Eine US-amerikanische Kabarettsendung, die ich aufgrund ihrer schlauen Beobachtung der amerikanischen Gesellschaft sehr gerne schaue, befasste sich vor ein paar Monaten mit dem Thema Nahrungsergänzungsmittel. Diese sind, im Gegensatz zu Deutschland, bei vielen Familien in den USA sehr beliebt. In dem Beitrag ging es darum, dass ein bekannter Fernseharzt sich vor Gericht verantworten musste, weil er Tabletten zur Gewichtsreduzierung in seiner Sendung als „magische Wunderpillen“ bezeichnete. Und dass, obwohl Wissenschaftler sogar herausfanden, dass deren Inhaltsstoffe bei Laborratten zu Diabetes geführt hatten. Doch sowohl der US-amerikanische Kongress als auch die zuständigen Bundeshandelskommission (FTC) und die Lebensmittelüberwachungsbehörde (FDA) konnten wenig tun, um solche Betrügereien effektiv zu verbieten. Der Grund: Nahrungsergänzungsmittel sind in den USA extrem schlecht reguliert. Die FDA kann erst dann die Inhalte von Nahrungsergänzungsmitteln erforschen, wenn KonsumentInnen bereits davon krank geworden sind. Ein Versuch der FDA, mehr Kompetenzen zu erhalten, endete in den 1990ern damit, dass Millionen aufgebrachte BürgerInnen dem Senat schrieben, sich nicht in ihren Vitaminkonsum einzumischen – dazu existiert merkwürdigerweise sogar ein von der Industrie bezahlter Werbespot mit Mel Gibson, der mit erhobenen Händen vor einem halben Duzend vermummter Räuber steht, die ihm seine Vitamine abnehmen wollen. Unternehmen in den USA dürfen Nahrungsergänzungsmittel ohne Zustimmung der FDA bewerben, können die Gesundheitsförderlichkeit einfach so behaupten und müssen noch nicht einmal die Sicherheit oder Wirksamkeit ihres Produktes beweisen. Mit gravierenden Folgen: Der jährliche Umsatz der Nahrungsmittelergänzungsindustrie umfasst mittlerweile 32 Milliarden USD, dabei sind in vielen Produkten noch nicht einmal Spuren der angeblichen Heilpflanzen enthalten. Außerdem hat der Verzehr bestimmter Nahrungsergänzungsmittel bei KonsumentInnen sogar zu Leberversagen, inneren Blutungen und Todesfällen geführt. Warum existieren diese Nahrungsergänzungsmittel dennoch auf dem Markt? Der Moderator, John Oliver, fasst es zusammen mit dem Worten: „Unternehmen haben Zugang zu der einzig wahren Wunderpille: Lobbymacht.“ Das Beispiel Nahrungsergänzungsmittel veranschaulicht sehr gut, welchen Einfluss Regulierungen oder ihr Fehlen auf unser aller Leben haben. Und welche Macht Unternehmen haben können, wenn bestimmte Regulierungen ihre Profite in Gefahr bringen könnten. Mit der vorliegenden Rundbriefausgabe wollen wir uns deswegen dem komplizierten Thema der Regulierungen zuwenden. Warum brauchen wir Regulierungen? Und welche überhaupt? Und wo liegt das richtige Maß? Wer hat welche Macht beim Einbringen von Regulierungen? Und wer welche Interessen? Und was hat das alles mit internationaler Handelspolitik und den Verhandlungen um das EU-USA-Freihandelsabkommen zu tun?
Marie-Luise Abshagen
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