Juni 2017
Die Portugiesen holen ihre Textilindustrie zurück an die heimische Küste
Es ist etwas in diesen Tagen eher Seltenes, nämlich eine erstaunliche Erfolgsgeschichte: Portugal gelang es, als eines der ersten europäischen Länder, seine Textilproduktion weitgehend aus China zurückzuholen. Und seither boomt der Sektor. Das jedenfalls ist die stolze Bilanz der Initiative „Fashion from Portugal“, die sich im Brüsseler Presse Club vorstellte.
Seit 2005 war die Branche in Portugal um 30 Prozent geschrumpft, stellte Paulo Vaz, Generaldirektor des portugiesischen Textil- und Bekleidungsverbandes, ATP, fest, der 500 Unternehmen umfasst. Doch der Trend konnte nach und nach umgekehrt werden – die heimische Textilindustrie wuchs erneut um 8 Prozent. Seit 2016 sind wieder 11.000 Unternehmen in dem Land auf der Iberischen Halbinsel angesiedelt. „Wir wollen nicht weiter von Europa weglaufen“, sagte auch Fernando Marino, Direktor für Innovation bei der ERT Group, die Textilien für die Automobil-Industrie herstellt. Und: „Der China-Traum ist vorbei.“ Tatsächlich hatte der Exodus der Branche seit 2011 zu erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Land geführt. Portugal musste 79 Milliarden Euro von internationalen Finanzinstitutionen als Kredit beantragen, um eine Staatsinsolvenz zu verhindern, heißt es in einer Mitteilung des Verbandes ATP.
„Ausgeklügelte Strategie“
Heute stehe die Textilindustrie wieder für 10 Prozent der nationalen Exporte, 3 Prozent des Bruttosozialproduktes und 20 Prozent der Jobs, die die produzierende Industrie insgesamt zu vergeben hat. Das alles sei möglich gewesen, dank einer „ausgeklügelten Strategie“ und durch die Unterstützung seitens der EU, so ATP-Direktor Paulo Vaz. So wurde das Programm „Fashion for Portugal“ im März 2016 initiert – unter anderem ko-finanziert vom Europäischen Struktur- und Investment-Fonds. Auch setzten die Unternehmen jetzt eher auf Diversifizierung ihrer Produkte: es sei heimische Qualität und Spezialisierung gefragt, anstelle von Massenproduktion. Durch dieses bessere, hochwertigere und zielgerichtete Angebot könnten auch höhere Produktionskosten kompensiert werden. „Der Konsument wendet sich ebenfalls ab von Massenprodukten“ und schätze die räumliche und logistische Nähe der Betriebe, bestätigt auch Manuel Torres, Direktor für Verkauf und Geschäftsentwicklung beim Unterwäsche-Hersteller Impetus Portugal.
Trotz allen Erfolges, sei „natürlich nicht alles perfekt“, räumt allerdings ATP-Direktor Vaz ein. Die Produktivität sei noch vergleichsweise gering und weiterhin müsse man mit den niedrigen Lohnkosten in Entwicklungs- und Schwellenländern konkurrieren. Die portugiesische Textilindustrie werde sich aber in den kommenden Jahren immer besser auf diese Herausforderungen einstellen. „Qualität statt Kostensenkung“, sei dabei die Devise, so Vaz. Gleichzeitig werde man die Unternehmen darin unterstützen, ihre Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit, die Nutzung personeller Ressourcen, Management und Sichtbarkeit am Markt zu verbessern. Ein kommendes Thema seien dabei „Textilien gegen Malaria“ – eine technische Neuentwicklung, die gegen die Tropenkrankheit schützen soll, abseits von Moskito-Netzen und Sprays.
Unklare Sachlage: Lieferketten-Standards
Ein wenig schwierig wird es schließlich beim Nachweis darüber, ob denn nun wirklich alle in Portugal fertig produzierten Textilien auch den in Europa immer mehr geforderten ökologischen und sozialen Standards entlang der gesamten Lieferkette entsprechen – und zum Beispiel Kinderarbeit durch verbleibende Zulieferer aus Entwicklungsländern komplett auszuschließen ist. „Wir halten uns an alle Regeln“, erklärte Vaz in Brüssel auf Nachfrage nur lapidar, ohne auf nähere Details einzugehen. Manuel Torres von Impetus räumte jedoch ein, dass wir „natürlich noch Zulieferungen haben“ und auf jeden Fall „weiter auf saubere Standards hinarbeiten“ müssen.
Zwei Dinge jedoch stellten die portugiesischen Textilvertreter in Brüssel unmissverständlich klar: „Fashion from Portugal“ soll weiter gepuscht und als Qualitätsmerkmal im gesamten europäischen Raum wahrgenommen werden. Und: An transatlantischen Handelsabkommen komme man als Voraussetzung dafür nicht vorbei. „Wir hoffen, dass die Verhandlungen zu TTIP wieder eröffnet werden“, so ATP-Direktor Vaz. „Das würde uns fünf Millionen Euro mehr in vier Jahren bringen.“ Bleibt die Frage: Ein realistischer Wunsch derzeit?
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Monika Hoegen, entwicklungspolitische Fachjournalistin, Brüssel
www.monika-hoegen.de