Rundbrief II/2012 – Lost in Translation? Von Siegeln, Labels und Zertifikaten

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Rundbrief II/2012 – Lost in Translation? Von Siegeln, Labels und Zertifikaten

 

Was ist Nachhaltigkeit? Der Begriff ist nicht objektiv, sondern stark von subjektiven Werten geprägt. Seine Definition ist ungefähr genauso klar wie Freiheit, Demokratie oder Wohlstand. Man mag in der Politik damit leben, dass bestimmte Schlüsselbegriffe politisch umstritten sind und daher die Definitionsmacht über sie ein wesentlicher Teil des politischen Wettstreits ist. Aber wer »nachhaltig« hergestellte Produkte verkaufen will, der muss schon genau sagen, was darunter zu verstehen ist, und das auch unabhängig zertifizieren lassen.

 

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Was ist Nachhaltigkeit? Der Begriff ist nicht objektiv, sondern stark von subjektiven Werten geprägt. Seine Definition ist ungefähr genauso klar wie Freiheit, Demokratie oder Wohlstand. Man mag in der Politik damit leben, dass bestimmte Schlüsselbegriffe politisch umstritten sind und daher die Definitionsmacht über sie ein wesentlicher Teil des politischen Wettstreits ist. Aber wer »nachhaltig« hergestellte Produkte verkaufen will, der muss schon genau sagen, was darunter zu verstehen ist, und das auch unabhängig zertifizieren lassen.

 

Spätestens hier fängt dann wieder die politische Auseinandersetzung an. In den letzten Jahren waren eine Reihe von Nachhaltigkeits-Zertifikaten hoch umstritten. Bei jahrzehntelang funktionierenden Systemen wie der Ökolandwirtschaft oder dem FSC führt das zunehmende Mengenvolumen zwar ebenfalls zu zahlreichen Problemen, aber der Vorrat an gemeinsamen Werten der beteiligten Akteure ist immer noch sehr hoch. Anders sieht es aus, wenn ein Nachhaltigkeitszertifikat staatlich vorgeschrieben wird, wie bei Biokraftstoffen, oder wenn Akteure sich an Nachhaltigkeitszertifikaten beteiligen, die bisher eher als Hauptprotagonisten einer nicht-nachhaltigen Produktionsweise aufgefallen sind, wie sie bei Soja, Palmöl oder anderen Cash Crops die Regel sind. In den Medien und unter den NGOs sind diese Zertifizierungssysteme mittlerweile immer schärferer Kritik ausgesetzt. Wenn etwa südamerikanisches Gensoja, dessen Anbau in der EU schlicht illegal ist, ein Nachhaltigkeitszertifikat bekommt, liegt der Greenwashing-Vorwurf nahe. Ob das ein Grundsatzargument gegen solche Zertifikate ist, oder ob lediglich das konkrete RTRS-Soja-System unzureichend ist, ist dagegen eine andere Frage. Im vorliegenden Heft lassen wir eine ganze Reihe von Pro- und Contra-Stimmen zu diesem Thema zu Wort kommen. Dabei geht es nicht nur um die Frage, was von Nachhaltigkeitszertifikaten zu halten ist, sondern auch darum, welche anderen Politikinstrumente letztlich zu einer Regulierung von Weltmärkten wie Soja, Palmöl oder zahlreichen anderen Agrar- und Forstprodukten führen können.

 

Der Rio+20-Gipfel endete erwartungsgemäß mit wenig greifbaren Ergebnissen, aber immerhin hatte er überhaupt Ergebnisse. Das ist bei anderen derartigen internationalen Veranstaltungen keineswegs selbstverständlich. Die Realisten sagen, mehr konnte sowieso nicht herauskommen. Dennoch stellt sich einmal mehr die Frage, was internationale Politik realistischerweise leisten kann bei der Jahrhundertaufgabe, Umweltschutz und Entwicklung unter einen Hut zu bekommen. Die multipolare Welt von 2012 ist kaum noch in der Lage, zu irgendeiner relevanten Frage einen Konsens zu finden. Andererseits können globale Fragen auch nicht mit ausschließlich nationaler oder regionaler Politik gelöst werden. Es geht nun darum, einen realistischen Mittelweg zu finden und weder überzogenen und unrealistischen Erwartungen an internationale Politik nachzulaufen noch die politische Gestaltung einer globalisierten Welt aufzugeben. Diese Debatte wird in nächster Zeit ein zentrales Thema dieses Rundbriefs sein.

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