Recht haben und Recht bekommen sind nicht selten unterschiedliche Dinge. Das gilt auch für den Bereich Umwelt- und Menschenrechte. So weit, so bekannt. Zu den Kernforderungen von NGOs gehört die Schaffung guter gesetzlicher Regularien. Doch was nützen diese Gesetze, wenn sie nicht oder unzureichend durchgesetzt werden?
Ein Beispiel: Die bereits seit 10 Jahren für alle EU-Mitgliedstaaten geltenden Grenzwerte für Luftschadstoffe, die in Deutschland auch 2019 noch immer nicht ausreichend eingehalten werden. Ganz ähnlich sieht es z. B. bei der europäischen Wasserrahmenrichtlinie aus, die schon im Jahr 2000 beschlossen wurde, ohne dass in vielen Staaten entsprechende Maßnahmen getroffen wurden, unser Wasser ausreichend zu schützen. Weitere Fälle, die unsere AutorInnen beschreiben, sind Naturschutzgebiete, die nur auf dem Papier existieren, teilweise katastrophale Verhältnisse bei der Durchsetzung von Steuergesetzen oder gesundheits- und umweltschädliche Chemikalien, wie Glyphosat, die trotz verbindlicher EU-Pestizidverordnung auch in Deutschland im Umlauf sind. Sei es auf internationaler, europäischer oder nationaler Ebene – meist sind nicht die Rechtsakte das Hauptproblem, sondern ihre mangelhafte Anwendung.
Die Gründe? Vielfältig, wie diese Ausgabe zeigt. Zum Teil liegt es an gewollter oder ungewollter Nachlässigkeit und Handwerksfehlern, z. B. wenn Umsetzungsmaßnahmen keinen klaren Zieldefinitionen folgen, Managementpläne fehlen oder gesetzliche Schlupflöcher auftauchen. Häufig haben wir es daneben mit einer gravierenden Unterfinanzierung der ausführenden Stellen, dem Fehlen unabhängiger Kontrollen und wirksamer Sanktionen, der Ignoranz der Behörden oder sogar mit bewussten Verschleppungstaktiken zugunsten der Industrie zu tun. Auch scheint wirtschaftlichen Interessen ein höherer Stellenwert eingeräumt zu werden als Gemeinwohlinteressen, wie wir in diesem Rundbrief wieder einmal lernen. Auf europäischer Ebene versucht sich die Kommission immerhin als „Hüterin der Verträge“. Allein gegen Deutschland sind momentan mehr als 80 Vertragsverletzungsverfahren anhängig, davon der Löwenanteil in den Bereichen Verkehr und Umwelt. Aber das reicht oft nicht, um Natur und Menschen zu schützen.
In den letzten Jahren nutzten daher immer mehr NGOs die Möglichkeit, selbst Klagen gegen staatliche Stellen einzuleiten. Prominentes Beispiel: die Dieselklagen der Deutschen Umwelthilfe, der Streit um das Vogelrastgebiet an der Nordsee oder der vorläufige Rodungsstopp des Hambacher Forsts. Diese Fälle machen klar: NGO-Klagen stellen ein wirkmächtiges Durchsetzungsinstrument und Korrektiv in Ermangelung staatlichen Ordnungswillens dar, aber sie sollten nicht losgelöst von den gesellschaftlichen Kontexten, in die sie eingebettet sind, vollzogen werden. Sie sind, wie in diesem Themenschwerpunkt deutlich wird, oft langwierig, aufwendig und kostspielig. Und sie können von der Realität eingeholt werden, wenn sie z. B. bei großen Infrastrukturprojekten keine aufschiebende Wirkung entfalten, solange das Verfahren läuft.
Die schärfste Waffe entfalten NGO-Klagen möglicherweise im Verbund mit mutigem, zivilgesellschaftlichem Protest und starken politischen Kampagnen. Auf den kommenden Seiten laden wir Sie dazu ein, sich über diese und weitere Fragen ein eigenes Urteil zu bilden.
Josephine Koch
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