Bioökonomie klingt gut, so ähnlich wie Biolandwirtschaft. Allerdings hat die Vorsilbe „Bio“ mit der Debatte um Biokraftstoffe ihre Unschuld verloren, und bei der anstehenden Diskussion um Bioökonomie könnte dies sich noch potenzieren. Während im Hintergrund bereits milliardenschwere Forschungsprogramme und Investitionen anlaufen, hat die öffentliche Diskussion um diese Vorstellungen einer biomasse-basierten Wirtschaft noch gar nicht begonnen. Können nachwachsende Rohstoffe, auch Biomasse genannt, alle stofflichen Anwendungen von Erdöl und anderen fossilen Stoffen ersetzen? Sind sie unverzichtbare Voraussetzungen für eine „climate-smart economy“ oder „low-carbon economy“, oder sind sie vielmehr der letzte Sargnagel für die Hungernden der Welt und die noch verbleibenden Ökosysteme? Der vorliegende Rundbrief beleuchtet diese Frage von verschiedenen Seiten. Steffi Ober gibt einen einleitenden Überblick über den Stand der Diskussion und der bereits laufenden Projekte und Initiativen. Auch eine wie auch immer geartete Bioökonomie wird sehr rasch an die Grenzen des Wachstums in einem endlichen Planeten geraten. Nahrung, Land und Wasser sind knapp, wie Rafael Schneider, Stig Tanzmann, Timo Kaphengst, Stephanie Wunder und Nik Geiler ausführen. Wenn ja, dann nachhaltig und zertifiziert, meint Michaele Hustedt. Hannelore Daniel und Lucia Reisch legen dar, dass ohne umfassende Verhaltensänderungen eine Bioökonomie nicht denkbar ist.
Wie wenig solche Politik- und Verhaltensänderungen in Sicht sind, zeigen die Beiträge zum G20-Gipfel und zu den laufenden TTIP-Verhandlungen und der Beitrag von László Maráz zum wachsenden Nutzungsdruck auf die Wälder – durchaus auch ein Vorgeschmack auf die Bioökonomie. Auch der Beitrag über „land grabbing“ im Namen des Klimaschutzes von Magdalena Heuwieser lässt manche Alarmglocken klingeln. Eine ganze Reihe von Beiträgen dreht sich um Kontroversen in der Landwirtschaft: Unter anderem über die Rolle von Konzernen in der Hungerbekämpfung von Jan Urhahn, die bäuerliche Landwirtschaft von Berit Thomsen, die gescheiterte UN-Erklärung über die Rechte von Kleinbauern von Gertrud Falk, und über die geplante neue EU-Saatgutverordnung von Iga Niznik.
Kann sich der Verhandlungsprozess über die Post-2015-Agenda von diesem „business as usual“ lösen? Darauf geht Cathrin Klenck in ihrem Beitrag ein. Verbessern durch Verwässern, das ist die Frage, die sich Knut Vöcking in seinem Beitrag über die Reform der Umwelt- und Sozialstandards der Weltbank stellt. Weitere Themen sind die aktuellen Verhandlungen der UN-Biodiversitätskonvention, der Klimakonvention und einer Organisation, die in letzter Zeit wieder von sich reden macht: die Welthandelsorganisation WTO.
Jürgen Maier
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