März 2017
Französisches Gesetz macht Furore – als mögliche Vorlage für EU-weite Regelungen
Keine Frage: Der Druck auf die Europäische Kommission und andere relevante Akteure, beim Thema Unternehmen und Menschenrechte zu verbindlichen Regelungen zu kommen und nicht länger nur auf Freiwilligkeit zu setzen, wächst. Bei einer Veranstaltung zum Thema Menschenrechte und Unternehmen im Europäischen Parlament in Brüssel fand Ignazio Corrao, italienischer Europa-Abgeordneter der Fraktion „Europa der Freiheit und der direkten Demokratie“ (EFDD) dazu deutliche Worte: „Das ist längst erklärter Wille des Europäischen Parlaments – der einzigen EU-Institution neben Kommission und Rat, die vom Volk gewählt ist.“ Corrao ist auch Berichterstatter eines Reports zur Verantwortung von Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen in Nicht-EU-Staaten, der der Kommission im vergangenen Juli vorgelegt wurde. Darauf, so Corrao, habe man allerdings von der Kommission, „und zwar weder von der Generaldirektion Handel noch von irgendeiner anderen Generaldirektion“ eine Antwort erhalten. Corrao: „Wir finden, die Kommission muss nun endlich auf den Willen der Bürger hören, und wir erwarten konkretes Handeln.“
Das gab es kürzlich immerhin auf nationaler Ebene: Ende Februar war, als erstes Land in Europa, Frankreich mit einem neuen Gesetz vorgeprescht: das Gesetz über unternehmerische Sorgfaltspflichten („Loi relative au devoir de vigilance des sociétés mères et des entreprises donneuses d’ordre“). Es verpflichtet große französische Unternehmen dazu, Menschenrechts- und Umweltrisiken zu identifizieren, ihnen vorzubeugen und öffentlich Rechenschaft über die getroffenen Maßnahmen abzulegen. Außer der Abkehr von freiwilligen Verhaltenskodizes der Unternehmen ist an dem Gesetz auch neu, dass es nicht nur die Unternehmen, sondern auch Tochtergesellschaften und unabhängige Zuliefererbetriebe mit in die Pflicht nimmt. Zur Erinnerung: Vor vier Jahren stürzte in Bangladesh das Rana-Plaza-Gebäude ein; mehr als 1.100 Menschen kamen ums Leben, hauptsächlich Arbeiterinnen aus Textilfabriken, die für europäische Modekonzerne produzierten, darunter die beiden französischen Einzelhandelsketten Auchan und Carrefour. Ein Grund waren unzureichende Sicherheits- und Arbeitsbedingungen vor Ort. Nach der neuen französischen Gesetzeslage könnten in Zukunft Carrefour und andere für solche Menschenrechtsverstöße in Haftung genommen werden, sofern sie angemessene Sorgfaltsmaßnahmen („due diligence“) im Vorfeld unterlassen haben.
Von der europäischen Zivilgesellschaft, darunter Organisationen wie amnesty international und Oxfam, wird das französische Gesetz als Meilenstein gefeiert – auch wenn ursprünglich vorgesehene Bußgelder von 10 bis 30 Millionen Euro für die Unternehmen bei Zuwiderhandlung und Nicht-Beachtung der Sorgfaltspflicht vom französischen Verfassungsrat inzwischen wieder gestrichen wurden. Das Gesetz sei dennoch „stark und effektiv“ befand Professor Nicolas Cusacq, Experte für Privatrecht an der Universität Paris-Ost, bei der Debatte in Brüssel. Die EU müsse sich ebenfalls darüber klar werden, dass Code of Conducts und andere freiwillige Selbstverpflichtungen der multinationalen Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechten, ökologischen und sozialen Standards in und vor allem auch außerhalb Europas nicht mehr ausreichen. Dem pflichtet Danielle Auroi bei, Abgeordnete der französischen Nationalversammlung und Vorsitzende des Ausschusses für Europäische Angelegenheiten. „Unternehmen sagen immer, dass sie wunderbar sind und tolle Dinge tun. Aber ohne ein Minimum an Gesetzen werden die Menschenrechte doch nicht respektiert“, so Auroi.
Nun komme es also darauf an, Druck auf die Europäische Kommission auszuüben, um ähnliche Regelungen europaweit, das heißt auch in den übrigen EU-Mitgliedstaaten umzusetzen. Jérome Chaplier von der European Coalition für Corporate Justice ist zuversichtlich, dass das französische Gesetz dazu den entscheidenden Anstoß gibt. „Viele Veränderungen in der EU sind dadurch entstanden, dass einer vorangegangen ist“, so Chaplier. So sei auch die EU-Direktive zur nicht-finanziellen Berichterstattung für Unternehmen erst nach jahrelangen Debatten in 2014 verabschiedet worden – unter anderem weil Frankreich und Dänemark zuvor ähnliche Regulierungen erlassen hatten.
Dominique Poitier, sozialistischer Abgeordneter der französischen Nationalversammlung und ebenfalls bei der Debatte in Brüssel vertreten, wies daraufhin, dass strengere Gesetze auch immer „zu etwas Neuem“ führen könnten. „Denken Sie an die einstige Diskussion um Arbeits- und Unfallschutzgesetze“, so Poitier, „da sagten die Unternehmen auch, es ist das Ende der Welt. Stattdessen wurden neue, nachhaltige Strategien zur Risikovorbeugung entwickelt. So kann es jetzt auch mit der Risiko-Erkennung und Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden sein.“
Pedro Ortún, Vertreter der Generaldirektion Unternehmen und Industrie bei der Europäischen Kommission zeigte sich am Ende dieses Vormittags und nach Vorbringen aller Argumente gesprächsbereit: „Die Kommission will ja auch die Einhaltung von Menschenrechten durch die Unternehmen einfordern. Da haben wir doch alle das gleiche Ziel.“ Und das, so Ortún, seien „nicht nur schöne Worte“. Viel mehr sei „schon Einiges passiert“, wie zum Beispiel die kürzlich beschlossene EU-Regulierung zu Konfliktmineralien. Der Europa-Abgeordnete Corrao blieb allerdings, zumindest an diesem Tag, noch skeptisch: „Ich will erstmal konkrete Aktionen sehen.“
Wie hoch die Bereitschaft dazu ist, könnte sich schon in der ersten April-Woche zeigen. Dann nämlich wird das EU-Parlament in Straßburg unter anderem über nachhaltiges Palmöl und die Vermeidung von Abholzung diskutieren. Auch Regelungen zur besseren Nachverfolgung („Traceability“) von Rohstoffen in Lebensmitteln stehen auf der Agenda – zum Beispiel um, wie beim Thema Kakao, Handel und Verkauf von Produkten aus Kinderarbeit zu vermeiden.
Von Monika Hoegen, entwicklungspolitische Fachjournalistin Köln/Brüssel
www.monika-hoegen.de