Das Jahr 2020 lässt Beobachterinnen und Beobachter der internationalen Politik mit einem Schleudertrauma zurück. Es begann mit Ereignissen, die wirklich nichts Gutes für die Zukunft erwarten ließen. Australien brannte, im Nahen Osten drohte nach der gezielten Tötung des iranischen Generals Soleimani ein erneuter blutiger Konflikt. Am 31. Januar verließ das Vereinigte Königreich nach langem Tauziehen endgültig die Europäische Union, verhandelte aber weiter über die handelspolitischen Folgen. Im Februar und März trat dann die COVID-19-Pandemie offen zu Tage und führte zu den größten ökonomischen und sozialen Verwerfungen seit dem Zweiten Weltkrieg. Die globale Krise brachte aber keineswegs mehr globale Zusammenarbeit. Im Mai traten die Vereinigten Staaten aus der Weltgesundheitsorganisation aus, der sie zu große Nähe zu China unterstellten. Die G20 waren nur eingeschränkt zu effektiven Reaktionen in der Lage, auch bedingt durch den wachsenden Gegensatz zwischen den USA und China, der auch im eskalierenden Handelskrieg zu beobachten war. Dass gerade die internationale Handelspolitik konfliktiv ausgetragen wurde, symbolisiert der Rücktritt des Generaldirektors der Welthandelsorganisation Roberto Azevêdo zum 31. August. Wichtige Umweltkonferenzen, die die Weichen für die Zeit bis mindestens 2030 stellen sollten, wurden verschoben, von den Vertragsstaatenkonferenzen zur Biologischen Vielfalt und zum Schutz des Klimawandels bis zum internationalen Chemikalienmanagement. Am 4. November 2020 trat außerdem der Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen in Kraft. Zum Jahresende hin wurde allerdings deutlich, dass Einigungen zumindest noch dort möglich sind, wo ökonomische Interessen das angezeigt erscheinen lassen. Mitte November verabschiedeten 15 Staaten mit der Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) die größte Freihandelszone der Welt. In den Weihnachtstagen einigten sich zuletzt die EU und das Vereinigte Königreich auf einen Deal über die handelspolitischen Folgen des Brexit. Geradezu euphorisch waren außerdem die Reaktionen auf die Abwahl Donald Trumps, in dem viele ein Signal für eine Krise rechtspopulistischer Bewegungen zu erkennen meinen.
Weil auch uns ganz schwindelig wurde, haben wir für diese Ausgabe des Rundbriefs ausgewiesene ExpertInnen angefragt, uns auf den Stand der Dinge zu bringen. Joseph Purugganan ordnet RCEP für uns ein, Jürgen Knirsch wirft einen Blick auf den Zustand der WTO. Heike Joebges beleuchtet die Folgen der Pandemie für die globalen Lieferketten, Ellen Ehmke für die Entwicklung globaler Ungleichheiten. Oliver Classen bewertet, wie es mit dem Weltwirtschaftsforum weitergehen dürfte, Jürgen Maier die Zukunft der Clubformate G20 und G7. Manuel Montes erklärt die Rolle der Sonderziehungsrechte und Leitwährungen, Nelly Grotefendt den angedachten Carbon Border Adjustment Mechanism der EU. Alessa Hartmann ordnet einen Schiedsspruch zum Handelsabkommen zwischen der EU und Südkorea für uns ein. Max Bank analysiert das EU-Brexit-Abkommen, Alexander Fanta rüttelt am „Goldenen Käfig des Silicon Valley“. Darüber hinaus beschäftigen sich Autorinnen und Autoren mit der Zukunft: Marie-Luise Abshagen gibt einen Ausblick auf das Hochrangige Politische Forum für nachhaltige Entwicklung, Bodo Ellmers auf die Zukunft der Finanzierung nachhaltiger Entwicklung. Ramona Bruck schreibt über den Esel-Gesundheits-Handels-Nexus, Laszlo Maraz über Biomassepolitik, Verena Günther über die Good Food Good Farming-Strategie, Dorothee Saar über eine Klage zum nationalen Luftreinhalteprogramm.
Da sollte doch für alle was dabei sein.
Wir hoffen, damit nicht nur für ein wenig Orientierung in verwirrenden Zeiten zu sorgen, sondern auch, Ihnen neue Erkenntnisse zu vermitteln. Eine wie immer spannende Lektüre wünscht
Wolfgang Obenland
SCHWERPUNKT
Was Regierungen nicht über RCEP verraten
Die Zivilgesellschaft hat ein anderes Verständnis davon, was der Handelsvertrag für beteiligte Länder bedeutet
Joseph Purugganan
Geschichte wird gemacht, aber geht es auch voran?Â
Die Welthandelsorganisation bekommt erstmals eine weibliche afrikanische Spitze
Jürgen Knirsch
Brexit-Deal: Demokratische Kontrolle bleibt auf der Strecke
Verhandlungsweise und Ergebnis unterminieren parlamentarische Kontrolle der Handelsbeziehungen
Max Bank
Verpatzte Feuerprobe für Nachhaltigkeitskapitel
EU unterliegt Südkorea im Streit um Arbeitsrechte
Alessa Hartmann
Klimaneutrales Europa
Was kann ein Kohlenstoffgrenzausgleich leisten?
Nelly Grotefendt
Produktion fragmentiert, Handel garantiert?
Entwicklung globaler Wertschöpfungsketten und Auswirkungen der Covid-19-Pandemie
Heike Joebges
Der Davoser König des „Bluewashing“
Vom Bedeutungsverlust des Weltwirtschaftsforums
Oliver Classen
G7 und G20 vor der Renaissance?
Die Clubs der Reichen und der Großen zwischen Anspruch und Realität
Jürgen Maier
Verhandlungen in aller Stille
Globale Umweltdiplomatie in Zeiten der Pandemie
Wolfgang Obenland
Keine Inseln in einem Meer der Ungleichheit
Die COVID-19 Pandemie vertieft bestehende Ungleichheiten, überwunden werden können sie nur gemeinsam
Ellen Ehmke
Sonderziehungsrechte gegen COVID-19
Schöpfung neuer Geldmittel als Medizin für die Weltgemeinschaft?
Manuel F. Montes
Rütteln am goldenen Käfig des Silicon Valley
Hat das Digitale-Dienste-Gesetzespaket der EU das Potenzial, globale Digitalkonzerne in die Schranken zu weisen?
Alexander Fanta
AKTUELLES
Entwicklungsfinanzierung in Zeiten von COVID-19 und danach
Die Antwort der Vereinten Nationen
Bodo Ellmers
Eine neue Chance fürs UN-Nachhaltigkeitsforum
Das HLPF setzt auf Wiederaufbau
Marie-Luise Abshagen
AUS DEM FORUM
Energiepolitik auf dem Holzweg
Warum der Umstieg auf Holzbiomasse unser Klima nicht retten kann
László Maráz
Sag mir, wo die Esel sind, wo sind sie geblieben …Â
Wie der Artenvielfalt mal wieder das Fell über die Ohren gezogen wird
Ramona Bruck
Luftreinhaltung ist eine Gemeinschaftsaufgabe
Weshalb die Bundesregierung im Kampf gegen hohe Luftbelastung endlich an einem Strang ziehen muss
Dorothee Saar
Hier geht‘s um die Wurst
Finale Entscheidungen in der Reform der europäischen Agrarpolitik
Verena Günther