Stellungnahme von Jürgen Maier, Geschäftsführer des Forums Umwelt & Entwicklung im Rahmen des öffentlichen Fachgesprächs im Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit im Deutschen Bundestag zum Thema „4 Jahre Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung – Fazit und Ausblick”, Berlin 26. Juni 2019
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Am 13. Juni haben 135 Organisationen eine Zivilgesellschaftliche Erklärung zur deutschen Nachhaltigkeitspolitik an Kanzleramtsminister Helge Braun übergeben, die Ihnen vorliegt. Unter dem Titel „Genug herausgeredet: Höhenangst überwinden!“ haben wir dort abgrundtiefe Lücken in der Nachhaltigkeitspolitik konstatiert – würde die ganz Welt so leben wie Deutschland, bräuchten wir 3 Planeten. Und wir haben konstatiert, dass der erhoffte Weckruf durch die Verabschiedung der Agenda 2030 bisher nahezu ungehört verhallt ist.
Was bedeutet die Großaufgabe der UN-Nachhaltigkeitsziele für Deutschland? Dass ein Exportweltmeister einen ziemlich großen ökologischen Fußabdruck hat, kann eigentlich nicht verwundern. Für so etwas gibt es einen interessanten Maßstab, nämlich den sogenannten „Erdüberlastungstag“. Es ist der Tag, an dem wir im Kalenderjahr die regenerierbaren natürlichen Ressourcen aufgebraucht haben und auf Pump leben, Raubbau betreiben. Für die ganze Welt liegt er inzwischen am 2.August, für Deutschland bereits am 2.Mai. Vor 50 Jahren lag dieser Termin noch Ende November.
Ein Weiter-So ruiniert unseren Planten
Schon diese einfache Tatsache zeigt, dass wir in den letzten Jahrzehnten seit der Rio-Konferenz 1992 nicht wirklich viel vorangekommen sind auf dem Weg zur Nachhaltigkeit. Ich will dazu einfach einige Fakten aufzählen, die aufzeigen, wo wir stehen und warum ein Weiter-So die Erde ruiniert.
Noch immer hat Deutschland einen Pro-Kopf-CO2-Ausstoß von ca. 10 Tonnen pro Person und Jahr – nachhaltig wäre etwa ein Fünftel bis ein Viertel davon. Die Deutschen verbrauchen 16,2 Tonnen Rohstoffe pro Kopf und Jahr, das sind 44 kg am Tag, Tendenz steigend – doppelt so viel wie der Welt-Durchschnitt. Dieses Verbrauchsmuster setzen wir mit der Energiewende, den Elektroautos, der Digitalisierung und all den HiTec-Infrastrukturen nahtlos fort: von der Weltproduktion von Lithium von knapp 200 000 Tonnen geht ein Fünftel nach Europa, das Meiste nach Deutschland. Unser Müllaufkommen liegt bei über 220 kg pro Kopf und Jahr, Tendenz auch steigend, vor 10 Jahren waren es noch 190 kg. Wir mögen Europameister in der Mülltrennung sein, aber leider sind wir auch Europameister in der Müllproduktion: niemand produziert so viel Müll wie wir. Wir sammeln auch viel Altpapier, mehr als andere Länder, aber wir verbrauchen auch mehr Papier als andere. Merkwürdigerweise liegt Frankreich konstant bei etwa 60% des deutschen Papierverbrauchs. Wenn er steigt, steigt er in beiden Ländern, wenn er sinkt auch – aber warum die Franzosen bei einem doch recht ähnlichen Lebensstil mit 60% unseres Papierverbrauchs klarkommen, also mit 140 statt 252 kg pro Kopf und Jahr konnte mir noch niemand erklären.
Fast 4,5 Millionen Tonnen Soja importiert Deutschland für seine Massentierhaltung, und dafür brauchen wir fast 3 Millionen Hektar Fläche im Ausland, mehr als die Hälfte davon in Brasilien. Das war mal Regenwald. Nur deshalb schaffen wir es, 6 Millionen Tonnen Milchprodukte und fast 6 Millionen Tonnen Fleisch in alle Welt zu exportieren, meist zu sehr günstigen Preisen. Zu günstig für viele Bauern woanders, zu niedrig auch für immer mehr deutsche und europäische Bauern. Die deutsche Agrarwirtschaft ist mit ihren Billig-Exporten nicht nur ein Riesenproblem für Kleinbauern in Afrika, wo sie längst eine Migrationsursache geworden ist.
Nach jahrzehntelangem Verstoß gegen die EU-Nitratrichtlinie werden wohl jetzt bald Strafzahlungen fällig, weil unser weit überzogener Tierbestand eine Problemlösung überhaupt nicht zulässt: 27 Mio. Schweine, 12 Mio. Rinder, 164 Mio. Hühner. Der Inlands-Fleischverbrauch sinkt inzwischen, die Produktion nicht: es wird eben mehr exportiert. Auch die Billig-Mentalität wird zunehmend exportiert.
Aber es geht nicht nur um die Tierhaltung. Noch ein paar Zahlen mehr: Deutschland importiert jährlich 1 Mio. Tonnen Palmöl, das zur Hälfte für Energiezwecke genutzt, also einfach verbrannt wird. Für die Produktion dieses Palmöls sind abermals große Flächen im Ausland nötig, etwa 300 000 Hektar meistens frühere Regenwaldfläche in Südostasien. Von unserem Holzverbrauch von 250 Mio. Kubikmetern importieren wir die Hälfte. Sie sehen: schon wieder hoher Flächenverbrauch im Ausland. Was wir mit dem Holz machen, ist zu weiten Teilen alles andere als nachhaltig: zum Beispiel werden in Deutschland Jahr für Jahr 90 Mio. Paletten verbraucht, die allermeisten davon – Einweg.
Wir beklagen die Überfischung der Meere, und eine nennenswerte Fischereiflotte haben wir nicht mehr. Aber wir sind einer der wichtigsten Märkte für Fisch: 1,15 Millionen Tonnen ist der Jahresverbrauch, 14,4 kg pro Kopf. Nachhaltig wäre noch nicht mal die Hälfte davon.
Man könnte noch viele weitere solche Zahlen aufzählen, etwa über den Verkehr und die Autoindustrie, die gehören zu den ganz großen Problembereichen deutscher Nachhaltigkeitspolitik. Man könnte anführen, dass das deutsche Schienennetz in den letzten 25 Jahren 40k auf 33k km verkleinert wurde, aber die Straßen allein seit 2010 von 645k auf 830k ausgebaut wurden. Sie sehen: bei näherem Hinsehen bleibt vom Nachhaltigkeitsvorreiter Deutschland nicht viel übrig, in letzter Zeit erlahmt sogar der Ehrgeiz etwas zu tun, immer stärker wird Deutschland zum Bremser. Wir zehren von den Erfolgen der Vergangenheit.
Deutschland: Noch Meilenweit von Nachhaltigkeit entfernt                 Â
Der neue SDG-Bericht der Bertelsmann-Stiftung und des Sustainable Development Solutions Network (SDSN) hat Deutschland bescheinigt, dass wir in keinem einzigen Nachhaltigkeitsziel in der Nähe der Zielerreichung sind, sondern dass in allen 17 noch größere Herausforderungen zu meistern sind, und nur in 6 Zielen überhaupt die Richtung stimmt. Das Fazit: „wir werden die Nachhaltigkeitsagenda verfehlen, wenn wir politisch in zentralen Bereichen nicht umsteuern”. Letzte Woche haben bei einer Nachhaltigkeitskonferenz des BMU und des BMZ die Minister Schulze und Müller beide erklärt, es sei jetzt endlich Zeit zu handeln, es sei genug geredet. Ja, das sagen wir auch. Minister Müller setzte noch dazu, die Entscheidungsträger wüssten seit vielen Jahren was zu tun sei, sie würden es aber einfach nicht umsetzen. Ich würde ihm da nicht widersprechen.