Gender und die Sache mit der Kohärenz
Die 12. European Development Days in Brüssel fordern mehr Gerechtigkeit für Frauen und Mädchen weltweit – Fairere Handelsabkommen kamen dabei nur am Rande vor
Das Zauberwort fiel selten und meist nur am Rande. Am prominentesten noch platzierte es Simonetta Zarilli, zuständig für Gender- und Frauenfragen bei der UN Organisation für Handel und Entwicklung, UNCTAD (United Nations Conference on Trade and Development), am Rande einer der unzähligen Lab- und Workshop Debatten. Gefragt, was denn am meisten nötig sei, um internationale und EU-Handelspolitik auch Gender- und Frauen-freundlich zu gestalten, antwortete Zarilli bestimmt: „Kohärenz“. Denn nur, wenn Geschlechtergerechtigkeit und mehr Chancen für Frauen und Mädchen nicht mehr als Nischenthemen angesehen würden, sondern sich durch alle Politikbereiche ziehen, seien diese Anliegen auch wirklich realisierbar.
Inwieweit eine kohärente EU-Politik schon mal per se zu mehr Gerechtigkeit und damit auch zu besseren Chancen für Frauen beitragen würde, darüber wurde allerdings auch bei dieser Diskussionsrunde zu „Handel und wirtschaftlichem Empowerment von Frauen“ auf den European Development Days (EDDs) in Brüssel so gut wie nicht gesprochen. Kaum ein Wort darüber, wie eine vornehmlich exportorientierte und neoliberale EU-Handelspolitik lokale Märkte und Produktion etwa in Entwicklungsländern bedroht. Nichts bis nur sehr wenig über eine Agrarpolitik, die keineswegs kohärent mit den entwicklungspolitischen Zielen der Europäischen Union ist und unzähligen Kleinbäuerinnen und -bauern in den Ländern des Südens, zu einem großen Teil Frauen, das Leben schwer macht. Nein, EU-Handelspolitik im Allgemeinen oder die umstrittenen Freihandelsabkommen mit Schwellen- und Entwicklungsländern im Besonderen (EPAs, European Partnership Agreements) wurden beim Treffen der entwicklungspolitischen Community in diesem Jahr in Brüssel nur selten kritisch beäugt.
„Einzelne Gender-Kapitel bringen nichts“
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Stattdessen: Immer wieder Hinweise darauf, wie sehr auch und gerade die federführenden Handelsbeauftragten der EU, allen voran Kommissarin Cecilia Malmström, sich für die Belange von Frauen und Mädchen einsetzen. So sei im derzeit zur Abstimmung anstehenden Handelsabkommen mit Chile erstmals ein „Gender Chapter“ eingebaut worden. Und auch auf der Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation WTO im vergangenen Dezember in Buenos Aires wurde eigens eine „Gender Declaration“ verabschiedet – ein Treffen allerdings, das ansonsten ohne nennenswerte Ergebnisse verlief. Und da wären wir dann doch wieder bei der Kohärenz. Denn soviel war den DiskutantInnen auf den European Development Days dann doch klar: einzelne Gender-Kapitel bringen nichts. „Damit Handel gut für Frauen ist, muss er auf den Menschenrechten gegründet sein“, befand zum Beispiel Lila Caballero von Action Aid UK und im Namen der Dachorganisation der europäischen Nichtregierungsorganisationen, Concord. Und: „Wir müssen dafür sorgen, dass Handel keinen Schaden anrichtet.“ Zudem müssten Frauen schon viel früher in die Verhandlungen um ein Handelsabkommen einbezogen und nicht erst in den Blick genommen werden, wenn die Vereinbarungen schon unterschrieben seien.
Volkswirtschaftlich katastrophal
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Wie das genau geschehen soll oder was in den Gender-Kapiteln künftiger Handelsabkommen alles drin stehen wird, das blieb derweil weitgehend offen. Interviews gaben führende EU-RepräsentantInnen, darunter auch Handelskommissarin Malmström, auf den European Development Days jedenfalls erst mal nicht. Einig waren sich immerhin alle RednerInnen und DiskutantInnen, dass das Thema Geschlechtergerechtigkeit und Entwicklungszusammenarbeit einen viel größeren Stellenwert verdient, als es in den vergangenen Jahren hatte. Denn schlechtere Chancen für Frauen weltweit ist nicht nur untragbar für die Betroffenen, sondern auch katastrophal für ganze Gesellschaften. 163 Milliarden Dollar gehen nach Schätzungen der Weltbank den Volkswirtschaften rund um den Globus allein dadurch verloren, dass Frauen immer noch schlechter bezahlt werden, als Männer. Dieser „Gender Gap“ bei den Einkommen war allerdings nur eines von vielen Themen zu Geschlechtergerechtigkeit, die bei den EDDs zur Sprache kamen: von der Ernährungssicherung über Schulbildung und Erziehung, Frauen und Klimawandel oder die Rolle der Frauen bei der Friedenssicherung bis hin zum Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung – das Spektrum der dargestellten Problemfelder auf denen noch viel zu tun ist, war breit.
Privatinvestment – ja, aber nur mit klaren Bedingungen
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Gegen all diese Missstände anzukämpfen, kostet Geld. Und hier wurde auf den EDDs der European External Investment Plan (EIP) als probates Instrument präsentiert. EIP war ursprünglich von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im Herbst 2016 als neues Finanzierungsinstrument vorgestellt worden, das vor allem Investment in Afrika und in den EU Nachbarregionen stimulieren soll. Der Plan setzt unter anderem auf Partnerschaften mit dem Privatbusiness. Mit 3,35 Milliarden Euro aus EU-Töpfen sollen so insgesamt 44 Milliarden Euro an Investitionen generiert werden. „Wir erkennen natürlich an, dass öffentliche Mittel zur Entwicklungsfinanzierung allein nicht mehr ausreichen und eine Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft wichtig ist“, sagt dazu Marissa Ryan, Leiterin des Europa-Büros von Oxfam. Aber dieses Investment müsse unter klar gesetzten Rahmenbedingungen geschehen, so die Wahrung der Menschenrechte genauso wie sozialer und ökologischer Standards.
Fairer Handel, Bekämpfung von Steuerflucht und Steuervermeidung, Sicherung von Arbeitnehmerrechten und soziale Unternehmerverantwortung auf breiter Linie, all das sollten weitere unerlässliche Vorgaben sein, nach denen sich jede öffentlich-private Partnerschaft zur Entwicklungsfinanzierung zu richten habe. Doch, so Ryan, „der gegenwärtige EPI ist noch nicht mal genau festgelegt. Wir wissen also nicht, ob diese Standards berücksichtigt werden oder nicht.“ Mit Blick auf das übergeordnete Thema der EDDs müsse natürlich auch der EPI die Belange von Frauen und Mädchen fest im Blick haben. Und Ryan geht noch einen Schritt weiter: „Wir brauchen eine feministische EU Außenpolitik.“ Ein Ziel, das noch in weiter Ferne scheint.
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Monika Hoegen, entwicklungspolitische Fachjournalistin, Brüssel
www.monika-hoegen.de