Juni 2017
Die 11. European Development Days in Brüssel: Viel Schönes und manchmal auch Konkretes
Das jedenfalls war wohltuend – nämlich, in Brüssel auf eine internationale Gemeinschaft zu treffen, die sich unzweifelhaft gegen die Trumps und anderen twitternden Populisten unserer Zeit stellte und eindeutig dafür aussprach, die Verantwortung für eine globale nachhaltige Entwicklung in Nord und Süd gemeinsam zu tragen. Vom Präsidenten Senegals, Macky Sall („Afrika steht fest zum Paris-Abkommen“) über David Arthur Granger aus Guyana („kleine Küsten- und Insel-Staaten sind besonders betroffen“) bis hin zu Norwegens Ministerpräsidentin Erna Solberg, zugleich Mit-Vorsitzende der UN Advocates für die Sustainable Development Goals: die internationale Polit-Prominenz bekannte sich noch einmal eindeutig zum Kampf gegen den Klimawandel und dazu, an den entsprechenden internationalen Abkommen festzuhalten – unabhängig vom Verhalten der USA.
Keine Frage: Nachdem die „European Development Days“ noch vor einigen Jahren ein wenig an Aufmerksamkeit verloren hatten, hat ihre Bedeutung inzwischen wieder angezogen – was bei der 11. Ausgabe der Konferenz auf dem Brüsseler Thurn und Taxis Gelände deutlich zu merken war. Und so kam es fast schon zu einem Overkill an Themen, Austausch-Möglichkeiten und Meetings – darunter neben den rund 120 offiziellen High-Level und kleineren Lab-Events während der zwei Konferenz-Tage auch noch zahlreiche Einzelkonferenzen wie die World Reconstruction Conference, das EU-Africa Business Forum ein spezielles „Young Leader“ Treffen und vieles mehr.
Schöne Schlagworte contra Realpolitik
Geblieben ist, insbesondere auf den High-Level Panels zum Eröffnungstag im großen Auditorium, die in der entwicklungspolitischen Szene übliche Tendenz zu vielen schönen Schlagworten – in diesem Jahr vor allem die mit P: People, Planet, Partnership, Prosperity und Peace. Nicht immer wurde dabei so ganz deutlich, wie das alles konkret durchgesetzt werden kann – angesichts der großen Kluft, die zwischen der globalen 2030 Agenda der Vereinten Nationen mit ihren komplexen, für die ganze Welt geltenden Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals, SDGs) und der allseits herrschenden Realpolitik mit Rückfall in den Populismus, Kriegsgetöse, Nationalismus, Abschottung und Terror besteht.
Dennoch gab es auch deutliche Worte – zum Beispiel zum Thema Gender Equality und dazu insbesondere von IWF-Chefin Christine Lagarde. Wenn die globale Geschlechter-Ungleichheit um nur zehn Prozent reduziert würde, so rechnete Lagarde beim Opening-Event vor, könne das weltweite Wirtschaftswachstum um zwei Prozent gesteigert werden. Gender-Gerechtigkeit und mehr echte Chancen für Frauen (darunter auch eine deutliche Steigerung ihrer Beteiligung in Parlamenten) sei daher keineswegs „nice to have“ und irgendwie ein Randthema, sondern zentral für die globale, makro-ökonomische Entwicklung und den Kampf gegen weltweite Armut. Derzeit liegt der „global gap“, also die Ungleichheits-Kluft zwischen Mann und Frau, nach Angaben von Lagarde bei rund sechs Prozent. Um all das zu ändern, ist die Bildung von Mädchen, zum Beispiel in Ländern wie Bangladesh und Kambodscha, von zentraler Bedeutung, so Lagarde. Ihr abschließendes Fazit: „Women have to be on the map“ – Frauen müssen überall auf der Weltkarte sichtbar sein.
Geschlechter-Gerechtigkeit als zentrales Thema
Auch die stellvertretende Generalsekretärin der Vereinten Nationen, Amina J Mohammed, wies auf die zentrale Bedeutung hin, die die Unterstützung von Mädchen, insbesondere auch traumatisierten Mädchen in Konfliktgebieten hat. Hier müsse mehr finanzielle Unterstützung für Programme zur mentalen Gesundheit und neue Zukunftsperspektiven geleistet werden. Desweiteren wurden auf der Konferenz immer wieder junge Menschen und Flüchtlinge als die Gruppen genannt, die es vorrangig zu unterstützen gilt, wenn das Motto der European Developmeent Days: Investment, Innovation und Job Promotion Wirklichkeit werden soll.
Für all das und um die SDGs umzusetzen, so Amina J Mohammed weiter, gebe es allerdings auch in Europa noch viel zu tun.
Feierlicher Akt: der neue europäische Konsens für Entwicklung
Als ein erster Schritt dazu wurde gleich zu Konferenz-Beginn feierlich der „New European Consensus on Development“ unterzeichnet – oder „durchgewunken“, wie der sozialdemokratische Europa-Parlamentarier Norbert Neuser, zuvor Berichterstatter im Entwicklungsausschuss zu dem Thema, es formulierte. Denn im Vorfeld war das Reformpapier für den Konsensus, der bereits seit 2005 besteht, keineswegs unumstritten. Das Papier verspricht mehr Politik-Kohärenz, eine stärkere Rolle der Zivilgesellschaft bei der Gestaltung von Entwicklung und „Joint Programming“ – sprich eine bessere gemeinsame Planung von Entwicklungspolitiken und –projekten der Geberländer untereinander. Doch ob es wirklich zum Paradigmenwechsel kommt und der neue Konsensus den Ärmsten der Armen hilft, da haben Parlamentarier wie Neuser und viele Nichtregierungsorganisationen ihre Zweifel. Die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten seien sich beim Thema Entwicklungspolitik keineswegs einig und verfolgten unterschiedliche nationale Interessen, lautet die Kritik. Zudem würden Entwicklungshilfegelder statt zur Bekämpfung der globalen Armut zunehmend zur Abschottung gegen Migration und Flüchtlinge und zum Teil auch für militärische Einsätze genutzt. Von derlei Kritik war – naturgemäß – beim Festakt zur Unterzeichnung des Neuen Konsens weniger zu hören.
Konkretes im Global Village
Konkreter wurde es dann schon abseits der großen Podien, etwa im „Global Village“ mit seinen 76 Ständen verschiedenster entwicklungspolitischer Organisationen und einem breiten Potpourri zielgerichteter Einzelprojekte in den Ländern des Südens – darunter Initiativen zum nachhaltigen Kakao-Anbau oder neuen Gemüse-Anpflanzungsmethoden in Afrika, aber auch zahlreiche Projekte zur Armutsbekämpfung, Bildung und sozialer Gerechtigkeit. Konkrete Einzelfragen wurden auch in den zahlreichen „Lab-Debates“ besprochen – etwa der Mehrwert von „Public Expertise“ und „Institutional Twinning“ – also dem Experten-Austausch zwischen Beamten und Verwaltungsmitarbeitern von Geber- und Partnerländern gegenüber dem Einsatz von freien Consultants. Oder auch Themen wie Green Business, attraktive Landwirtschaft für die junge Generation, Abfallmanagement in den Städten oder Möglichkeiten zur Eingliederung von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt. So stellte zum Beispiel Ikea Schweiz sein Arbeitsprogramm für Flüchtlinge vor – „das wir trotz Kritik von mancher Seite nach dem Motto: „Bei uns gibt es auch Arbeitslose“ durchgeführt haben“, wie Unternehmensvertreter Lorenz Isler ausführte. „Es wäre gut, wenn andere Firmen dieser Größenordnung Ähnliches machen würden.“
Was alle – Privatwirtschaft, Politik, Zivilgesellschaft und zum Beispiel auch Akteure wie die Kommunen – zur konkreten Umsetzung der zurzeit allgegenwärtigen SDGs tun werden, nun, wo die vielen schönen bunten Stände und Podien auf dem Brüsseler Thurn und Taxis Gelände wieder abgebaut sind, wird man sehen. Etwas Hoffnung, dass eine bessere Welt trotz der gegenwärtigen realpolitischen Lage doch noch möglich ist, haben die 11. European Development Days jedenfalls vermittelt.
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Monika Hoegen, entwicklungspolitische Fachjournalistin, Brüssel
www.monika-hoegen.de