Überblick über den Gipfel
Die Regierungen sind sich bewusst, dass zur Umsetzung der Agenda 2030 dringend weiterreichende Schritte nötig sind, als die bisher gegangenen. Das bestätigen die Staats- und Regierungschefs, darunter Angela Merkel, auch in der Gipfelerklärung, die am 25. September in New York verabschiedet werden wird. Darin sagen Sie unter anderem, es brauche ein höheres Ambitionsniveau in der Mittel-Akquise, ein besseres Investitionsklima. Ebenso versichern sie, man wolle die nicht-finanziellen Mittel zur SDG-Umsetzung stärken, bspw. durch die Stärkung des WTO-Systems.
Am 26. September, also nur einen Tag nach dem SDG-Gipfel, findet in New York der sog. High-level Dialogue on Financing for Development statt. Dieses Dialogforum – das das jährlich tagende Financing for Development Forum ergänzt – ist der Ort, an dem über die finanziellen und nicht-finanziellen Mittel zur Umsetzung der Agenda 2030 beraten wird. Leider wird das Dialogforum genau das sein, was der Titel andeutet: Ein Forum für intellektuellen und politischen Austausch ohne greifbare oder der Größe der Probleme angemessene Ergebnisse.
https://www.un.org/esa/ffd/wp-content/uploads/2019/09/2019HLD_detailed-programme.pdf
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Analyse
Das Problem ist, dass das Dialogforum keine Beschlüsse fassen wird. Und dass die besprochenen Rezepte nicht dazu geeignet sind, die nötige Transformation unserer Finanz-, Produktions- und Konsummuster zu unterstützen. Wie das Kaninchen vor der Schlange sitzen die Staatenvertreter/innen – aus dem globalen Norden primär aus Entwicklungs- aus dem globalen Süden aus Finanz- und Planungsministerien – vor einer Aufgabe, von der sie (teilweise zu Recht) annehmen, sie könnten sie nicht meistern. Denn die Schätzungen darüber, was an zusätzlichen Finanzmitteln für die Agenda 2030 nötig sein wird, gehen in die Billionen pro Jahr.
Anstatt nun aber die Ärmel hochzukrempeln und auch Finanzierungssysteme zu transformieren, setzen die Regierunen auf alte Rezepte, die aber auch nur halbherzig angegangen werden:
Sie wollen Investitionen subventionieren und öffentlich-private Partnerschaften eingehen, obwohl bekannt ist, dass diese Partnerschaften oft teurer werden und schlechtere Ergebnisse bringen, als die normale öffentliche Vertragsvergabe und Beschaffung [vgl. https://eurodad.org/HistoryRePPPeated].
Sie wollen öffentliche Mittel einsetzen, um private zu „hebeln“. Diese Vermischung öffentlicher und privater Mittel führt aber ggf. zu Fehlallokationen, weil private Investoren auf Renditen und Sicherheit bedacht sein müssen. [vgl. https://www.stampoutpoverty.org/b2t/]
Sie wollen nachhaltige Investitionen stärken, bspw. in Form von Green- oder SDG-Bonds (Schuldverschreibungen), trauen sich aber nicht gesetzlich festzulegen, was Kriterien dafür sein könnten [vgl. https://www.2030agenda.de/en/publication/highjacking-sdgs].
Und am schlimmsten: Alle diese Maßnahmen greifen nachweisbar zu kurz, und werden bestenfalls zu geringe Beiträge bringen, schlechtesten Falls sogar schädlich sein im Sinne der Nachhaltigkeitsagenda.
Dabei gibt es viele Gangbare Wege, mit denen nicht nur Nachhaltigkeitsziele verwirklicht, Schäden verhindert, sondern gleichzeitig gewaltige Mittel freigemacht werden könnten. Beispiele finden sich schnell:
- Der Tabakkonsum vom Anbau bis zu Gesundheitsfolgekosten verursacht ca. 1,5 Billionen Dollar ökonomische Kosten pro Jahr [https://tobaccocontrol.bmj.com/content/27/1/58].
- Ein Aufhalten der Bodendegradation würde Kosten von bis zu 10% des jährlichen, globalen BIP vermeiden [https://www.ipbes.net/system/tdf/ipbes_7_10_add-1-_advance_0.pdf].
- Die globalen Subventionen für fossile Energieträger belaufen sich auf 345 Mrd. Dollar und verursachen Kosten in Höhe von bis zu 5 Billionen [ebd.].
- Allein die Bekannten Fälle von Investor-Staat-Klagen im Rahmen von Investitionsabkommen belaufen sich auf fast 88 Mrd. Dollar. Das entspricht dem Bruttoinlandsprodukt der 45 ärmsten Wirtschaften der Welt im Jahr 2017 zusammen [https://corporateeurope.org/sites/default/files/2019-06/Red%20Carpet%20Courts_1.pdf]!
- Mit Blei belastete Farbe verursacht allein in Niedrig- und Mitteleinkommensländern Gesundheitskosten und wirtschaftlichen Schäden i.H.v. nahezu 1 Billion Dollar [https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3764081/].
- Durch Steuervermeidung verlieren die Entwicklungsländer allein zwischen 100 und 200 Mrd. Dollar an Steuereinnahmen, von den wirtschaftlich zugrundeliegenden Finanzabflüsse ganz zu schweigen [https://www.bundestag.de/resource/blob/564376/d598166091d2ba55ae1767ea578a5314/WD-4-032-18-pdf-data.pdf].
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Forderungen
Es gibt also mehr als einen Ansatz für Politik, nicht nur Geld zu sparen oder einzunehmen, sondern zugleich sogar neue Einnahmequellen für soziale Investitionen zu generieren. Hinzu kommt eine Reihe von möglichen institutionellen Reformen, die aber – man muss das so deutlich sagen – bisher u.a. von der Bundesregierung blockiert werden:
- Eine stärkere internationale Zusammenarbeit in Steuerfragen bedarf eines tatsächlich alle Länder – egal welcher Größe bzw. welchen wirtschaftlichen Niveaus, was bedeutet, dass wir über die Clubformate wie G20 oder OECD hinausgehen müssen. Hier blockiert die Bundesregierung seit 5 Jahren [https://library.fes.de/pdf-files/iez/12958.pdf].
- Wir brauchen ein Staatsinsolvenzverfahren auf Ebene der Vereinten Nationen. Auch hier die Bundesregierung in der Vergangenheit Ansätze im Kontext der Vereinten Nationen behindert [https://eurodad.org/debt?tab=1].
- Wir brauchen Regeln für nachhaltiges Investment. Während es hier Ansätze auf europäischer Ebene gibt, zieren sich die Koalitionspartner im Bundestag noch dafür, verbindliche Kriterien dafür festzulegen, was eine Investition in Nachhaltigkeit im ökologischen, sozialen und ökonomischen Sinne darstellt, und ob sie ggf. gefördert gehört [https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2018/kw45-pa-parlamentarischer-beirat-575416].
- Wir brauchen – und das hat die Diskussion über das EU-MERCOSUR-Abkommen gerade wieder verdeutlicht – ein Handelssystem, das nicht Unternehmen vor gesetzlichen Maßnahmen zum Umweltschutz und Sozialstandards schützt, sondern Sozial-Ökologische und vor allem menschenrechtliche Sorgfaltspflichten in Lieferketten jenseits grüner Knöpfe stärkt.
Auf allen diesen Feldern hätte die Bundesregierung und hätte die Staatengemeinschaft voranschreiten können. Stattdessen fallen Problembeschreibung und Lösungsvorschläge zwischen Klima- und SDG-Gipfel auf der einen und Finanzierungsforum auf der anderen Seite meilenweit auseinander.
Stand 11. September 2019 | Von Wolfgang Obenland (Global Policy Forum)