Rundbrief II/2016: Gesundheit – Privileg der Reichen oder Grundrecht für alle?

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Rundbrief II/2016: Gesundheit – Privileg der Reichen oder Grundrecht für alle?

 

Die alte Volksweisheit „Gesundheit ist das höchste Gut“ scheint wieder neuen Aufwind in unserer Gesellschaft zu erfahren. Stress und Multitasking sind Begriffe, die uns oft in Verbindung mit der so viel besprochenen Leistungsgesellschaft begegnen – es wird viel körperlicher und geistiger Einsatz gefordert. Anforderungen im Beruf, im politischem Engagement oder im Privaten müssen koordiniert werden und vermeintliche Gesundheitsakteure unserer Gesellschaft propagieren dementsprechende Präventionsmaßnahmen, um Körper, Seele und Geist gesundzuhalten.

 

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Die alte Volksweisheit „Gesundheit ist das höchste Gut“ scheint wieder neuen Aufwind in unserer Gesellschaft zu erfahren. Stress und Multitasking sind Begriffe, die uns oft in Verbindung mit der so viel besprochenen Leistungsgesellschaft begegnen – es wird viel körperlicher und geistiger Einsatz gefordert. Anforderungen im Beruf, im politischem Engagement oder im Privaten müssen koordiniert werden und vermeintliche Gesundheitsakteure unserer Gesellschaft propagieren dementsprechende Präventionsmaßnahmen, um Körper, Seele und Geist gesundzuhalten. Ganze Branchen sind auf den Zug aufgesprungen und predigen den „gesunden Lifestyle“, der aber dabei im Globalen Norden als eine scheinbar individuelle Entscheidung verkauft wird – sei es durch Sport oder durch Ernährung. Dabei ist Gesundheit neben den Produkten und Dienstleistungen der Ernährungs- und Freizeitindustrie auch ein Markt mit einem enormen wirtschaftlichen Wert und Akteuren, die nicht nur aus dem medizinischen Bereich stammen. Gesundheit ist ein hohes Gut, doch wer weiß eigentlich heute noch, wer da wie seine Finger mit drin hat?

 

Denn wie alle Dienstleistungs- und Produktionsbereiche hat auch das Gesundheitswesen längst Anschluss an den Weltmarkt gefunden, und die PatientInnen scheinen als EndnutzerInnen eher zu KundInnen zu mutieren. Aber haben wir als PatientInnen überhaupt die Wahl? Es gibt faktisch keine Entscheidung über „Kaufen oder Nicht-Kaufen“. Entweder sind wir gesund oder nicht – dies hat eben nicht immer nur etwas mit unseren individuellen Entscheidungen wie Ernährung oder Sport zu tun, sondern muss in einem gesamtgesellschaftlichen Rahmen gesehen werden.

 

Mit der Vermarktlichung des Medizinsystems bringen sich auch neue Akteure ein, die sich nur indirekt mit dem Wohl der PatientInnen beschäftigen wollen. Die Vermarktlichung ist für sie in erster Linie eine Chance auf Gewinn. Und das ist nicht erst seit den heiß umstrittenen Freihandelsabkommen TTIP und CETA so, mit denen ein riesiger transatlantischer Markt für Güter und Dienstleistungen winkt. Neben den Pharmaunternehmen, die schon immer international aufgestellt waren, versuchen Krankenhauskonzerne eine Expansion über die jeweiligen Landesgrenzen hinaus, ebenso wie Versicherungsgesellschaften, die national und international neue KundInnen anwerben wollen. Die Liste lässt sich beliebig erweitern.

 

Das ohnehin ungleiche Verhältnis zwischen MedizinerIn und PatientIn gerät somit weiter unter Druck: Wie kann ich als PatientIn wissen, ob ich nach bestem Wissen und Gewissen medizinisch beraten werde, oder doch eher nach den Gewinnaussichten? Ist diese Unterscheidung überhaupt noch akkurat? Doch diese Ausgabe des Rundbriefs widmet sich auch den Schnittstellen zwischen eben diesen Bereichen. In einer globalisierten Welt gehen sie selbstverständlich Hand in Hand. Bei genauerem Hinsehen könnte die vermeintliche Individualisierung eines gesunden Lebens auch darüber hinwegtäuschen wollen, dass das heutige Medizinsystem ein System der Beseitigung der Gesundheitsschäden zu sein scheint, die teils vorher bewusst oder fahrlässig durch den modernen Lebensstil verursacht wurden. Kohleverstromung wäre nur ein Stichwort, konventioneller Autoverkehr ein anderes. Ebenso stellen sich die Grabenkämpfe um die Verteilung von Generika, Impfstoffen und ergänzender medizinischer Behandlung dar.

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