiter behindern
Fabian Flues
Neuauflage des WTO-Krimis
Die 12. MinisterInnenkonferenz der Welthandelsorganisation ging hinter verschlossenen Türen zu Ende, ohne Lösungen für globale Herausforderungen anzubieten
Nelly Grotefendt
Rio plus 30: Und sie bewegt sich doch …
Zivilgesellschaft und Kommunen treiben Nachhaltigkeit voran
Gerd Oelsner
Die Grenzen von Sustainable Finance
Wie das Finanzsystem zu einem Hebel für eine nachhaltige Wirtschaft werden kann
Magdalena Senn
Die Stimme der Zivilgesellschaft bei den G7
Wie inklusiv ist der exklusive Club?
Miriam Stahlhacke