1 Du bist damals bewusst nicht zum Gipfel gefahren? Warum?
Ich war damals verantwortlich für die Vorbereitung eines der beiden Alternativgipfel zum Münchner G7-Gipfel im Juli 1992, man nannte diese Veranstaltungen damals noch „Weltwirtschaftsgipfel“. Ehrlich gesagt, ich fand den „Weltwirtschaftsgipfel“ wichtiger als die Rio-Konferenz – die Vorstellung, dass die Regierungen der Welt sich einstimmig auf etwas Sinnvolles einigen würden, fand ich relativ utopisch.
2 Die globalen Herausforderungen von 1992 und heute haben sich eigentlich kaum geändert. Wenn du dir die damaligen NGO-Forderungen auf der Konferenz anschaust: Welche sind noch immer aktuell und welche würdest du als Zivilgesellschaft heute nicht mehr unterstützen? Waren unsere Forderungen damals radikaler als heute? Sind wir heute zu sehr angepasst?
Unsere Forderungen waren damals auf jeden Fall viel grundsätzlicher als heute, meinetwegen auch radikaler. In der Schlusserklärung der internationalen NGOs in Rio vom 14.Juni 1992 heißt es: „Wir weisen energisch zurück, dass das Konzept der „nachhaltigen Entwicklung“ auf eine rein ökonomische Kategorie reduziert wird, beschränkt auf neue Technologien und untergeordnet jedem neuen Produkt auf den Märkten. Dies zu erlauben, heißt die kontinuierliche Reproduktion struktureller Armut und strukturellen Reichtums zu verewigen, die aus dem von uns abgelehnten herrschenden Modell der Zivilisation resultiert.“  Oder „Wir verurteilen die Tatsache, dass die großen transnationalen Unternehmen im Zusammenspiel mit vielen Regierungen und öffentlichen internationalen Institutionen als ein Machtfaktor oberhalb der Nationen konstituieren und sich als Vorreiter nachhaltiger Entwicklung aufspielen.“
Genau das machen heute sehr viele NGOs selber – und finden das völlig normal. Green Economy, grünes Wachstum, Partnerschaften mit Konzernen – die Illusion, als könne man im Wesentlichen so weiter machen wie bisher ist heute stärker als 1992. So gesehen waren wir 1992 schlauer als heute.
3 Nun arbeitest du aber doch seit 25 Jahren an dem Thema Nachhaltige Entwicklung. Unter anderem hat sich das Forum Umwelt und Entwicklung einige Monate später gegründet. Von der Agenda21 spricht allerdings mittlerweile niemand mehr, die UN hat 2015 lieber neue Ziele – die SDG – verabschiedet. Woran liegt es, dass Dinge wie der Klimawandel heute mehr als noch vor 25 Jahren im Bewusstsein der Staatengemeinschaft angekommen ist, jährliche Klimakonferenzen abgehalten werden und sich dennoch so wenig ändert? Sind wir Menschen einfach zu blöd?
Ob „wir Menschen einfach zu blöd“ sind, weiß ich nicht. Aber wie schon 1992 glaube ich bis heute nicht, dass wir die Welt per Konsensbeschluss aller Regierungen verändern werden. Die Welt ist noch nie im Konsens verändert worden, immer im Dissens, und zwar meist von Minderheiten. Fortschritte im Klimaschutz wurden auch nicht erzielt, weil die Regierungen der Welt sie einstimmig beschlossen hätten. Sie wurden erzielt, weil in Deutschland das Erneuerbare-Energien-Gesetz gegen die fossile Lobby durchgesetzt wurde, weil in China schärfere Luftreinhaltebestimmungen durchgesetzt und Kohlekraftwerke stillgelegt wurden, weil in den USA immer mehr Stromerzeuger auf Windkraft setzen und so weiter – wenn man dafür jedes Mal gewartet hätte, bis die ganze Welt so etwas einstimmig beschließt, hätten wir nichts erreicht. Der Sinn der SDG ist auch nicht, dass die Regierungen der Welt jetzt wie in einer Planwirtschaft bis 2030 in Fünfjahresplänen sich an die Planerfüllung machen, sondern dass Bürgerbewegungen und Zivilgesellschaft damit mehr Druck auf die Regierungen ausüben können, ihre eigenen Zusagen umzusetzen. Jede einzelne Maßnahme ist eine politische Auseinandersetzung, die durchgefochten und gewonnen werden muss, aber auch verloren werden kann. Ob wir das schaffen, ist eine andere Frage – hätten die Regierungen die Agenda 21 nach 1992 umgesetzt, bräuchten wir gar keine SDGs.
Jürgen Maier ist seit 1996 Geschäftsführer des Forums Umwelt und Entwicklung.