Vortrag von Jürgen Maier, Forum Umwelt & Entwicklung, auf dem Europäischen Kongress der Bau- und Holzarbeitergewerkschaften, Chisinau/Moldawien.
14. November 2019
Herzlichen Dank für die Einladung, ich freue mich sehr hier zu sprechen. Coen van der Veen hat mir gesagt, ich solle etwas Unmögliches machen, nämlich über den Strukturwandel, die „Just Transition“ sprechen, über den sozial gerechten Übergang in eine klima- und umweltverträgliche Wirtschaft. Er meinte, er kenne keine erfolgreichen Beispiele dafür, vielleicht kenne ich sie ja.
Nun, es ist in der Tat schwer, dafür Beispiele zu finden. Aber ich glaube, das liegt auch daran, dass die „Just Transition“ eine viel größere Aufgabe ist, als sie meistens diskutiert wird. Wenn Deutschland in den nächsten 15 Jahren aus der Kohle aussteigt, geht es dabei nicht nur darum, den 20.000 Kohlearbeitern eine neue Perspektive zu geben. Nein, es geht um uns alle. Der Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise, jenseits des Dogmas vom ewigen Wachstum, innerhalb er natürlichen Grenzen des Planeten Erde wird uns alle betreffen. Wir haben sowieso keine Wahl, früher oder später müssen wir diesen Übergang machen, ob wir wollen oder nicht. Die Frage ist nur, wie.
Nach 40 Jahren neoliberaler Revolution, dem Rollback des Sozialstaats, der Selbstbereicherung der Reichen, der Schwächung der Gewerkschaften, der Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse –  geht es um mehr als nur um einen sozialverträglichen Strukturwandel in einigen Branchen wie der Kohle. Es geht um einen grundsätzlichen Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik, und den müssen wir politisch gegen massive Widerstände durchsetzen. Arbeiterbewegung und Umweltbewegung müssen hier an einem Strang ziehen.
Weltweite Bewegung gegen das neoliberale Wirtschaftssystem
Wenn wir über diese Transformation sprechen, sprechen wir nicht über eine akademische Übung. Wir haben es hier mit einer Frage der Macht zu tun. Wenn wir uns heute auf der Erde umsehen, sehen wir, dass es bereits im Gange ist. Das heutige neoliberale Wirtschaftssystem ist kaputt, es funktioniert nur noch für die oberen zehn Prozent. Schauen wir uns auf dem Globus um, es gibt wütende Proteste überall. In Chile, Ecuador, Libanon, Irak, Frankreich, Hongkong, Uruguay, Argentinien und so weiter protestieren, ja rebellieren die Menschen gegen ein Wirtschaftssystem, in dem sie keine Perspektive mehr sehen, gegen Unterdrückung, gegen korrupte Eliten. Gleichzeitig haben wir die weltweite Fridays for Future-Bewegung, junge Menschen die gegen die Zerstörung ihrer Zukunft, unserer Lebensgrundlagen durch ein klimazerstörendes Wirtschaftssystem auf die Straße gehen, seit über einem Jahr. Wir sehen Proteste neuer Akteure wie Extinction Rebellion auf den Straßen von London, Berlin, New York und anderswo.
Passen diese Bewegungen zusammen? Haben sie eine Perspektive, vielleicht sogar eine gemeinsame Perspektive? Man kann sie abtun, so wie es das politische Establishment tut. Das ist alles sowas wie Frankreichs Gelbwesten. Sie sind wahlweise rechtsradikal, linksradikal, antidemokratisch. Die Fridays for Future kann man abtun als gutsituierte Mittelschichtenkinder. Alles das kann man so machen, wenn man den Status Quo retten will. Teile und herrsche, nannten schon die römischen Kaiser diese Methode. Ich sage, es gehört zusammen. Wir müssen es zusammenbringen. Nur so können wir etwas ändern, den Neoliberalismus und die massiven Interessen der fossilen Industrien überwinden.
Green New Deal –das Ende des Neoliberalismus?
In Amerika haben progressive Politiker für diese Aufgabe den Vorschlag gemacht, einen „Green New Deal“ zu machen. Im Wesentlichen geht es um ein massives öffentliches Investitionsprogramm für die Energiewende hin zu 100 Prozent Erneuerbaren Energien, Energiesparen vor allem durch Gebäudesanierung, für eine Ökologisierung der Landwirtschaft, massiven Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel und anderer Zukunftsinfrastrukturen. Dass alles gekoppelt mit einer Beschäftigungsgarantie und breiten Lohnsteigerungen im Niedriglohnsektor. Es ist naiv zu glauben, so etwas bekommt man, wenn man vor allem auf die Kräfte des Marktes setzt. Dafür brauchen wir einen aktiven Staat, der in die Wirtschaft eingreift. Der Green New Deal soll die Nutzung der fossilen Energien beenden, aber auch den Neoliberalismus. Natürlich werden für eine solche umfassende Umgestaltung der Wirtschaft jede Menge Arbeitskräfte benötigt, und das bedeutet es wird mehr neue Arbeitsplätze geben als alte verloren gehen. Das ist der Unterschied zu einem Strukturwandel, der ungeplant vonstattengeht und wie wir in jeden Tag erleben. Es geht nicht darum, ein reines Umweltprogramm aufzulegen, oder den Neoliberalismus klimafreundlicher zu machen, oder um den Umbau einer einzelnen Wirtschaftsbranche, etwa des Energiesektors, sondern es geht um den Umbau der gesamten Wirtschaft – um sie gleichzeitig nachhaltiger und sozial gerechter zu machen. Denn das sind die beiden Kernaufgaben unserer Zeit.
Wer will ernsthaft behaupten, mit einem stetig wachsenden Niedriglohnsektor, einer ständig wachsenden sogenannten Plattformökonomie mit keinerlei sozialer Sicherheit für die Pseudo-Selbständige, mit einem Kasino-Kapitalismus können wir die Mammutaufgabe einer klimaneutralen Wirtschaft bewältigen? Das ist ausgeschlossen. Diese neoliberale Wirtschaft kann nur eines: die Reichen reicher machen. Dafür wurde sie erfunden. Mehr kann sie nicht. Genau das brauchen wir nicht. Wir brauchen einen Staat, der aktiv in die Wirtschaft eingreift, um diese Transformation voranzubringen.
Wer soll das bezahlen?
Und jetzt kommt natürlich sofort die Frage, wer soll das alles bezahlen. Eine Frage, die sich das Establishment immer nur stellt, wenn es um unsere Ideen geht. Wenn es darum geht, mit riesigen Milliardensummen Banken zu retten, ist immer Geld da. Wenn es darum geht, die Unternehmenssteuern noch weiter zu senken, dafür ist immer Geld da. Die Europäische Zentralbank (EZB) und andere Zentralbanken schaffen heute jeden Tag Milliarden aus dem Nichts, sie nennen es „quantitative Lockerung“ und finanzieren damit alles Mögliche: Staatsschulden, Unternehmensanleihen und so weiter. Nur nichts Zukunftsweisendes. Wo landet denn dieses Geld am Ende? Im Endeffekt machen sie damit nur diejenigen noch reicher, die ohnehin reich sind. Für Steuersenkungen für Konzerne ist auch immer Geld da. Lassen wir uns nicht einreden, die Rettung der Welt und der sozialen Demokratie sei zu teuer.
Die Anleihenkaufprogramme der EZB seit 2009 haben öffentliche und private Unternehmensanleihen gekauft für die schwindelerregende Summe von 2.6 Billionen Euro, das sind 2.600 Milliarden Euro. Noch mehr haben die USA gemacht. Was genau damit gekauft wurde, wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass eben nicht nur Staatsanleihen gekauft wurden, sondern auch Anleihen großer Konzerne. Bayer konnte so seine Monsanto-Übernahme mitfinanzieren. Geld ist offensichtlich genug da, es wird praktisch gedruckt. Es wird Zeit, dass damit etwas Sinnvolleres gemacht wird.
Geredet wird über die berühmte „sozial-ökologische Transformation“, über die Nachhaltigkeit, über „Klimagerechtigkeit“, über „just transition“ viel. In der politischen Praxis reduziert sich schnell auf reine Klima- und Umweltpolitik. Auch die neue EU-Kommission will jetzt einen „European Green Deal“, damit soll die EU bis 2050 klimaneutral werden. Auch das ist ein fast reines Programm für Klimaneutralität, durchaus ambitioniert, und es soll lediglich einen „Just Transition Fonds“ geben, der betroffene Regionen unterstützen soll, wer auch immer das Geld dann am Ende bekommen wird. Der neoliberale Kern der EU-Wirtschaftspolitik wird aber nicht angetastet.
Die amerikanische Diskussion, vorangetrieben von Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez, ist hier viel weiter als wir in Europa. Es ist keine Überraschung, dass solche Ideen und Visionen heute aus den USA zu uns nach Europa kommen. Dort ist der Handlungsdruck noch viel grösser als in Europa. Nirgendwo wachsen progressive Bewegungen heute schneller als in den USA, und Arbeiter- und Umweltbewegung lassen sich dort nicht mehr gegeneinander ausspielen.
Zivilgesellschaft am Zug
Machen wir uns nichts vor: wir werden das, worum es beim Green New Deal geht, den Übergang zu einer nachhaltigen und klimaneutralen Wirtschaft und die Wiederherstellung einer sozial gerechten Marktwirtschaft, nicht bekommen, weil tolle Politiker es uns schenken. Wir müssen es uns selbst erkämpfen. Nur starke Bewegungen für Umwelt und soziale Gerechtigkeit werden das durchsetzen können. Die Umweltbewegung muss das lernen, die Arbeiterbewegung auch. Natürlich sind die Widerstände enorm.
Wir müssen auch ehrlich sein: Der Green New Deal ist keine der neumodischen „win-win“-Veranstaltungen, wo es angeblich nur Gewinner gibt. So etwas ist eine Illusion. Nein, es gibt dabei Verlierer, und das sind genau diejenigen, die in den letzten 40 Jahren den Neoliberalismus durchgeboxt haben, und die in dieser Zeit reicher geworden sind auf Kosten anderer.
Aber die Zeiten sind heute anders: die Menschen erleben die Folgen dieser Politik konkret, immer mehr Menschen stellen fest, dass sie die Verlierer dieser Politik sind. Und deshalb wehren sie sich, sie wollen diese Politik nicht mehr. Der Legitimitätsverlust dieser Politik ist so eklatant, dass er die Demokratie insgesamt gefährdet, wenn die Regierungen unbeirrt am Neoliberalismus festhalten und immer noch mehr Globalisierung und Deregulierung vorantreiben. Die globale Konkurrenz aller gegen alle ist ein Irrweg, aber die Regierungen wollen das mit immer noch mehr Freihandelsabkommen nach wie vor. Die Menschen wollen das nicht mehr. Wir brauchen nicht eine Reihe kleiner Korrekturen, wir brauchen einen Neuanfang. Die Gesellschaft ist hier längst viel weiter als die politischen Parteien. Sie suchen nach einer neuen Orientierung, und wenn wir, die Arbeiterbewegung, die Umweltbewegung, die progressive Zivilgesellschaft sie nicht geben, dann tun es andere.
Ein Green New Deal ist die notwendige Transformation zu einer sozial gerechten, ökologisch verträglichen Wirtschaft. Es ist die zentrale Herausforderung der nächsten Jahre und Jahrzehnte – aber sie ist kein Hexenwerk. Im Grunde wissen wir doch alle längst, was getan werden muss. Wir haben kein Erkenntnisdefizit, wir haben ein Umsetzungsdefizit. Die Kosten dafür müssen von denjenigen bezahlt werden, die in 40 Jahren Neoliberalismus reicher geworden sind, und nicht von denen, die in 40 Jahren Neoliberalismus ärmer geworden sind. Nein, es geht nicht darum, uns alle gleichmäßig zu belasten. Der Green New Deal kann, und er muss auseinanderdriftende Gesellschaften wieder zusammenbringen, sowohl politisch als auch ökonomisch. Es ist eine große Aufgabe, aber „nichts auf der Welt ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist“.
Herzlichen Dank.