In einem guten landwirtschaftlichen Boden sollten viele Würmer drin sein. In den biodiversitätsarmen Agrarsteppen, die sich leider immer weiter über den Globus ausbreiten, sind leider immer weniger Würmer. Der Wurm ist jedoch da drin, wo er nicht hingehört – nämlich in der Agrarpolitik. In kaum einer Wirtschaftsbranche ist die Kluft zwischen Nachhaltigkeits-Rhetorik und nicht nachhaltiger Realität so groß wie in der Landwirtschaft. Die Zahl der Hungernden ist heute mit über einer Milliarde so hoch wie lange nicht. Bei den Welternährungsgipfeln 1996 und 2002 bekräftigten die Regierungen das Ziel, die damals bei etwa 840 Millionen liegende Zahl der Hungernden bis 2013 zu halbieren. Das heutige globale Landwirtschaftssystem ist offenbar zwar durchaus zu Produktionssteigerungen in der Lage, aber diejenigen die darauf am dringendsten angewiesen wären, bekommen davon immer weniger ab. Gleichzeitig erregte in den letzten Wochen ein Bericht des UN-Sonderberichterstatters für Ernährung, Olivier de Schutter, Aufsehen. Mit der Ernährungslage in den Industriestaaten steht es laut de Schutter auch nicht zum Besten, ungesundes und dick machendes Essen sei auf dem Vormarsch und werde auch noch subventioniert. Er forderte Sondersteuern auf Dickmacher wie Fett und Zucker, um den Vormarsch industriell gefertigter Nahrung auf Kosten gesunder frischer Nahrung aufzuhalten. Bei einer auf neun Milliarden ansteigenden Weltbevölkerung bis Mitte des Jahrhunderts und gleichzeitig einer zunehmenden Erosion der Böden und Bodenfruchtbarkeit sowie steigenden Ansprüchen an Biomassenutzung sind Konflikte vorprogrammiert, gegen die der Strukturwandel in so manch anderem Wirtschaftszweig relativ einfach anmutet. In Deutschland wollen immer mehr Menschen Alternativen zu diesem Agrarsystem. Selbst vor den Ikonen des Fast Food macht dieser Trend nicht halt: ausgerechnet McDonalds war der erste Abnehmer, der die Verträge mit der Hühner-Großschlachterei »Wiesenhof« kündigte, als wegen eklatanter Hygienemängel im Februar ein Wiesenhof-Riesenschlachthof geschlossen werden musste. Immer mehr solcher Skandale bringen eine Agrarpolitik in die Defensive, von der nicht nur die Verbraucher nichts haben, sondern auch immer weniger Bauern. »Bauernhöfe statt Agrarindustrie« war der Slogan, unter dem im Januar 23.000 Menschen in Berlin auf die Straßen gingen. Ein breites und buntes Bündnis, von Milchviehhaltern bis zu Tierschützern, Biobauern bis konventionellen Bauern, Umweltschützern bis Gourmetköchen sorgten parallel zur Grünen Woche für ein deutliches Misstrauensvotum gegen eine Agrarpolitik des Weiter-So. Im vorliegenden Rundbrief geht es um alle Facetten der aktuellen Debatte um Landwirtschaft, Ernährung sowie Biomassenutzung. In der Auseinandersetzung um Nachhaltigkeit, eine »grünere« Wirtschaft und den Schutz der Biosphäre werden in diesen Fragen noch heftige Interessengegensätze aufeinanderprallen. Ich hoffe das vorliegende Heft trägt zum besseren Verständnis bei.
Jürgen Maier
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