November, 2017
In Brüssel bereiteten sich die EU und ihre afrikanischen Partner auf ihr Treffen in Abidjan vor
Die Ziele sind ehrgeizig: Ein Gipfel, der „anders ist, als andere“, soll es werden – einer, der „nicht nur schöne Worte, sondern handfeste Ergebnisse“ bringt. Darin zumindest waren sich alle RednerInnen in Brüssel einig. Nur wenige Tage vor dem fünften Gipfeltreffen zwischen der Afrikanischen und der Europäischen Union am 29. und 30. November in Abidjan, Hauptstadt der Elfenbeinküste, waren zahlreiche PräsidentInnen und hochrangige PolitikerInnen aus beiden Kontinenten auf Einladung des EU-Parlamentes schon mal zu einer Art Generalprobe zusammengekommen. Entschieden wurde da naturgemäß noch nichts, nur eben soviel, in Abidjan tatsächlich zu Entscheidungen, einem „neuen Ausgangspunkt“ und einer wirklichen „Partnerschaft auf Augenhöhe“ zu kommen. Das, so wurde in Brüssel eingeräumt, sei in der Vergangenheit nicht immer der Fall gewesen. Im Gegenteil: Die mittlerweise seit zehn Jahren existierende strategische Partnerschaft zwischen Afrika und der EU (Joint Africa EU Strategy, JAES) habe „mancherlei Enttäuschungen“ mit sich gebracht.
„Wir müssen Afrika endlich durch die afrikanische Brille anschauen“, sagte Antonio Tajani, Präsident des Europäischen Parlamentes, der sich im Übrigen „höchst vergnügt“ über das große Interesse an dem Vortreffen in der EU-Hauptstadt zeigte und darüber, „diesen Plenarsaal so voll zu sehen.“ „Wir brauchen eine neue Beziehung zueinander, bevor es zu spät ist“, so Tajani weiter. Denn immer mehr junge Leute aus Afrika machten sich auf den gefährlichen, illegalen Weg ins vermeintliche Schlaraffenland Europa – mit oft tödlichen Folgen. Tajani: „Wir wollen dem Menschenhandel durch Schlepperbanden und dem Tod durch Ertrinken nicht länger zusehen.“ Neben verbesserten legalen Möglichkeiten der Einwanderung, gelte es daher vor allem, wirtschaftliche und berufliche Perspektiven für junge AfrikanerInnen in ihren Heimatländern zu schaffen.
Noch sieht es damit düster aus: Afrika, insbesondere Sub-Sahara-Afrika ist von den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals, SDGs), noch weit entfernt. Nur etwa 30 Prozent der Bevölkerung haben sicheren Zugang zu Elektrizität, fünf Prozent zu einer Internetverbindung. Jedes fünfte Kind geht nicht zur Schule. Und zudem zieht Afrika mit seinem Image als unsicherer Kontinent nur wenige ausländische InvestorInnen an. All das müsse sich ändern, auch und gerade mit Blick auf die junge Generation, so hieß es unisono in Brüssel. „Wir müssen den Jugendlichen in die Augen sehen und sie als gleichwertige Partner behandeln“, befand etwa Malis Außenminister, Abdoulaye Diop. Denn: „Wenn wir uns nicht um die Jugend kümmern, kann sie zu einer Bedrohung werden.“ Es sei gefährlich, wenn junge Menschen in Afrika das Gefühl hätten, „sie können in ihrer Heimat niemals ihre Träume verwirklichen“, befand auch der amtierende Präsident der krisengeschüttelten Zentralafrikanischen Union, Faustin-Archange Touadera.
Investitionen in die Jugend für eine nachhaltige Zukunft (“Investing in youth for a sustainable future”) ist denn auch das Motto des fünften Afrika-EU-Gipfels in Abidjan. Dazu liegen unter anderem Vorschläge für ein erweitertes Erasmus-Programm, das auch AfrikanerInnen ein Studium in Europa ermöglicht, sowie für weitere Ausbildungsinitiativen auf dem Tisch. Der Privatwirtschaft wird als Akteur ebenfalls eine wichtige Rolle eingeräumt. Touadera begründet das so: „Der Staat hat nicht genügend Mittel, um die ungeduldigen Forderungen der Bevölkerung zu erfüllen.“ Dabei wollen alle Beteiligten die Bemühungen um die afrikanische Jugend nicht nur als ein zusätzliches Thema verstanden wissen – sondern als zentralen Bestandteil von Friedens-, Wirtschafts- und Handelpolitik zwischen beiden Kontinenten generell. Denn ohne Lebens- und berufliche Perspektiven für die Jugend, so die Ãœberzeugung, gibt es keine Sicherheit, keine Lösung in der Flüchtlingsfrage und keine demokratische und wirtschaftliche Entwicklung auf dem schwarzen Kontinent. Dafür spricht die demographische Entwicklung in Afrika: Die Bevölkerung wächst rapide an, von derzeit 1,1 Milliarden auf mehr als das Doppelte, nämlich schätzungsweise 2,4 Milliarden im Jahr 2050. 20 Millionen neue Arbeitsplätze müssten daher jährlich in Afrika entstehen, rechnete EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger vor. Bislang seien es jedoch nur vier bis fünf Millionen. Mit neuen Instrumenten, wie dem External Investment Plan, wolle die EU jedoch privates Investment als zusätzliches Mittel zur öffentlichen bilateralen und multilateralen Entwicklungshilfe (Official Development Aid, ODA) massiv anschieben.
Dass ein „qualitativer Wandel in der Entwicklungsagenda“ nötig sei, betonte auch Werner Hoyer, Präsident der Europäischen Investment Bank, EIB. Die EIB stehe „zur Verfügung, wo sie gebraucht wird und mit ihrem Mandat helfen kann.“ Kampf dem Menschenhandel, Engagement des Privatsektors, Arbeitsplätze für kleine und mittelständische Betriebe, Ausbau Erneuerbarer Energien und digitaler Netze – all das nannte auch Frederica Mogherini, die Außen- und Sicherheitsbeauftragte der EU, als wichtige Eckpunkte für die künftige Partnerschaft mit Afrika. Und auch sie betonte die Andersartigkeit des bevorstehenden Gipfels: „Die Zeiten einer Geber-Nehmer-Beziehung zwischen uns und Afrika sind vorbei.“
Ob es auf dem Gipfel in ein paar Tagen tatsächlich gelingen wird, diesen Paradigmenwechsel zu konkretisieren, bleibt abzuwarten. Denn die Probleme sind immens. Kriegerische Auseinandersetzungen und massive Sicherheitsprobleme in der Sahel-Zone, sklavenartige Bedingungen für MigrantInnen in Libyen und Verletzung der Menschenrechte in Flüchtlingscamps, illegale und auch ganz legale Steuervermeidung der Großkonzerne, zu Lasten der Sozial- und Gesundheitssysteme in armen afrikanischen Ländern – all das sind schwierige Themen, die auf dem Gipfel zur Sprache kommen werden.
Hinzu kommt die wiederholt heftig kritisierte Handelspolitik der EU gegenüber Afrika – allen voran die Freihandelsabkommen (Economic Partnership Agreements, EPAs). „Über all die Jahre hinweg ist bei BeobachterInnen der EPA-Verhandlungen der Eindruck entstanden, die EU verhandle zu Gunsten ihrer eigenen Agenda“, heißt es in einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Bedenken afrikanischer Länder würden nicht berücksichtigt, der marktliberale Ansatz komme, wenn überhaupt, nur wenigen und dann auch nicht den ärmsten Ländern zugute. Einigen BeobachterInnen zufolge herrsche vor dem Gipfel in Abidjan in Wahrheit ein Klima von „Misstrauen, Abneigung und tief sitzender Frustration“ zwischen der EU und ihren afrikanischen Partnern, so die FES-Studie. In Abidjan müsse sich zeigen, ob es den von vielen afrikanischen PolitikerInnen und der Zivilgesellschaft geforderten „Raum für Anpassungen“ der EPAs zu Gunsten der AfrikanerInnen wirklich gibt.
Tatsächlich hatte sich der Afrikabeauftragte von Kanzlerin Merkel, Günter Nooke, bereits im Frühjahr dieses Jahres skeptisch zum bevorstehenden Gipfel in Abidjan geäußert, ihn gar als „gefährdet“ angesehen. Dabei hatte er auch die EPAs scharf kritisiert. Es handele sich dabei „weder um Abkommen, noch um Partnerschaften“, wird Nooke vom Medium euractiv zitiert. Trotz allem dürften die Koffer der meisten europäischen und afrikanischen Staats- und Regierungschefs sowie der ihrer maßgeblichen MinisterInnen für Abidjan inzwischen gepackt sein. Wer tatsächlich zum Gipfel kommt, dürfte für die künftige Ausrichtung der EU-Afrika Partnerschaft nicht ganz unerheblich sein. Beim Vortreffen in Brüssel war von EU- Entwicklungskommissar Neven Mimica jedenfalls nichts zu hören und zu sehen.
Monika Hoegen, entwicklungspolitische Fachjournalistin, Brüssel
www.monika-hoegen.de