Forderungskatalog zu einem Umgang mit der Krise in Weltverantwortung Das Auftreten von BSE-Fällen in Deutschland hat eine große Verunsicherung bei den Verbrauchern und -innen bewirkt, unsere Agrarmethoden und Agrarpolitik in eine Krise gestürzt und eine grundsätzliche Diskussion über die erforderliche Neuorientierung von Agrarwirtschaft und Verbraucherpolitik ausgelöst. Das Forum Umwelt und Entwicklung, AG Landwirtschaft und Ernährung, macht mit den nachstehenden Schlußfolgerungen auf eine vernachlässigte Dimension der europäischen BSE-Auseinandersetzung aufmerksam: die entwicklungspolitischen Konsequenzen. Wir sind besorgt darüber, dass mit dem Export von Risikomaterial und dem teilweisen Zusammenbruch der Rindfleischmärkte internationaler Schaden angerichtet wurde, und dass die Lösungsansätze im Alleingang – ohne große Rücksicht auf die armen Länder, die stark betoffen sind – entwickelt werden. Zusammenfassung der Forderungen:
- Für die EU-Exporte dürfen keine anderen Standards gelten als für die Inverkehrbringung innerhalb der EU.
- Kurzfristige Maßnahmen der Überschussbeseitigung sind nur akzeptabel, wenn sie mit mittel- und langfristigen Konzepten zur Überschußvermeidung und Produktionsdrosslung einhergehen.
- Die BSE-Krisenbewältigung darf zu keinen neuen, unnötigen Importbeschränkungen führen.
- Der Ersatz des jetzt verbotenen Tiermehls durch Sojaimporte und die Nachfrageverschiebung von Rindfleisch hin zu Schweine- und Geflügelfleisch darf nicht zu einer Verschärfung der sozialen und ökologischen Probleme in den Herkunftsländern der Ölsaaten führen. Zudem soll der Selbstversorgungsgrad an Eiweißfuttermitteln in der EU gesteigert werden, um Kreisläufe wieder lokal zu schließen.
- Die LDC, die in ihrer Wohlfahrt wesentlich von Rindfleischexporten abhängig sind, dürfen auf Grund der BSE-Krise nicht in Zahlungsschwierigkeiten kommen.
- Minimumstandards bei Verbraucherschutz und BSE-Vorsorge müssen multilateral festgelegt und dürfen nicht als technisches Handelshemmnis mißbraucht werden. Aufwendige Standards müssen nicht unbedingt weltweit gelten; ein differenziertes Vorgehen ist angebracht.
- Die angekündigte “Agrarwende” in Deutschland als Lehre aus der BSE-Krise (und anderen Skandalen) soll den Trend zur weiteren Industrialisierung korrigieren und Landwirtschaft und Tierhaltung auf das Leitbild ökologische Landwirtschaft hin orientieren.
- Die “EU-Agrarwende” kann bei den anstehenden WTO-Verhandlungen nur abgesichert werden, wenn sich die EU nicht nur für ihre eigenen “nicht-handelsbezogenen Anliegen” einsetzt, sondern auch für die der Entwicklungsländer, und gezielt neue Bündnisse anstrebt.
- Der Einsatz für ein anderes Paradigma der deutschen Agrarpolitik erfordert auch ein gleichgerichtetes Engagement bei allen internationalen Organisationen für eine globale Agrarwende im Sinne der Nachhaltigkeit.
I. Die Krise bewältigen
Internationale Verbreitung der BSE-Gefahr eindämmen
Für die EU-Exporte dürfen keine anderen Standards gelten als für die Inverkehrbringung innerhalb der EU. D.h.:
- Tiermehl und spezielles Risikomaterial darf – solange wie die Verwertung innerhalb der EU bzw. Deutschlands verboten ist bzw. solange der Nachweis der Unbedenklichkeit nicht erbracht ist – von der EU bzw. Deutschland nicht exportiert werden.
- Risikomaterial muß innerhalb der EU bzw. im Land seiner Gewinnung unschädlich beseitigt werden.
- Lebende Tiere dürfen auf absehbare Zeit nicht in Länder exportiert werden, die keine mit der EU vergleichbaren BSE-Sicherheitssysteme aufweisen.
- Fleisch oder tierische Produkte dürfen nur dann exportiert werden, wenn sie auch für den Inlandsverkehr zugelassen sind.
- Wenn sich Drittstaaten gegen EU-Fleisch-, Futtermittel- und Lebendviehimporte aus der EU mit höheren Standards schützen, als sie in der EU gültig sind, muß die EU das akzeptieren. Auf die über 60 Staaten, die inzwischen gegen europäisches Rindfleisch Importverbote erlassen haben, darf die EU keine politischen Druck ausüben, dieses Importverbot aufzuheben.
Überschüsse bei Rindfleisch abbauen
Kurzfristige Maßnahmen der Überschussbeseitigung sind nur akzeptabel, wenn sie mit mittel- und langfristigen Konzepten zur Überschußvermeidung und Produktionsdrosslung einhergehen.
- Kurzfristige Marktentlastung: Wir befürworten die Frühvermarktungsförderung für eine Übergangszeit. Die Zwischenkalbezeit soll gegebenenfalls durch Fördermaßnahmen verlängert werden. Die Herodesprämie lehnen wir ab.
- Mittelfristige Überschussbeseitigung: Wir lehnen die Verwendung des überschüssigen Fleisches für Not- und Nahrungsmittelhilfe in arme Länder ab, auch wenn es getestet ist, wie z.B. bei der Vergabe von Rindfleisch an Nordkorea. Auch darf kein zusätzlicher Export mit Hilfe von Subventionen erfolgen. Absatzförderungen und marktneutrale Fleischabgabe im Inland haben Priorität; das Keulen der Tiere ist die letzte Maßnahme.
- Langfristige Maßnahmen der Wende: (siehe Abschnitt Agrarpolitik)
Durch BSE keine Importe unnötig behindern
Die BSE-Krisenbewältigung darf zu keinen neuen, unnötigen Importbeschränkungen führen.
- Die EU-Kommission hat bisher nur unilateral, d.h. für sich festgestellt, welche Drittländer seit dem Auftreten von BSE infiziertes Material und Tiere von der EU bezogen haben. Sie muß in engster Konsultation mit den betroffenen Ländern und mit den zuständigen multilateralen Organisationen (OIE, C.A.K., FAO) die Risikoeinschätzung vornehmen, die dann auch von allen akzeptiert wird. Sonst sind Handelsspannungen unvermeidbar.
- Das Rindfleisch aus Risikoländern, das in die EU geliefert werden soll, darf ebenso wenig wie innerhalb der EU mit Resten von Risikomaterial aus dem Schlachtvorgang belastet sein.
- Die Tierteile, die Risikoteile sind, müssen am Schlachthof des Exportlandes entnommen und vernichtet werden.
- Alle Entwicklungsländer sollen bei der Feststellung von BSE-Risiken, dem Testen, der Inspektion von BSE-Fällen, bei der Eindämmung der Krankheit und bei der Vorsorgepolitik auf allen Ebenen durch technische und finanzielle Zusammenarbeit durch die EU-Staaten unterstützt werden. Für die arme Länder, insbesondere für LDC-Länder, müssen die vollen Kosten übernommen werden.
- Die bisher gewährten Marktzugänge zu unserem Rindfleischmarkt für Entwicklungsländer dürfen durch die BSE-Krise nicht gefährdet werden.
- Für die Importe aus Drittländern dürfen keine höheren Standards angelegt werden, als für die Importe eines EU-Landes von einem anderen EU-Mitgliedsland.
II. Marktverwerfungen für arme Länder kompensieren
Die LDC, die in ihrer Wohlfahrt wesentlich von Rindfleischexporten abhängig sind, dürfen auf Grund der BSE-Krise nicht in Zahlungschwierigkeiten kommen. Die Rindfleischpreise und Absatzmengen für Rindfleisch sind nicht nur in Europa stark zurückgegangen. Hochverschuldete LDC, die stark von Rindfleischexporten abhängig sind, können in Zahlungsschwierigkeiten kommen. Für diese Länder muß eine Hilfe erfolgen. Das könnte mit Hilfe eines Schuldenerlasses geschehen. Diese Mittel müssen vor allem für armutsorientierte ländliche Entwicklungsprojekte vorgesehen werden, zur Diversifizierung der Rinderwirtschaft und für ökologische Ausgleichsprogramme.
III. Bei technischen Standards nicht diskriminieren
Minimumstandards beim Verbraucherschutz- und die BSE-Vorsorge müssen multilateral festgesetzt werden und dürfen nicht als technisches Handelshemmnis mißbraucht werden. Aufwendige Standards müssen nicht weltweit gelten; ein differenziertes Vorgehen ist angebracht.
- Ein weltweites Verbot oder Aussetzen der generellen Verfütterung von Tiermehl ist überzogen.
- Die zur Zeit laufenden Verhandlungen bei der Codex Alimentarius Kommission (C.A.K.) über einen internationalen Verhaltenskodex als “Richtlinie für gute Fütterungspraxis” müssen die BSE-Erfahrungen berücksichtigen, z.B. durch die Einführung einer international gültigen Futtermittelkennzeichnung, einer restriktiven Positivliste für den Einsatz von Futtermitteln, die in den Welthandel kommen dürfen, dem Verbot der Verfütterung von Tiermehl an Wiederkäuer und der Ächtung kannibalistischer Fütterungsmethoden (z.B. Tiermehl vom Schwein an Schweine, vom Huhn an Hühner) und den technischen Mindeststandards bei der Tiermehlproduktion.
- Die Berücksichtigung der notwendigen Sicherheitsmaßnahmen durch die C.A.K. muß auch für Schlachtmethoden, Entnahme von Risikomaterial und seiner Beseitigung gelten.
- Die Empfehlungen zur Standardsetzung müssen von unabhängigen Wissenschaftlern erarbeitet werden. Das gilt sowohl für die nationale wie auch für die internationale Ebene. Die politische Einflußnahme der Wirtschaftsverbände auf Gesundheitsstandards muß zurückgedrängt werden, und die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Verbraucherinteressen müssen gestärkt werden.
- Die multilateralen Standards dürfen nur für Länder verbindlich sein, die auch in einem multilateral abgestimmten Verfahren zu BSE-Risikoländern erklärt wurden. Für die anderen Entwicklungsländer sind es Empfehlungen.
- Unterschiedliche Subsektoren der Rinderwirtschaft von Entwicklungsländern sind zu beachten, z.B. eine Differenzierung nach den Tierbeständen von traditionellen Hirtenvölker, von traditionellen Kleinbauern und von moderner marktorientierter Unternehmen. Unsere Auflage, dass unser Importfleisch im Exportland lizenziert werden muß, muß sich auf die Herkunft derjenigen Subsektoren beschränken, die auch ein Risiko darstellen. Das wird i.d.R. nur den modernen Subsektor sein.
- Die Welternährungsorganisation FAO und das Internationale Tierseuchenamt (OIE) müssen in ihren Bemühungen gefördert werden, die Entwicklungsländer bei der Vorsorge zu beraten, über globale Trends auf den Rindfleischmärkten zu informieren und Krankheiten zu bekämpfen.
- Es gelten die grundsätzlichen Regeln der Fairness von GATT: Transparenz, Nichtdiskriminierung, , am wenigsten handelseinschränkende Lösungen, Hilfe bei Capacity Building, bei Technologietransfer und bei Schulung/Bewußtseinsbildung.
IV. Futtermittelimporte qualifizieren
Der Ersatz des jetzt verbotenen Tiermehls durch Sojaimporte und die Nachfrageverschiebung von Rindfleisch hin zu Schweine- und Geflügelfleisch darf nicht zu einer Verschärfung der sozioökonomischen und ökologischen Probleme in den Herkunftsländern der Ölsaaten führen. Zudem soll der Selbstversorgungsgrad an Eiweißfuttermitteln in der EU gesteigert werden, um Kreisläufe wieder lokal zu schließen.
1.) Beim Anbau von Soja und anderen Futtermitteln aus Entwicklungsländern sind die Menschenrechte sowie Sozial- und Ökostandards zu gewährleisten. Die wichtigsten Kriterien dafür sind:
- sozialverträglicher Anbau, z.B. ohne Kinderarbeit, Bewahrung der Landrechte der alteingesessenen Bevölkerung, Recht auf angemessene Ernährung in den Anbaugebieten, Vermarktung vorzugsweise über bäuerliche Genossenschaften,
- ökologisch verträglicher Anbau, z.B. keine Neurodung von Primärwäldern, Ressourcenschutz, Fruchtwechsel, ausgeglichene Regionalentwicklung,
- ohne Einsatz von Gentechnik.
2.) Das Blair-House-Abkommen mit den USA ist im Rahmen der anstehenden WTO-Verhandlungen neu zu verhandeln, um den verstärkten Eiweißfutteranbau in der EU wieder möglich zu machen.
V. Agrarpolitik ökologisch und sozial umgestalten
Die angekündigte “Agrarwende” in Deutschland als Lehre aus der BSE-Krise (und anderen Skandalen) soll den Trend zur weiteren Industrialisierung der Landwirtschaft korrigieren und auch die Tierhaltung auf das Leitbild der ökologischen Landwirtschaft hin orientieren.
Sofort einzuführen:
- Verbot von Hormonen und antibiotischen Leistungsförderern sowie routinemäßig prophylaktischen Antibiotikaverabreichungen.
- Offene Deklaration und Positivliste für Futtermittel.
- Dauerhaftes europaweites Verbot der Verfütterung von Tiermehlen und -fetten aus Tierkörperbeseitigungsanstalten (TKB).
- Vorübergehendes Tiermehlverfütterungsverbot aus den Schlachthofabfällen, solange eine BSE-Gefahr besteht.
- Schlachtung im nächstgelegenen Schlachthof; Begrenzung der zulässigen Lebendviehtransporte auf maximal 4 Stunden Fahrzeit.
- Soziale und ökologische Qualifizierung von Flächen- und Tierprämien.
- Eliminierung aller Exportsubventionen.
- Überführung aller produktionsgebundenen Direktzahlungen in -ungebundene Zahlungen mit sozialen und ökologischen Kriterien.
Längerfristig einzuführen:
- Tierhaltung an die Fläche binden.
- Abschaffung aller tier- und flächengebundene Zahlungen und ihre Umwandlung in Basiszahlungen.
- Eine flächendeckende Orientierung der Landwirtschaft am Prinzip der Nachhaltigkeit.
- Gezielte Honorierung von Landwirten, die durch besonders nachhaltige Produktionsweisen, die über die gesetzlichen Verpflichtungen hinausgehen, besondere Leistung bei Tier-, Umwelt- und Naturschutz erbringen.
- Förderung des Ökologischen Landbaus durch Erschließung neuer Marktpotentiale.
- Förderung einer artgerechten Haltung landwirtschaftlicher Nutztiere und Weiterentwicklung der Züchtung nach Kriterien der Tiergesundheit.
- Förderung regionaler Ernährungskreisläufe.
- Weiterentwicklung von Qualitätsprogrammen, Kennzeichnungssystemen, Herkunftsbezeichnungen, Kontrollkonzepten, geographischen Indikatoren.
VI. WTO-Verhandlungsallianzen mit den Entwicklungsländern schmieden
Die “EU-Agrarwende” kann bei den anstehenden WTO-Verhandlungen nur abgesichert werden, wenn sich die EU nicht nur für ihre eigenen “nicht-handelsbezogenen Anliegen” einsetzt, sondern auch für die der Entwicklungsländer, und gezielt neue Allianzen anstrebt.
- Die EU muß sich den Nicht-Cairns-Entwicklungsländern als Bündnispartner anbieten. Zu ihrem Angebot müssen gehören: die Eliminierung aller Formen von Exportsubventionen, die konsequente Umwidmung aller Fördermaßnahmen in “Grüne Box-Maßnahmen”, eine Deckelung der Ausgabenhöhe für Grüne Box Maßnahmen und der verbesserte Marktzugang für Agrarprodukte von Entwicklungsländern (z.B. Reform der Zuckermarktordnung).
- Die EU muß die “nicht-handelsbezogenen Anliegen” der Entwicklungsländer unterstützen. Dazu gehören z.B.: Ernährungssicherheit, Nothilfeprogramme, Beschäftigungssicherung, Entwicklungs-Box und Nachbesserung der “Marrakesh-Entscheidung für arme nettonahrungsmittelimportierende Entwicklungsländer”.
VII. Für eine international solidarische Agrarwende
Der Einsatz für ein anderes Paradigma der deutschen Agrarpolitik erfordert auch ein gleichgerichtetes Engagement bei allen internationalen Organisationen für eine globale Agrarwende im Sinne der Nachhaltigkeit.
- Die BRD muß sich verstärkt um multilaterale Umwelt-, Verbraucher- und Tierschutzabkommen bei den zuständigen internationalen Organisationen einsetzen, um zu internationalen Minimumstandards der Art- und Umweltgerechtigkeit zu kommen. Dort formulierte Mindeststandards sind dann auch für die WTO verbindlich.
- Für die Regionalisierung der Produktion und Vermarktung, die Einrichtung von Qualitätsstandards, Lizenzierung und Kennzeichnung von Produktionsmethoden und Definition von geographischen Indikatoren sind auch multilaterale Absprachen vorzunehmen, damit ein gleichwertiges Angebot aus dem Ausland die gleichen Absatzchancen hat und gegen Ökologisierungsbemühungen im Ausland nicht diskriminiert wird. Auch in die staatlichen Programme zur Absatzförderung müssen die Importwaren des ökologischen und fairen Handels und regionale Markenzeichen eingehen.
- Der internationale Faire Handel und internationale Zertifizierungssysteme müssen eine hohe politische Priorität bekommen, auch von dem neuen Verbraucher- und Ernährungsministerium. Das schließt mit ein: politischer Druck auf Importunternehmen zur Einführung von Fair Trade Standards und Labels, die rechtliche und finanzielle staatliche Förderung, die Kennzeichnungsregeln bei der WTO.
- Die Breite und Tiefe des Schutzes geographischer Indikatoren von TRIPS muß verbessert werden, um die Differenzierung der Qualitäten und ihrer kulturellen Hintergründe dem Konsumenten gegenüber transparenter zu machen.Bonn/Rhöndorf, den 2. Mai 2001Kontakt: Forum Umwelt & Entwicklung, Am Michaelshof 8-10, Tel: 0228-35 97 04, Fax: 0228/ 35 90 96, info@forumue.de