Rinderwahn, Maul- und Klauenseuche, Antibiotikaskandale, Gentechnik – die industrialisierte Landwirtschaft befand sich wohl noch nie in einer so gründlichen Vertrauenskrise wie heute. Doch Krisen sind immer auch Chancen für Veränderungen, um nicht zu sagen: sie sind sogar die Voraussetzungen für Ver- änderungen. Erst eine Krise ist für viele Menschen das Signal, dass sich etwas ändern muss, und dass sie selbst auch etwas dafür tun müssen. Allerdings treten für den Menschen sinnlich wahrnehmbare Krisen in ökologischen Systemen oft erst auf, wenn es zum Umsteuern schon fast zu spät ist. Die rein rationale Erkenntnis, dass bestimmte Entwicklungen so nicht weitergehen können, reicht eben für ein angeblich vernunftbegabtes Wesen wie den Menschen noch nicht aus. Die Agrarwirtschaft ist heute an einem Punkt angekommen, wo die Agrarwende regierungsamtliches Programm geworden ist. Es ist nun der Punkt erreicht, an dem auf einmal alle die Agrarwende wollen und schon immer gewollt haben. Das erste Rundbrief-Heft 2001 hat deshalb den Schwerpunkt Landwirtschaft und Ernährung. Gerne wird ja behauptet, mit Nachhaltiger Entwicklung werde niemand hinter dem Ofen hervorgelockt. Die aktuelle Auseinandersetzung um die Agrarwende zeigt jedoch, dass Konflikte und Auseinandersetzungen um Nachhaltige Entwicklung hinter vielen brandaktuellen tagespolitischen Fragen stecken. Auch auf der internationalen Verhandlungsbühne stehen in den nächsten Monaten eine Reihe agrarpolitisch relevanter Themen an. In der Welthandelsorganisation WTO sind die laufenden Agrarverhandlungen Gegenstand heftiger Konflikte zwischen der EU, den meisten aussereuropäischen Industrieländern und den Entwicklungsländern. Der EU-Agrarprotektionismus steht hier schon lange mit dem Rücken zur Wand; die Widerstände gegen die Marktöffnungsinitiative der EU-Kommission für das eher unbedeutende Marktsegment der ärmsten Entwicklungsländer verwandelten den Vorschlag von „everything but arms“ recht schnell in ein „everything but farms“. Schrankenlose Liberalisierungen des Agrarhandels, wie sie insbesondere die USA wollen, sind jedoch auch nicht im Interesse vieler Entwicklungsländer. Ernährungssicherheit ist daher das Thema einer Reihe von Beiträgen in diesem Heft, und wird im Herbst beim Follow-up zum UN-Welternährungsgipfel („Rom+5“) ins Zentrum der internationalen Agenda rücken. Eng damit verknüpft sind die Auseinandersetzungen um geistige Eigentumsrechte an Pflanzensorten, Zugangs- und Nutzungsrechte für biologische Ressourcen und die Agro-Biodiversität. Kaum eine Frage ist inhaltlich so komplex und wird in einem derart unüberschaubaren institutionellen Kontext verhandelt wie diese. In drei konkurrierenden Arenen werden diese Konflikte zurzeit ausgetragen: Die TRIPs-Review-Verhandlungen der WTO, die Konvention über Biologische Vielfalt und das International Undertaking on Farmers’ Rights der FAO. Näheres dazu finden Sie in diesem Heft. Das neu gestartete Projekt Internationale Agrarforschung wie auch das Projekt Handelspolitik werden sich mit den damit zusammenhängenden Fragen in diesem Jahr schwerpunktmässig auseinandersetzen. Der im nächsten Jahr in Johannesburg geplante „Gipfel für Nachhaltige Entwicklung“ (World Summit for Sustainable Development) setzt alle Akteure hoffentlich bereits jetzt unter verschärften Handlungsdruck, wenn man dort nicht mit leeren Händen dastehen will. Die deutschen NRO wollen dies zum Anlass für eine gemeinsame Kampagne nehmen. Die Entwicklungsländer wollen bis dahin greifbare Fortschritte bei dem oft vernachlässigten Entwicklungs-Aspekt des Rio-Prozesses sehen, und das hängt nicht nur an der Entwicklungshilfe, sondern mindestens genausosehr an Fortschritten im Rahmen der WTO. Aus Umwelt-Sicht ist natürlich eine ganz zentrale Frage das Schicksal der Klimaverhandlungen, die am seidenen Faden hängen. Die Ende Juli in Bonn ins Haus stehende Klimakonferenz wirdhier von entscheidender Bedeutung für den gesamten RioProzess sein. Ebenfalls in Bonn tagt im September die 5. Desertifikations-Vertragsstaatenkonferenz und im Oktober ein Ausschuss der Biodiversitätskonvention. Voraussichtlich im Oktober wird das Forum Umwelt & Entwicklung gemeinsam mit BMU und BMZ eine grosse Konferenz zum Auftakt eines nationalen Dialogprozesses zu „Rio+10“ organisieren, wiederum in Bonn. Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang ist auch die institutionelle Frage. Das Für und Wider einer Welt-Umweltorganisation, wie sie jüngst wieder vom Wissenschaftlichen Beirat Globale Umweltveränderungen vorgeschlagen wurde, bildet den Brennpunkt in diesem Heft.
Jürgen Maier
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