Mai 2017
Manchmal bemerkt man erst so richtig, dass etwas existiert hat, wenn es reformiert wird. So jedenfalls scheint es derzeit um den European Consensus on Development bestellt zu sein. Formuliert im Jahr 2005 als Grundlage für die gemeinsame Entwicklungspolitik der EU und ihrer Mitgliedsstaaten, lieferte er für die entwicklungspolitische Policy der Folgejahre zwar eine wichtige Grundlage – darunter auch für die Formulierung der EU Agenda for Change – fand aber dennoch in der Öffentlichkeit eher weniger Beachtung.
Noch relevant für die Ärmsten der Armen?
Das scheint mit dem New European Consensus on Development, der zur Zeit verhandelt wird, alles ein bisschen anders zu werden. Denn er sorgt durchaus für Debatten – vor allem im EU Parlament. Der Anlass für die Neuformulierung des Konsens ist, wie schon so oft die 2030 Agenda der UN mit ihren Sustainable Development Goals. Sie soll nun in die EU-Entwicklungspolitik integriert werden. Mehr Politik-Kohärenz, eine stärkere Rolle der Zivilgesellschaft bei der Gestaltung von Entwicklung und das neue Zauberwort „Joint Programming“ – sprich eine bessere gemeinsame Planung von Entwicklungspolitiken und –projekten der Geberländer untereinander – sind wichtige anvisierte Ziele. Aber wird der jetzt vorliegende 27seitige Entwurf für den New European Consensus wirklich den erhofften Paradigmenwechsel bringen? Und stehen die Anliegen der Ärmsten der Armen noch genügend im Fokus der EU-Entwicklungspolitik?
Norbert Neuser, Europa-Abgeordneter der Sozialdemokratischen Fraktion und Berichterstatter im Entwicklungsausschuss zu dem Thema sah das bei der „Happy Development Hour“, einer regelmäßigen entwicklungspolitischen Veranstaltung in der Landesvertretung NRW in Brüssel, eher skeptisch. Neue Richtlinien für die entwicklungspolitische Arbeit der EU seien durchaus nötig, so Neuser, gerade angesichts aktueller Probleme wie Klimawandel und Migration, die in diesem Ausmaß 2005 bei der Formulierung des alten Konsensus noch nicht so richtig im Blick waren. Zudem habe es bislang keinen wirklichen gemeinsamen entwicklungspolitischen Ansatz der Mitgliedsstaaten gegeben. Den sieht Neuser allerdings auch mit dem neuen Entwurf kaum gegeben. „Die einzelnen Mitgliedsstaaten verfolgen da durchaus unterschiedliche Interessen, und auch der Brexit stellt ein großes Problem dar “, so Neuser, „schließlich war Großbritannien einer der bedeutendsten Geber und Akteure, gerade in der Zusammenarbeit zwischen der EU und den AKP-(Afrika/Karibik/Pazifik)- Staaten.“
Unterschiedliche Interessen der Mitgliedsstaaten
Auch Florian Lütticken, bei der Generaldirektion Entwicklung (DevCo) der Europäischen Kommission zuständig für die Koordinierung der EU-Politik zur 2030 Agenda sowie für den New Consensus on Development, räumt ein, dass es unterschiedliche Interessenlagen in den EU-Staaten gibt: „Wir werden nicht von den baltischen Staaten bis zu Spanien einen Konsens hinbekommen, der für alle klar und gleich ist. Natürlich werden die Länder gerade aufgrund der Komplexität der 2030 Agenda und damit auch des neuen Konsens manches unterschiedlich interpretieren.“ Trotzdem hofft Lütticken auf eine möglichst breite Verständigung. Die Tatsache, dass „die Mitgliedsstaaten dafür kämpfen, sich mit ihren Anliegen im neuen Konsens wiederzufinden“, sei in Zeichen für das große Interesse, das den gemeinsamen entwicklungspolitischen Richtlinien entgegengebracht würde. Die Entwicklungsländer seien im Vorfeld im Rahmen von Konsultationen beteiligt worden, zeigten sich aber überwiegend noch abwartend. Lütticken: „Gerade für die AKP-Staaten haben die Verhandlungen über das Post-Cotonou Abkommen derzeit größere Bedeutung.“
Plädoyer für mehr legale Einwanderung
EU-Abgeordneter Neuser und viele seiner Kollegen hingegen bemängeln eine unzureichende Beteiligung des Parlaments bei der Formulierung des New Consensus on Development.  Zudem sieht Neuser die Gefahr, dass Entwicklungsgelder verstärkt für andere Zwecke, wie etwa die Abschottung der EU gegen Flüchtlinge und auch militärische Einsätze, missbraucht würden. Dass Entwicklungszusammenarbeit die „root causes“, Grundursachen von Flüchtlingsbewegungen wirklich bekämpfen könne, das stellte Neuser in Brüssel deutlich in Frage: „Ich denke nicht, dass wir Flucht, Migration und die damit verbundenen Probleme auf allen Seiten so stoppen. Was wir brauchen, ist stattdessen mehr legale Einwanderung.“
Zudem, so Neuser, darf der Konsensus nicht nur bei schönen Worten auf dem Papier stehen bleiben, sondern muss konkret gemacht werden. Bereits im Februar hatte er in einer Parlamentsdebatte in Straßburg gefordert: „Wir wollen als Ausschuss klar wissen, wie die Ziele in welchem Fahrplan von der Kommission angegangen werden, und wie die Mitgliedstaaten in die Finanzierung gezwungen werden können. Dafür brauchen wir ein klares Bekenntnis zu Monitoring und Evaluierung bei der Umsetzung.“
Und auch dabei sollten die Parlamentarier nicht vergessen werden. Neusers klarer Appell an die anderen EU-Institutionen, der auch den Vertretern der Zivilgesellschaft gefallen dürfte: „Ich kann dem Rat und auch der Kommission nur den Hinweis geben: Wir im Ausschuss, wir sind auch kreativ, wir sind auch flexibel. Haben Sie keine Angst vor dem, was wir als Parlamentarier mit einbringen. Wir sind nahe an den NGOs dran und wir sind auch daran interessiert, dass wir zielgerichtet gute Ergebnisse beisteuern.“
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Monika Hoegen, entwicklungspolitische Fachjournalistin, Brüssel
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www.monika-hoegen.de